Eines der wenigen Games, die die Shoah seriös wiedergeben, ist das Berliner Spiel "Through the Darkest of Times".

Foto: Through the Darkest of Times

Kaum eine historische Periode wurde so oft in Videospielen thematisiert wie der Zweite Weltkrieg. Spielreihen wie Battlefield, Medal of Honor oder Company of Heroes versetzen Spieler in die Rolle von Soldaten, die mit den Gräueln des Krieges konfrontiert werden. Als Kämpfer werden sie in den meisten Fällen selbst damit beauftragt, ihre Feinde anhand unterschiedlichster Spieltechniken zu töten.

Der Grund für die große Popularität dürfte dem Historiker Eugen Pfister zufolge darin liegen, dass es beim Zweiten Weltkrieg besonders leicht ist, Freund und Feind zu unterscheiden – schließlich sind sich fast alle einig, dass Nationalsozialisten die "Bösen" sind. Dabei wird allerdings ein entscheidender Aspekt des Horrors des Zweiten Weltkriegs meistens weggelassen: der Holocaust. In den wenigsten Games mit hohem Entwicklungsbudget wird die Thematik nur angesprochen, und wenn es geschieht, wird auf eine breitere Auseinandersetzung verzichtet. "In Computerspielen war die Tradition, das Thema total auszusparen", sagt Pfister im Gespräch mit dem STANDARD.

Angst vor Kontroversen

Das Phänomen lässt sich vor allem bei den Herstellern von Titeln beobachten, die bei der Entwicklung und beim Marketing besonders kostenintensiv waren. Derartige Spiele werden auch – der Begriff wurde aus dem Finanzwesen entlehnt – als "Triple A"-Titel bezeichnet. Gerade bei diesen würden die dahinterstehenden Studios Kontroversen befürchten: "Niemand traut sich, den ersten Schritt zu machen", sagt Pfister. Triple-A-Titel seien häufig aus Sicht der Publisher "too big to fail". Daher gehe man "null Risiken" ein, erklärt der Forscher. "Die Motivation war zudem aus meiner Sicht einerseits eine gewisse Angst, etwas Unethisches zu tun, aber auch, den Holocaust zu einem Spiel zu verwandeln."

Insofern seien die Gründe nachvollziehbar. Doch auch die Tatsache, dass "gewisse Politiker sehr schnell übertrieben reagiert haben", spiele eine Rolle. Lange Zeit war es in Deutschland verboten, Hakenkreuze in Videospielen zu zeigen. Anders als Filme etwa fallen Videospiele nicht in die Ausnahmeregelung bezüglich der Verwendung von verfassungswidrigen Symbolen in "der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte", wie es im deutschen Strafgesetzbuch steht. Das änderte sich 2018. Die deutsche Prüfstelle Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) untersucht seitdem jedes Spiel einzeln und entscheidet je nach Kontext, anstatt NS-Symbolik generell zu verbieten. Auch aufgrund einer Kontroverse: Im Jahr davor war das Spiel Wolfenstein: The New Colossus veröffentlicht worden, das in der deutschen Fassung massiv zensiert wurde.

Herr Heiler statt Hitler

Das Spiel, das ein Alternativuniversum zeigt, in dem die Nazis den Krieg gewonnen haben, thematisierte Konzentrationslager offen – aus Pfisters Sicht auch deshalb, weil es keine historische Erzählung war, sondern eine Science-Fiction-Geschichte. In der in Deutschland verkauften Version wurden aber nicht nur Hakenkreuze und SS-Runen entfernt, sondern die gesamte Geschichte umgeschrieben. "Adolf Hitler hatte plötzlich keinen Schnauzer mehr, sondern wurde rasiert und hieß Herr Heiler", sagt Pfister.

"Zudem wurde jede Erwähnung von Juden in der deutschen Version entfernt. Statt Juden ließ Herr Heiler Verräter hinrichten. Der Holocaust wurde so gelöscht. Das fanden meine Kollegen und ich besonders problematisch", denn: "Wir sehen in dem Spiel zwar das NS-Regime, den Nationalsozialismus und die Erklärung, dass Nazis böse sind – aber es werden nicht die Gründe genannt, warum. Außer, dass sie Deutsch sprechen und eine klare Nazi-Ästhetik haben." Eine der wichtigsten Erinnerungen der Post-Kriegsgesellschaft werde durch ein derartiges Vorgehen entleert. "Es ist nur noch die Oberfläche zu sehen." Ohne Kontext drohen Nazis nur noch als "karikaturhafte Bösewichte" in Erinnerung zu bleiben. "Irgendwo müssen wir die Shoah in unserer Erinnerung wachhalten. Holocaust-Mahnmale und Erinnerungsstätten erreichen im Vergleich zu der Populärkultur einen viel kleineren Teil der Bevölkerung."

Videospiele werden erwachsen

Gamesentwickler würden aber langsam beginnen, das Medium ernster zu nehmen. In dem Spiel Call of Duty: World War 2 von 2017 etwa wird der Holocaust zwar nie wörtlich erwähnt, während aber der Erzähler im Epilog vom Grauen des Krieges spricht, ist ein Schwarz-Weiß-Foto eines KZ-Häftlings mit erkennbarem Judenstern zu sehen – für eine derart populäre Spielreihe ein Novum. "Während des Gameplays geht man durch ein Lager, das ist aber eines für Kriegsgefangene. Sie haben sich also nicht getraut, so weit zu gehen und einen Spieler in ein Konzentrationslager zu schicken."

In Zukunft dürften sich noch mehr Games damit auseinandersetzen. Dass das so schleppend passiere, liege auch daran, dass Videospiele ein junges Medium seien. "Bei Filmen war es ja ähnlich", sagt Pfister. "In den 70ern erschien etwa die Serie Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss, bei der intensiv debattiert wurde: Darf man das überhaupt? Und auch bei Schindlers Liste wurde infrage gestellt, ob ein Hollywood-Film die Geschichte des Holocaust so erzählen dürfe. "Mittlerweile ist man sich aber einig, dass der Film etwas Gutes für die Erinnerungskultur ist. Etwas Ähnliches wird bei Videospielen passieren." Nicht jede Umsetzung werde gut oder intelligent sein – aber das müsse man sich im Einzelfall anschauen.

Als Beispiele für Spiele, die die Thematik seriös behandeln und die eine USK-Freigabe erhielten, nennt Pfister das tschechische Spiel Attentat 1942 und das Berliner Game Through the Darkest of Times. Ersteres sei der Versuch einer Dokumentation und liefere wenig Interaktivität. Bei Through the Darkest of Times simulieren Spieler hingegen eine Widerstandszelle und müssen Aktivitäten gegen das Nazi-Regime setzen. Die beiden Spiele seien von großen Publishern wahrgenommen worden und hätten eine Vorbildfunktion. "Ich glaube, da werden sich auch andere Studios künftig viel mehr trauen." (Muzayen Al-Youssef, 3. 2. 2021)