Carola Bendl-Tschiedel hat natürlich recht: Selbstverständlich könnte man auch warten, bis das Wetter wieder besser ist. Nur ist das nicht der Punkt. Und ganz abgesehen davon sagte Carola das danach, am Abend. Also Stunden nachdem ich wieder einmal bestätigt hatte, "ein bisserl Dings" zu sein. Danach weiß man ja auch, dass es dann doch aufgehört hatte zu regnen. Der Himmel sogar fast hell wurde. Aber davor? Die drei konsultierten Wetter-Apps waren sich nämlich ausnahmsweise einig gewesen: Sie hatten für den ganzen Tag echtes Wää-Wetter vorhergesagt. Eisig. Regen. Windig. Durchgängig und konstant. Hin und wieder kurze, trockene Fenster. Ja eh: Das ist kein Rausgehwetter. "Nicht einmal den Hund …" pflegt eine gute Freundin da zu sagen. Nur: Bin ich der Hund? Nein. Eben.

Foto: thomas rottenberg

Ich bin weder "der" noch ein "harter Hund". Aber wenn auf dem Plan "Laufen" steht, dann laufe ich. Natürlich ist das reichlich "Dings". (Nebenbei: Danke an den Poster oder die Posterin, der oder die dieses Vokabel vor ein paar Wochen hier einbrachte.) Aber abgesehen davon ist es noch etwas. Eine der vielen Metaphern dafür, was Laufen (oder das, was man sonst eben an per se Sinnlosem, aber eben doch subjektiv Aufbauendem tut) ist: unter anderem etwas, das einer weitgehend spaßbefreiten und längst unplanbaren Wirklichkeit so etwas wie Struktur, die Illusion von Selbstbestimmtheit, Freude und Erfolgserlebnisse gibt.

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Mir zumindest. Auch wenn mir natürlich klar ist, dass es genau gar nichts bedeutet, geschweige denn ändert, an solchen Tagen und bei so einem Wetter rauszugehen. Und eben nicht zu tun, was vernünftig ist. Also zu warten, bis es besser wird – oder heute eben drauf zu pfeifen: Genau das ist der Punkt des Sich-nicht-Fallenlassens. Der Moment, in dem Laufen mehr wird als nur Bewegung an der frischen (hier: nasskalten) Luft: zur Metapher.

Und es spielt da auch keine Rolle, ob ein langer oder ein kurzer, ein schneller oder ein langsamer Lauf auf dem Plan steht. Probieren Sie es aus: Sobald Sie draußen sind, sobald Sie unterwegs sind, wird die Frage "Soll ich das jetzt wirklich durchziehen?" zwar immer wieder aufpoppen, aber mit jedem Schritt wird die Antwort leichter: "Na klar. Wieso nicht? Ich beweise mir doch gerade selbst, dass das geht. Und es fängt sogar an Spaß zu machen."

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Einschub: Natürlich gilt das nur mit Augenmaß und nicht uneingeschränkt. Ein bisserl mitdenken und eine gesunde Selbsteinschätzung dürfen schon vorausgesetzt werden. Im freien Gelände, im Wald oder gar im Hügeligen oder Bergland wäre Laufen in leichter Montur grob fahrlässig. Noch dazu ohne trockene Notfallausrüstung im Rucksack. Und auch im städtischen Bereich bleibe ich bei solchen Läufen in Revieren, in denen die Exitstrategie U-Bahn eine im Worstcase auch auf allen vieren erreichbare Variante ist: Bei Temperaturen knapp über Null waschelnass im Wind auszukühlen wäre definitiv keine gute Idee. "Dings" sein kennt durchaus Abstufungen und Nuancen – und ist meist nicht ganz so hirnrissig, wie es scheint.

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Und es macht auch Spaß, zu erleben, dass man damit nicht nur nicht allein ist, sondern immer mehr Menschen draufkommen, dass das tatsächlich nicht nur funktioniert, sondern auch Spaß machen kann: Noch vor drei oder vier Jahren wären mir bei so einem Lauf auch auf dieser "Hauptachse" der Wiener Laufinfrastruktur vermutlich gerade einmal zwei, vielleicht drei andere Spinner und noch weniger Spinnerinnen begegnet.

Aber das war einmal: Auf meiner mäßig schnellen 15-Kilometer-Runde vom vergangenen Freitag gab es kaum einen Moment, wo nicht zumindest ein anderer Läufer oder eine andere Läuferin in Sicht-, Gruß- und Grinsweite gewesen wäre.

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Und das mit dem Grüßen und Grinsen hat was. Gerade an Tagen wie diesen: Die derzeitige Zunahme und Dichte an "Fellow Runnern" im Stadtgebiet hat einen schönen Brauch mittlerweile fast zum Erliegen gebracht: Das Einander-beim-Vorbeilaufen-Grüßen. Zum einen, weil es ab dem Erreichen einer kritischen Masse inflationär wird und auch skurril wirkt, ständig irgendwelche Grußzeichen zu setzen oder zu erwidern. Zum anderen aber auch, weil viele "Newbies" gar nicht wissen, dass das einfach eine Geste ist. Dass dieses "Hi!" genau nix anderes als ein "Hi!" ist. Speziell Frauen schauen meist starr und oft fast erschreckt geradeaus, wenn man(n) unvermittelt grüßt. Sie werden wohl wissen, wieso. Leider.

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Aber wenn das Barometer auf "Couch" steht, ist das anders. Geschlechtsneutral anders. So viel grinsend-verschwörerischen Augenkontakt, so viel Lachen und Fröhlichkeit in den Gesichtern der Entgegenkommenden, so viele "Thumbs ups", Victory- oder "Hang loose"-Zeichen wie bei Läufen bei Sauwetter gibt es selten.

Nein, natürlich nicht in absoluten Zahlen, aber in Relation. Und den Satz "bei schönem Wetter kann das jeder" hört man sonst auch eher selten. Und das liegt nicht daran, dass er sich bei Schönwetter selbst ad absurdum führt.

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Nein, Laufen ist keine Kunst. Laufen (oder sich sonst wie aktivieren) kann (fast) jede und jeder. Aber der Schritt über den Rand der Komfortzone hinaus, also jener Moment, in dem aus dem "Nett" ein "Neu" wird, ist etwas, wovor sich viele dann fürchten: Gas geben? Weiter oder länger laufen? Sich einen Wettkampf antun? Da ist einem oft der eigene Kopf im Weg. Und wenn man sich dann einmal überwindet, ist der innere Schweinehund oft trotzdem noch da.

"So, jetzt bist du also 200 Meter flotter gelaufen. So what? Schaut die Welt jetzt anders aus? Nein, es ist nur mühsam. Wozu also noch 800 dranhängen?" Kennen Sie das?

Schlechtes Wetter, richtiges Sauwetter, kann da tatsächlich eine Hilfe sein: Wenn Sie es da trotzdem raus schaffen, ist die Komfortzone schon verlassen. Und weit weg: Sie sind schon nass. Es ist schon kalt. Und um wieder ins Warme, Trockene zu kommen, hilft jetzt nur eines: weiterlaufen.

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Dass hier der Verweis auf den Bikerstehsatz kommt, dem zufolge es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Ausrüstung gibt, ist zwingend. Wobei ich das (mit Verweis auf den "Augenmaß, Hirn und bitte nicht überall"-Einschub weiter oben) erweitern oder abändern möchte. Zu: "Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Einstellung."

Weil: Nass werden Sie bei diesem Wetter in jedem Fall. Wenn nicht von außen, so doch von innen. Weil man gerade bei solchen Bedingungen dazu neigt, sich so einzupacken, dass man dann am eigenen Dampf erstickt.

Ich selbst ja auch: Beim Loslaufen war meine Standard-Stadtwinter-Kombi (Skiunterleiberl, darüber ein Laufshirt und eine leichte, Wasser halbwegs abweisende Jacke) subjektiv genau richtig. Dreiviertelhose und leichte Schuhe sowieso.

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Nach dem Warmlaufen kam die Jacke um die Hüften. So wie immer. Aber der eisige Wind kühlte das bald regennasse Shirt dann doch ein wenig zu stark: Shirt weg, Jacke an – und doch zu warm: Tatsächlich wäre die Kombi Thermoshirt, T-Shirt, leichtes Gilet ideal gewesen. Subjektiv: Andere kamen mir fett wasser- und frostfest eingepackt, mit schweren Gore-Stiefeln, teils sogar maskiert, entgegen. Ich wäre da an Überhitzung in der Sekunde kollabiert – aber für die anderen Läuferinnen und Läufer war es (hoffentlich) genau richtig.

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Ach ja, auch wenn das eigentlich off-topic ist: Was mir der Eisregen übrigens nicht zum ersten Mal zeigte, war, dass ich immer noch zu viel Waschmittel in die Maschine gebe. Obwohl ich eh schon unter der Hälfte der "nötigen" Menge bin. Die Kombination aus eiskaltem Wasser von außen und Hitze von innen dürfte Waschpulverreste ausdünnen, einschichtig getragene Funktionstextilien "rauskochen". Vermutlich ist das nicht nur bei Funktions- und Sportteilen so, aber bei denen sehe und erlebe ich es immer wieder. Nicht nur bei mir. Und unabhängig von den verwendeten Waschmitteln.

Falls es da sinnvolle Hinweise gibt: Gerne. Danke.

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Und noch ein Einschub: Ja, Sie dürfen stolz auf sich sein, wenn Sie bei so einem Wetter rausgehen. Aber: Bleiben Sie demütig, und laufen Sie mit offenen Augen.

Denn wir sind freiwillig draußen. Und auch nur, weil wir wissen, dass es danach die sichere Komfortzone, die heiße Dusche, das Sofa, die trockene, warme Wohnung gibt: Sogar auf dieser Runde durch das Wohlstandsfreizeitherz der Stadt kann ich Ihnen aber acht bis zehn Schlafstellen im Freien nennen. Die meisten haben die MitarbeiterInnen des Kältetelefons der Caritas (01 480 45 53) längst auf dem Radar.

Trotzdem: Lieber einmal zu oft fragen, ob eh alles okay ist, als einmal zu wenig.

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Aber zurück zum Laufen. Zum heroischen Gefühl danach.

Zum Grinsen, wenn Sie sich selbst dazu gratulieren, sich eben doch überwunden zu haben. Wenn das Familien- und Freunde-Verdikt, dass Sie "schon ein bisserl Dings" sind, nicht nach Spott, sondern Lob schmeckt: Genießen Sie das, und seien Sie stolz. Egal ob Sie dem "Toben der Elemente" soeben 15 Minuten oder vier Stunden getrotzt haben: Darum geht es nicht.

Es geht wieder einmal um die Metapher. Darum, sich selbst überwunden zu haben. Um den Schritt aus der Komfortzone.

Denn natürlich hat Carola Bendl-Tschiedel, ganz nebenbei eine Spitzenläuferin, die weiß, was "Reinbeißen" ist, recht, wenn sie sagt, dass man doch auch auf besseres Wetter hätte warten können.

Aber da ist dann eben doch der Satz, den man unterwegs nicht nur einmal gehört hat: "Bei schönem Wetter kann das jeder." (Tom Rottenberg, 2.2.2021)

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