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Überraschungs- und Wunschkandidat in Personalunion: Mario Draghi.
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Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbanl (EZB), Mario Draghi, soll offenbar Giuseppe Conte als Italiens Ministerpräsident beerben. Draghi wurde am späten Dienstagabend von Staatspräsident Sergio Mattarella für Mittwoch zur Mittagsstunde in den Quirinalspalast, den Amtssitz des Staatspräsidenten, bestellt.

"Die gesundheitliche und die wirtschaftliche Krise erfordern eine Regierung im Vollbesitz ihrer Funktionen", betonte Mattarella am Abend und appellierte an "alle politischen Kräfte", ihrer Verantwortung für das Land gerecht zu werden und eine künftige Regierung der nationalen Einheit zu unterstützen.

Die Entscheidung Mattarellas fiel, nachdem am Dienstag der Versuch, einer neuen Regierung mit den bisherigen Koalitionspartnern und erneut mit Giuseppe Conte an der Spitze den Weg zu ebnen, gescheitert war: Einem entsprechenden Erkundungsmandat von Roberto Fico, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, war kein Erfolg beschieden.

Draghi – der in Italien auch scherzhaft nach der Heldenfigur eines legendären Videospiels "Super-Mario" genannt wird – galt in Rom für viele als Wunschkandidat für den Fall, dass Conte definitiv als Regierungschef ausscheiden sollte.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und der sozialdemokratische PD, die beiden größten bisherigen Regierungsparteien, hätten sich zwar lieber eine Neuauflage der alten Koalition mit Conte an der Spitze gewünscht, werden aber Draghi ziemlich sicher unterstützen – so weit die Theorie am Dienstagabend. Mittwochfrüh drohten die Fünf Sterne schon mit Widerstand: Man wolle "keine technokratische, sondern eine politische Regierung".

Matteo Renzi sieht sich als Draghis Königsmacher.
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Für Ex-Premier Matteo Renzi bedeutet die Aussicht auf eine Regierung Draghi einen großen Triumph: Renzi hatte, auch wenn er es nie öffentlich zugeben wird, die aktuelle Regierungskrise vor allem aus dem Grund ausgelöst, Conte durch Draghi zu ersetzen.

Positive Signale aus Teilen der Opposition

Unterstützung dürfte der frühere EZB-Chef zumindest teilweise auch von der bisherigen Opposition erhalten: Silvio Berlusconi und seine Forza Italia haben in den letzten Tagen mehrfach durchblicken lassen, dass sie sich einer Regierung der nationalen Einheit nicht verschließen würden.

Offen ist die Haltung der rechtsnationalistischen Lega von Matteo Salvini und der postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni. Diese hatten bisher immer Neuwahlen gefordert.

Der 73-jährige Römer Draghi ist den Italienern nicht nur als ehemaliger Chef der EZB ein Begriff: Vor seiner Wahl in den Eurotower in Frankfurt im Jahr 2011 war er fünf Jahre lang Präsident der italienischen Notenbank. Schon mit 35 Jahren wurde er Professor für Ökonomie an der Universität von Florenz, mit 37 amtierte er bereits als Exekutivdirektor der Weltbank in Washington.

Seine akademische Karriere krönte Draghi 2001 mit einer Professur an der Eliteuniversität Harvard. Daneben sammelte er Erfahrungen bei Goldman Sachs, im italienischen Wirtschaftsministerium und bei der Finanzaufsicht; außerdem war er Mitglied des Verwaltungsrats der Staatsholding IRI, des Energiekonzerns Eni und der Banca Nazionale del Lavoro.

Start schon am Wochenende?

Wenn alles planmäßig läuft, könnte die neue Regierung von Draghi voraussichtlich schon am Wochenende vereidigt werden. Sollte sich die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit hingegen als nicht praktikabel erweisen, bliebe Mattarella nichts anderes übrig, als das Parlament aufzulösen und Neuwahlen im März oder spätestens im Juni anzuordnen.

Die Pläne für ein Kabinett "Conte III" sind wohl endgültig gescheitert.
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Neuwahlen sind aber gleich aus zwei Gründen unwahrscheinlich: Zum einen ist man sich in Rom einig, dass sich das Land mitten in einer dreifachen Notlage – gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial – keinen monatelangen Wahlkampf leisten kann. Zum anderen hat der größte Teil der Parlamentarier keine Lust auf Neuwahlen, da wegen der Verkleinerung des Parlaments von 945 auf 600 Sitze die Chancen auf eine Wiederwahl noch nie so schlecht waren. Allein schon deswegen werden die "Onorevoli" und "Senatori" einer neuen Regierung ohne Neuwahl gerne ihre Hand reichen. (Dominik Straub aus Rom, 2.2.2021)