Grau, braun oder braun mit Stückchen: Flüssignahrung – hier von Saturo, Mana und Huel (v. li.) – kommt wenig abwechslungsreich daher.

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Essen ist toll – für die meisten Menschen zumindest. Manche verbringen einen Großteil ihres Leben damit, das beste Brot zu backen, das perfekte Steak zu grillen, oder sie reisen um die Welt, um das wohlfermentierteste Kimchi zu finden. Für andere hingegen ist Essen nicht mehr als lästige Nahrungsaufnahme. Zum Beispiel für Softwareentwickler Robert Rhinehart. In seinem Blogeintrag von 2013 mit dem Titel "Wie ich aufhörte, Essen zu essen" schildert er seine tiefe Abneigung gegen Lebensmittel. Essen, das sei für ihn "die fossile Energie" für den menschlichen Körper – ineffizient, umweltschädlich und vollkommen überholt. Geht das nicht besser?

Rhinehart mixte sich kurzerhand selbst einen Drink, der alles bieten soll, was der Körper braucht. In Anlehnung an den dystopischen Film Soylent Green taufte er seine Kreation Soylent. Es war eine Multi-Millionen-Dollar-Idee, wie sich herausstellen sollte: Soylent begeisterte nicht nur Risikokapitalgeber, sondern auch eine wachsende Community, an die Soylent Millionen Mahlzeiten verschickte. Medien fragten in Titeln bereits nach dem "Ende des Essens".

Acht Jahre später gibt es immer noch normales Essen. Soylent hingegen hat an Glanz verloren. Das Unternehmen soll straucheln, auch Rhinehart hat sich aus dem Tagesgeschäft seiner Firma zurückgezogen und fällt nur noch durch das Verbreiten von abstrusen Verschwörungstheorien auf.

Was bleibt, ist das Verlangen nach sogenanntem Mahlzeitersatz. Immer mehr Firmen drängen mit ihren eigenen Pulvern und Drinks auf den Markt. Das Prinzip ist immer dasselbe: schnelle, unkomplizierte Mahlzeiten, ausgewogen und leistbar. Sie sollen dem Körper alles geben, was er braucht, ohne dass sich der Konsument Gedanken über Ausgewogenheit machen oder Geschirr anpatzen muss – Essen für Desinteressierte. DER STANDARD hat drei Produkte getestet: Mana aus Tschechien, Huel aus England und das österreichische Fertiggetränk Saturo.

Die Inhaltsstoffe

Gemein ist den drei Produkten, dass die Nährwerttabelle, die jedes Lebensmittel tragen muss, einen Großteil der Verpackung bedeckt – schließlich ist die angebliche Vollwertigkeit der "Complete Foods" das Verkaufsargument Nummer eins. Von Eiweiß über Kohlenhydrate und Fett, Vitamine, Mineralstoffe – alles ist exakt auf 100 Prozent ausbalanciert. Als Grundstoffe fungieren bei fast allen Produkten am Markt einerseits pflanzliches Protein, etwa aus Soja oder Erbsen, dazu Öl und Maltodextrin. Letzteres wird von der Lebensmittelindustrie gern als Füllstoff für Low-Fat-Produkte eingesetzt, in der Flüssignahrung liefert es Kohlenhydrate. Nur bei Huel sorgt geschroteter Hafer für die "Carbs". Dazu kommt eine lange Liste von zugesetzten künstlichen Vitaminen und Mineralstoffen, die den zusätzlichen Konsum von Obst und Gemüse überflüssig machen sollen.

Sogenannte "Complete Foods" sollen dem Körper alles geben, was er braucht – in flüssiger Form.
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Der Geschmack

Mana und Huel werden als Pulver im verschließbaren Plastikbeutel geliefert. Nachdem man eine vorgegebene Anzahl an Dosierlöffeln mit einer ebenfalls angegebenen Menge Wasser vermischt hat, heißt es erst mal schütteln – und zwar ziemlich kräftig. Denn das Zeug klumpt so stark, dass man sogar mit einem Löffel nachhelfen muss (von wegen kein Geschirr anpatzen!). Saturo kommt vorportioniert im Viertelliter-Tetra-Pak.

Farblich variieren die drei getesteten Produkte von grau-gelb bis grau-braun. Wirklich appetitanregend sieht keines aus – aber das dürfte auch nicht der Sinn des Ganzen sein. Auch der erste Schluck fällt enttäuschend aus: Saturo erinnert an einen wenig gezuckerten Kakao, während Mana neutral und etwas süßer schmeckt. Huel liegt noch am nächsten an "echtem" Essen – nämlich an zu stark gewässertem Haferbrei.

Der Preis

Angesichts der günstigen Inhaltsstoffe ist der Flüssigspaß gar nicht so günstig: Mit rund 1,50 Euro schlägt sich Mana pro Mahlzeit zu Buche, Huel kostet knapp zwei Euro. Saturo, das es seit einem Auftritt bei der Start-up-Fernsehshow 2 Minuten 2 Millionen auch in den österreichischen Supermärkten gibt, kostet dort rund drei Euro. Wohlgemerkt handelt es sich bei einer Portion um etwa 400 Kilokalorien – um auf das empfohlene Maß von 2000 Kilokalorien täglich zu kommen, ist man also rund zehn Euro los.

Die Umweltbilanz

Die Hersteller der Flüssigmahlzeiten schreiben sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen: Viel weniger CO2-Emissionen als fast jedes andere Lebensmittel würde das Pulveressen produzieren. Huel kommt laut eigenen Berechnungen etwa auf 0,6 Kilogramm CO2 pro Portion – das entspricht etwa so viel wie die gleiche Kalorienmenge in Bananen. Dass viele der vorportionierten Mahlzeiten im Mini-Tetra-Pak kommen, irritiert. "Das ist aber vom Nachhaltigkeitsstandpunkt aus gesehen so gut wie irrelevant", sagt etwa Saturo-Gründer Hannes Feistenauer. Die Verpackung mache nur einen kleinen Anteil am gesamten Fußabdruck aus. Da sein Produkt wie auch die anderen getesteten vegan ist, fallen nur wenige Emissionen an. Im Vergleich zur Leberkässemmel steht die Flüssigalternative tatsächlich gut da.

Die Gesundheit

"Wollen Sie Ihre Zähne behalten?", sagt Susanne Lindenthal, wenn man sie nach Ersatzmahlzeiten fragt. Die Ernährungswissenschafterin und -beraterin kann der Idee von Flüssignahrung wenig abgewinnen. Mit der Kiefermuskulatur sei es wie mit einem Fuß oder Arm, der, nachdem er länger eingegipst war, "auch nur mehr ein Steckerl mit Haut drüber" ist. Regelmäßige Bewegung sei für alle Muskeln wichtig, auch für das Mundwerk, das durch Flüssignahrung unterbeschäftigt wäre. Auch die Zähne selbst brauchen regelmäßig etwas zum Beißen, um nicht zu verkommen.

Noch viel schwerwiegender sei aber die Tatsache, dass die Drinks den Verdauungstrakt viel schneller passieren als feste Nahrung. Weil die flüssige Nahrung kürzer dort verweilt, kann dieser nicht alle Nährstoffe aufnehmen, was zu Mangelerscheinungen führen kann – auch wenn die Nährwerttabelle auf den Produkten angeblich perfekt austariert ist. Diese würden nämlich die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe unterschlagen. "Unser Körper ist dafür gemacht, seine Nährstoffe aus echten Lebensmitteln aufzunehmen", sagt Lindenthal. Das mit dem künstlichen Nährstoffmix trifft übrigens auch auf Vitaminpillen und Smoothies zu.

Wer sich eine ganze Mahlzeit innerhalb von wenigen Sekunden hinunterkippt, überfordert außerdem seinen Körper. Denn die Verdauung beginnt schon im Mund, wo das Essen eingespeichelt wird. Damit die Enzyme arbeiten können, müsste man das Flüssigessen langsam wie eine Suppe löffeln. Schüttet man sich die Pampe hingegen direkt in den Verdauungsapparat, hat dieser mehr zu tun – was wiederum Bauchschmerzen auslösen könnte.

Flüssignahrung hat durchaus ihre Berechtigung, findet Lindenthal – etwa wenn jemand krankheitsbedingt Probleme mit dem Schlucken hat oder aus anderen Gründen keine normale, feste Nahrung zu sich nehmen kann. Allen anderen empfiehlt sie "echte" Lebensmittel, auch dem persönlichen Wohlbefinden zuliebe. Denn letztlich ist Essen auch, evolutionsbiologisch bedingt, mit unserem Belohnungssystem im Gehirn verknüpft, das uns Hormone wie Dopamin liefert, die uns Glücksgefühle bescheren. Beim schnell geschlürften Nährstoffdrink bleiben diese aus.

Der Hype

Warum es trotzdem einen Hype um die triste graue Masse zum Trinken gibt, glaubt Ernährungspsychologe Christoph Klotter zu wissen. Er beobachtet schon seit längerem den Trend zu sogenannten "Superfoods", also Lebensmitteln, denen besondere gesundheitsfördernde Effekte zugeschrieben werden. Weil gesund und ausgewogen heute alleine nicht mehr reiche, suchten viele das absolute Wunderlebensmittel, das unseren Körper auf ungeahnte neue Ebenen hebt.

Es sei fast schon ein "spirituelles Verlangen nach Unsterblichkeit", mit der viele den neuen Superfoods wie Chiasamen oder Algenpulver hinterherjagen. "Wir versprechen uns vom Essen heutzutage einfach zu viel", sagt Klotter. Dabei könnten wir uns doch einfach damit zufriedengeben, zumindest in Europa aus tausenden verschiedenen Lebensmitteln im Überfluss wählen zu können.

In der gesamten Menschheitsgeschichte hätten sich soziale Gruppen zudem dadurch definiert, mit wem deren Mitglieder gemeinsam essen. Das schnelle Herunterwürgen von grauer Pampe am Arbeitsplatz ist wohl ohne Zweifel die Antithese dazu. (Philip Pramer, 3.2.2021)