Stellen wir uns kurz vor, die Covid-19-Krise hätte 1980 begonnen. Kommunikation per "Kronen Zeitung", ORF mit zwei Programmen und Sendeschluss, die "FAZ" bei der Bahnhofstrafik als Gipfel der Internationalität. "Telefongebühren", ein Vielfaches höher als heute.

Stellen wir uns kurz vor, die Covid-Krise hätte zwar 2020 begonnen, aber das Internet hätte der sprunghaften Mehrbelastung nicht standgehalten. Oder die auf dem Internet aufsetzenden, sogenannten Over-the-Top-Dienste (Facebook, Whatsapp, et cetera) und Plattformen wären nicht verfügbar gewesen. Kommunikation per Brief, derstandard.at oder ORF.at nicht erreichbar, Home-Office unmöglich, und und und.

Die Corona-Krise hat uns (wieder) daran erinnert, wie wichtig elektronische Kommunikation geworden ist, wie fragil das Gleichgewicht ist, das hier herrscht (technisch, ökonomisch, rechtlich) und wie abhängig wir in Europa von asiatischen Hardware- und US-amerikanischen Softwareinfrastrukturen (geworden) sind. Dieses Gleichgewicht verlangt (auch) ausgewogene rechtliche Rahmenbedingungen.

Die EU ist in Sachen Internet und Technologie besonders abhängig von den USA und China.
Foto: Nikolaus Forgo

Doch erst 2021

Alle paar Jahrzehnte macht sich die Europäische Union deshalb auf, diese Rahmenbedingungen neu festzusetzen. Nach einem großen Anlauf im Jahr 2002 war es im Dezember 2018 wieder so weit: Mit der Richtlinie 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation wurde das gesamte Telekommunikationsrecht neu gefasst. Die Richtlinie wäre bis zum 21. Dezember 2020 umzusetzen gewesen, auch in Österreich.

Bald war klar, dass (auch) in Österreich eine komplette Neufassung des TKG anstehen würde, deswegen wartete die gesamte Community das gesamte Jahr 2020 auf den Ministerialentwurf zum TKG 2020, präsentierte Entwürfe, veranstalte Symposion, und so weiter.

Allein: Der Entwurf kam nicht. Zuständig für ihn ist übrigens nicht das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (Digitales!), nicht das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (Europa!), nicht das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (Technologie!), nicht das Bundesministerium für Justiz (Datenschutz!), sondern das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus.

Im zuständigen Landwirtschaftsministerium

Das also zuständige Landwirtschaftsministerium (das wird noch wichtig) veröffentlichte am 20. Dezember 2020, also an jenem Tag, an dem das Gesetz eigentlich hätte in Kraft treten müssen, endlich den Entwurf zum TKG 2020, bei dem somit schon der Titel falsch ist. Das TKG 2020 kommt ja (frühestens) 2021, was seit der Präsentation des Entwurfs klar war - und in einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Finanzen auch in wunderschöner Kanzleisprache bemerkt wird: "Das Bundesministerium für Finanzen beehrt sich, [...], fristgerecht wie folgt Stellung zu nehmen: Allgemein wird angemerkt, dass eine Korrektur des Titels auf Telekommunikationsgesetz 2021 angemessener wäre, wenn es erst im Jahr 2021 beschlossen wird." Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren sind bis zum 10. Februar 2021 möglich.

Man kann viel Grundsätzliches zum EECC und zum Vorschlag für ein TKG 2020 sagen. Dazu ist hier nicht der Ort, deswegen nur drei Streiflichter (von vielleicht 100 möglichen):

China

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hardware, mit der wir telefonieren, Whatsappen, routen, funken und so weiter aus Asien, meist aus China, kommt, ist hoch. Die Vorstellung, dass irgendwer, zum Beispiel in der Covid-Krise, irgendwo irgendeinen Kill-Switch umlegen könnte und das Internet wäre tot, ist beunruhigend. Ebenso unangenehm ist die Idee, die elektronische Kommunikation würde systematisch ausgespäht (so, wie wir das spätestens seit Snowden wissen, das war allerdings nicht China).

In der Sprache des TKG 2020 führt das dazu, dass ein Anbieter zum sogenannten Hochrisiko-Lieferanten (§ 44a Abs. 1 TKG-E) erklärt werden kann, was nach den Erläuterungen zum Gesetz "auf die vertraglichen Verhältnisse mit diesem Anbieter wirtschaftlichen Einfluss haben könnte" zur Folge hat: Im Klartext: Der Anbieter fliegt aus dem Markt. Unter welchen Voraussetzungen? Tja, wenn man das wüsste, in § 44a Abs. 3 heißt es dazu nur:

"(3) Bei der Beurteilung der Einstufung nach Abs. 1 sind insbesondere folgende Kriterien heranzuziehen [...]:
1. Mängel in der Qualität der Produkte und Cybersicherheitspraktiken des Herstellers,[...];
2. eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Einwirkung von Regierungsorganisationen eines Drittstaates auf den Lieferanten;
3. die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Lieferanten durch  gesetzgeberische Akte eines Drittstaates, falls der Lieferant in diesem Drittstaat seinen Sitz hat;
4. das Fehlen von Sicherheits- oder Datenschutzübereinkommen zwischen der Europäischen Union und dem Sitzstaat des Lieferanten, sofern es sich dabei um einen Drittstaat handelt;
5. die Fähigkeit eines Drittstaates, Druck auf den Hersteller auszuüben, insbesondere hinsichtlich des Produktionsstandorts;
6. bestimmte Charakteristika in der Eigentümerstruktur des Herstellers, die eine Einflussnahme eines Drittstaates ermöglichen;
7. ein unzureichendes Ausmaß der Fähigkeit des Herstellers zur Gewährleistung einer durchgängigen Versorgung."

Und welche Folgen hätte das? Wie man das wirtschaftliche Risiko der Anbieter begrenzen könnte, die bei Infrastrukturinvestitionen ja heute zwischen asiatischen (billig! schnell!) und sonstigen Komponenten wählen müssen und können? Tja, wenn man das wüsste. Im TKG-E steht dazu nichts.

Datenschutz

Natürlich enthält der TKG-E erneut eine Vielzahl von Bestimmungen, sogar einen ganzen Abschnitt (den 14.) zum Kommunikationsgeheimnis und zum Datenschutz. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Es handelt sich um eine mehr oder weniger wortwörtliche Übernahme der bisherigen Bestimmungen. Damit bleiben all die komplizierten Fragen zum Verhältnis zwischen DSGVO, E-Privacy-Richtlinie, nationalem Datenschutzgesetz und TKG wie bisher: vor allem kompliziert und unbeantwortet. Das freut eine Berufsgruppe: für die Meinigen, die Juristinnen und Juristen, wird es weiterhin genug zu tun geben.

Die noch schlechtere Nachricht: Es gibt keine Vergleichsversion zwischen den bisher gegolten habenden und den neuen Formulierungen, man muss also, will man sich einen systematischen Überblick über die Rechtslage bilden, mühsam Wort für Wort vergleichen. Das macht ein Kommentieren im Begutachtungsverfahren (noch) schwierig(er).

Auch das ist übrigens schon anderen aufgefallen:

Haftung

Der Entwurf kommt, wir erinnern uns, aus dem Landwirtschaftsministerium. Das erklärt vielleicht eine Bestimmung wie diese (§ 56 Abs. 6 TKG-E):

"(6) Die Haftung des durch ein Leitungsrecht Belasteten für Beschädigungen der Kommunikationslinie oder daraus entstehende Folgeschäden ist, ausgenommen bei Personenschäden, im Falle grob fahrlässiger Schadenszufügung insgesamt mit der Höhe der erhaltenen Abgeltung, im Falle von wiederkehrenden Abgeltungen mit einem Jahresbetrag begrenzt. Zur Entscheidung über derartige Ersatzansprüche sind die ordentlichen Gerichte zuständig."

Im Klartext bedeutet das, vereinfacht: Bäuerin Berta hat ein Feld. Durch dieses Feld ist eine Telekommunikationsleitung vergraben. Berta erhält dafür eine (jährliche) "Miete". Leider hat sie vergessen, wo die Leitung läuft. Beim Pflügen durchtrennt sie beherzt die Leitung. Ein paar Tausend Internetnutzer wundern sich ein paar Stunden (Tage?) lang über den Netzausfall.

Und was wäre die Folge? Die Haftung bei einfacher Fahrlässigkeit soll (wohl) überhaupt entfallen, bei grober Fahrlässigkeit ist sie mit einer "Jahresmiete" beschränkt. Berta zahlt also gar nicht oder nur sehr wenig. Umgekehrt soll der, der die Leitungen verlegt, verschuldensunabhängig für alle Schäden an Bertas Feld haften, selbst dann, wenn Berta diese selbst (leicht) fahrlässig verschuldet hat (§ 55 Abs. 5 TKG-E).

Wer sich fragen sollte, wie es so etwas gibt: Das weiß ich auch nicht. Im EECC vorgesehen ist das natürlich nicht. In den Erläuterungen findet sich keinerlei Begründung. Die Norm wird, würde sie Gesetz, zweifellos dazu führen, dass sich die Bertas dieses Landes nicht mehr so genau überlegen, wo in ihren Feldern eigentlich die Leitungen laufen und das wiederum wird zur Folge haben, dass die Ausfallssicherheit (vielleicht dramatisch) sinkt. Eins weiß ich daher: Dem Hauptziel des TKG einer "Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit zuverlässigen, preiswerten, hochwertigen und innovativen Kommunikationsdienstleistungen" wird (auch) diese Bestimmung nicht förderlich sein.

Bleiben wir optimistisch: Das Begutachtungsverfahren läuft noch, Änderungen sind noch möglich und die Wichtigkeit des Themas ist bekannt. Vielleicht gibt es noch Raum für Verbesserungen. Vielleicht wird 2021 ja doch besser als 2020. Oder 1980. (Nikolaus Forgó, 4.2.2021)

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