Foto: Anne Morgenstern

Der neue Roman von T. C. Boyle lebt von dem dramaturgischen Taschenspielertrick, dass der im Zentrum stehende Schimpanse Sam cleverer ist, als man glauben möchte. So begeistert Sam schon auf den ersten Seiten von Sprich mit mir die Pädagogikstudentin Aimee, als er in einer TV-Show erklärt, er wolle einen Burger essen. Natürlich kann Sam nicht reden, doch hat ihm sein Herrchen, Professor Guy Schermerhorn, 100 Gebärden beigebracht. Zufällig sucht Schermerhorn, nachdem seine Frau abgehaut ist, eine neue Betreuerin für Sam. Der ist sofort vernarrt in Aimee, und sie bekommt den fordernden Job: Sam wurde seit seiner Geburt wie ein Kind unter Menschen aufgezogen. Er trägt Kleidung, kann lügen, trinkt abends ein Glas Wein, damit er ruhiger schläft. Zukunftsmusik?

Umbruchzeit in der Verhaltensforschung

Nein. Sprich mit mir spielt in den späten 1970ern und Anfang der 1980er, einer Umbruchzeit in der Verhaltensforschung an Primaten. Noam Chomsky bekräftigt seinen Standpunkt, nur Menschen besäßen die Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation, zudem sei mit Medikamentenstudien an Tieren mehr Geld zu verdienen. Das wird Sam zum Verhängnis wie auch der Umstand, dass er immer stärker und also gefährlicher wird: In den Fenstern Panzerglas, seine Zimmertür ist aus Stahl.

Wieder einmal hat Boyle historische Gegebenheiten recherchiert und erzählt darauf aufbauend seine Geschichte schnurrend runter. Wir lesen staunend Szenen, in denen Sam einen guten von gepanschtem Champagner zu unterscheiden weiß oder erklärt, Würstchen würden aus Fleisch gemacht. Wo das Fleisch herkommt? Aus dem Supermarkt! Und davor? "SIE TÖTEN SCHWEINE", gebärdet sich Sam. Jedes zweite Kapitel erzählt Boyle sogar aus der Perspektive des Affen. Naturgemäß ist das hochspekulativ.

Keiner seiner besten Romane

Boyle will mit Sprich mit mir unser Verhältnis zu unseren nächsten Verwandten auf die Probe stellen. Was hieße es für unser Verhalten gegenüber Tieren, hätten sie ein Bewusstsein, das sie uns mitteilen können? Müssten wir ein Tier, das menschliche Angewohnheiten erlernt, anders bewerten? Für Aimee ist Sam zwischen Tier und Mensch angesiedelt.

Boyles Eintreten für Tierethik ist ehrenwert und heute nicht singulär. Was ein wissenschaftliches Interesse angeht, ist seine Retroperspektive hier aber ähnlich unbefriedigend wie schon in Die Terranauten (2017). So gehört Boyles 16. Roman nicht zu seinen besten. Dafür sind auch die zwischenmenschlichen Verwicklungen inklusive Liebesgeschichte zwischen Aimee und Schermerhorn sowie eine waghalsige Affenrettungsaktion nicht spannend genug. (Michael Wurmitzer, 2.2.2021)