Foto: EPA / Yuri Kochetchkov

Moskau – Nun gibt es erstmals auch eine belastbare wissenschaftliche Studie zum russischen Beitrag zur Pandemiebekämpfung. In der Fachzeitschrift "The Lancet" ist am Dienstag ein Zwischenergebnis einer Phase-3-Studie mit 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern erschienen. Sie bestätigt im Wesentlichen die bisherigen Werte, die über das Vakzin das Gamaleja-Instituts bekannt waren. Demnach erzielt dieses eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent gegen symptomatische Covid-19-Erkrankungen. Das bedeutet, dass in der geimpften Gruppe 91,6 Prozent weniger symptomatische Erkrankungen pro 100 Probanden auftraten als in der Kontrollgruppe.

Russland strebt eine Registrierung in der EU an. In mehr als 15 Ländern wird der Impfstoff mittlerweile im Kampf gegen Corona eingesetzt, Ungarn hat trotz fehlender EU-Zulassung schon zwei Millionen Dosen bestellt. Mit einer Wirksamkeit von 91,6 Prozent hätte der russische Impfstoff in etwa die gleiche Wirksamkeit wie sie jene von Moderna (95 Prozent), Biontech/Pfizer (95 Prozent) und Novavax (89 Prozent) gegen die bisher kursierende Variante des Virus hatten – und eine höhere als das Mittel von Astra Zeneca (zwischen 60 und 90 Prozent) und jenes von Johnson & Johnson/Janssen (72 Prozent). In der EU zugelassen sind bisher nur die Vakzine von Moderna, Pfizer/Biontech und Astra Zeneca.

Bei Novavax und Johnson & Johnson hatte sich allerdings gezeigt, dass die Wirksamkeit der Impfung beim Einsatz gegen die neuen Varianten des Virus, insbesondere gegen jene aus Südafrika, B.1.351, sinke (Novavax: 60 Prozent, Johnson & Johnson: 57 Prozent). Daten des Sputnik-V-Vakzins zu dieser Frage gibt es bisher nicht. Diese Variante kursiert mittlerweile auch in Österreich. Insbesondere in Tirol hatten sich im Umfeld von Skikursen Cluster entwickelt.

Vier Todesfälle

Insgesamt wurden von den knapp 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie, die in Russland durchgeführt wurde, 14.961 mit dem Impfstoff und 4.902 mit einem Placebo geimpft. Von den Menschen aus der Placebo-Gruppe erkrankten 62 Personen an Covid-19, von jenen, die das Vakzin erhalten hatten, 16. In der Untersuchung waren auch mehr als 2.000 Menschen über 60 Jahre vertreten. Bei ihnen hatte der Impfstoff eine statistisch gesehen identische Wirkung von 91,8 Prozent.

Insgesamt gab es in der Studie vier Todesfälle: Neben einem Schlaganfall in der Placebo-Gruppe verstarben drei Personen nach der Impfung. Einer der Fälle steht mit einem Knochenbruch im Bereich der Wirbelsäule – also vermutlich einem Unfall – in Verbindung. Die beiden anderen Todesfälle stehen mit Covid-19 in Zusammenhang, traten aber nur wenige Tage nach der Impfung auf, weshalb angenommen wird, dass diese noch keine Wirkung entfalten konnte. Keine Daten wurden zur Wirkung gegen asymptomatische Corona-Fälle oder zur Frage, ob Geimpfte selbst ansteckend sind, erhoben.

Auch eine Dosis entfaltete Wirksamkeit

Ergebnisse gibt es allerdings zur Frage, ob auch eine einzige Impfdosis bereits Schutz bieten kann. Und auch diese fallen erfreulich aus. Laut den Daten bot die Impfung in der Zeit nach der ersten, aber vor der zweiten Dosis – also 15 bis 21 Tage nach der ersten Gabe – bereits eine Wirksamkeit von 73,6 Prozent gegen schwere und mittelschwere Covid-19-Verläufe. Dieses Ergebnis ist sehr ähnlich wie jenes, das das Unternehmen Johnson & Johnson vergangene Woche für seinen Impfstoff vermeldet hatte, der im Wesentlichen auf der gleichen Technologie beruht und nur einmal verabreicht wird. Vor diesem Hintergrund soll nun auch ein Impfstoff namens Sputnik V light entwickelt werden, der ebenfalls mit nur einer Dosis auskommen würde.

Zusätzlich ist eine Kooperation des Gamaleja-Instituts mit Astra Zeneca im Gespräch. Beide benützen für ihre Impfungen einen sogenannten viralen Vektor. Im Falle von Astra Zeneca ist dies ein genetisch veränderter Schimpansen-Erkältungsvirus, ein Adenovirus, mit dem als Vektor Erbmaterial von Sars-CoV-2 in menschliche Zellen eingeschleust wird. Auch Sputnik V nützt einen Adenovirus, allerdings einen menschlichen – wobei in diesem Fall für erste und zweite Dosis unterschiedliche Adenoviren verwendet werden. Damit wird unter anderem die Gefahr eingeschränkt, dass es zu einer Immunität gegen das Trägervirus kommt, das dann das Corona-Erbgut nicht mehr in die Zellen befördern könnte. Bei einer Kombination der beiden Impfstoffe – eine Dosis Astra Zeneca, eine Dosis Sputnik – wäre diese Gefahr ebenfalls gebannt. Und Astra Zeneca könnte im Gegenzug Türen für eine Zulassung in der EU öffnen helfen.

Es habe bei Sputnik V nur in wenigen Fällen schwerwiegende Nebenwirkungen gegeben, die die Forscher aber nicht auf das Vakzin zurückgeführt hätten, hieß es. Die meisten Freiwilligen hätten von milden Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptomen und Schmerzen am Arm berichtet. Während der Studie habe es zudem vier Todesfälle gegeben, die den Wissenschaftern zufolge aber nicht im Zusammenhang mit der Impfung gestanden hätten. Ein Freiwilliger habe einen Schlaganfall erlitten.

Reaktion auf Kritik

Den russischen Forschern zufolge wurde Sputnik V auch an mehr als 2.000 Menschen über 60 Jahren getestet. In dieser Gruppe sei das Vakzin "ähnlich wirksam und gut verträglich gewesen", hieß es in der Studie. Sie sei aber noch nicht abgeschlossen. Insgesamt sollte der Corona-Impfstoff an 40.000 Freiwilligen getestet werden. Die Freigabe in Russland erfolgte vor gut einem halben Jahr.

Damals gab es international Kritik, weil die Erlaubnis für eine breite Anwendung in der Bevölkerung vorlag, obwohl bis dahin wichtige Tests noch nicht begonnen hatten. Erste Details zu dem Wirkstoff hatten die Forscher Anfang September in "The Lancet" veröffentlicht. Mehrere internationale Wissenschafter kritisierten diese Studie.

"Studie ist überzeugend"

Die Forscherin Polly Roy von der London School of Hygiene & Tropical Medicine sagte, es habe Kritik an Sputnik V wegen dessen schneller Entwicklung und mangelnder Transparenz gegeben. Das nun vorliegende Ergebnis sei hingegen eindeutig. Das wissenschaftliche Prinzip der Impfung sei aufgezeigt worden, sagte sie "The Lancet". Karl Lauterbach, Epidemiologe und medizinischer Sprecher der deutschen Regierungspartei SPD, sagte auf Twitter, die neue Studie sei "überzeugend". Aus seiner Sicht sei das auch Anlass genug dafür, dass die europäische Arzneimittelagentur EMA nun die Zulassung der Vakzine auch in Europa prüfen solle.

Denis Logunow vom Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau, das den Wirkstoff entwickelt hat, sagte: "Um die Covid-19-Pandemie zu stoppen, muss es verschiedene Impfstoffe geben, die auf unterschiedlichen Wirkmechanismen basieren." Sputnik V trage zur Diversifizierung der Impfstoffe bei. (mesc, red, APA, 2.2.2021)