Wien – Katrin Beierl hat als erste Österreicherin einen Gesamtweltcup im Bobsport gewonnen. Mit an Bord hatte sie die im Dezember eingebürgerte Jennifer Onasanya. Der Erfolg gegen die Übermacht aus Deutschland ist eine kleine Sensation. Und die gelang wohlgemerkt ohne einen einzigen Rennsieg. Am Freitag beginnt die Weltmeisterschaft im deutschen Altenberg.

STANDARD: Ihre Mutter Ulrike Kleindl nahm 1988 an den Olympischen Spielen in Seoul als Weitspringerin teil. War sie eine Inspiration?

Beierl: Die Urkunde hing zu Hause auf der Toilette. Ich habe sie also jeden Tag gesehen. Natürlich hat das geprägt, mein Vater war zudem Militärweltmeister im Hammerwurf. Ich bin auf dem Leichtathletikplatz aufgewachsen, ich habe immer Wettkämpfe bestritten. Eigentlich wollte ich als Leichtathletin zu Olympia.

Katrin Beierl und ihre Bremserin Jennifer Onasanya halten Kristall in den Händen: "Es hat alles für uns gespielt."

STANDARD: Mit dem Bob geht es vermutlich einfacher. Ist das eine Überlegung gewesen?

Beierl: Wenn man sieht, dass es mit der Leichtathletik nichts mehr wird, ist der Bob eine gute Möglichkeit, um bei den Spielen dabei zu sein. Ich hatte die Chance auf Olympia bereits für tot geglaubt. Und dann bin ich plötzlich in einem Schlitten gesessen.

STANDARD: Sie waren Schülermeisterin über 80 Meter Hürden. Wird jede Leichtathletin in Österreich gefragt, ob sie in einen Bob steigen möchte?

Beierl: Zumindest jede, die gut ist. Natürlich muss man noch ein paar körperliche Voraussetzungen mitbringen. Es müssen schon mehr als 70 Kilogramm Körpergewicht sein, sonst kommt der Bob nicht ins Fahren. Im Eiskanal ist die Konkurrenz kleiner als in der Leichtathletik. Ein geschenkter Weg ist es aber auch nicht.

STANDARD: 2018 beendeten Sie Olympia auf Rang 17. In Peking werden Sie 2022 wieder dabei sein, jetzt wollen Sie eine Medaille. Ist das eine realistische Zielsetzung?

Beierl: Wir arbeiten hart daran. Am Tag X muss alles stimmen, das ist jetzt nicht mehr ganz unrealistisch. Olympia liefert immer wieder große Geschichten, wir wollen eine davon schreiben. Dazu haben wir auch Jennifer nach Österreich geholt, bisher hatte sie in den Niederlanden einen Vollzeitjob in der Pflege von Schwerbehinderten.

STANDARD: Jennifer Onasanya wurde im Dezember 2020 eingebürgert. Ist es moralisch vertretbar, Sportlern einen österreichischen Pass zu geben und einen Monat später in Österreich geborene Jugendliche abzuschieben?

Beierl: Ich verstehe nicht, dass wir in einem Land leben, das integrierte Menschen abschiebt. Das ist für mich unbegreiflich. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Auch wenn Jennifer ihren Pass abgibt, bekommt ihn deshalb nicht das zwölfjährige Mädchen.

Video: Der Triumph im Gesamtweltcup wurde mit einem dritten Rang in Innsbruck fixiert.
IBSF Bobsleigh & Skeleton

STANDARD: Mit Onasanya haben Sie eben den Gesamtweltcup gewonnen. Das ist eine kleine Sensation. Sie konnten als eines von zwei Teams alle Rennen bestreiten. Haben Sie die Gunst der Stunde genutzt?

Beierl: Absolut. Es ist uns bewusst, dass das keine ganz normale Saison war. Es hat alles für uns gespielt. Die Nordamerikanerinnen waren am Anfang nicht dabei, die Deutschen haben jeweils ein Rennen ausgelassen. Wir haben die Auflage verwertet. Mit dem Gesamtweltcup haben wir vor Saisonbeginn nicht spekuliert, umso größer ist jetzt die Freude.

STANDARD: Ein Sieg in einem Weltcuprennen fehlt Ihnen noch. Ist es einfacher, den Gesamtweltcup zu gewinnen, als ein Rennen?

Beierl: In unserem Fall anscheinend schon. Wir waren in Innsbruck sehr knapp dran, da haben sechs Hundertstel gefehlt, in Sigulda waren es 13 Hundertstel. Das ist nicht viel, irgendwann wird es passieren. Im Gesamtweltcup zählt die Konstanz, wir waren bis auf ein Rennen immer unter den ersten fünf.

STANDARD: Der Bobsport ist eine Schlacht um Hundertstelsekunden.

Beierl: Die Fahrten müssen perfekt sein, der Start muss schnell sein, und das Material muss laufen. Ganz vorne wird es eng, in Innsbruck schiebt es sich zusammen. Das wird bei der Weltmeisterschaft in Altenberg nicht der Fall sein, die Bahn ist selektiver.

STANDARD: Die Weltmeisterschaft startet am Freitag. Was ist möglich?

Beierl: Wir waren dort im vergangenen Jahr nur Neunte. Das wird nicht einfach. Wir wollen zeigen, dass wir auch bei einem vollbesetzten Feld in die Top Drei fahren können. Das haben wir zuletzt auch in Winterberg und in Igls geschafft. Warum also nicht? Wir haben keinen großen Druck. Die Favoritinnen kommen aber aus Deutschland.

Beierl und Onasanya im Eiskanal: "Man schmeißt sich in einen Schlitten, der nicht gepolstert ist."
FOTO: APA/EXPA/JOHANN GRODER

STANDARD: Was macht die deutsche Konkurrenz so stark?

Beierl: Da ist eine andere Maschinerie dahinter. Ein Zweierbob kostet 50.000 Euro aufwärts. In Deutschland kann man mit dem Material experimentieren, bei uns sind die Möglichkeiten bescheidener. Unser Trainingsumfeld ist zudem nicht das beste. Wir müssen das Athletiktraining selbst auf die Beine stellen, der Verband zeigt kein Interesse. Und trotzdem können wir die Deutschen ärgern.

STANDARD: Sie sind Niederösterreicherin, Ihr Bobverein ist im Wiener Becken in Himberg angesiedelt. Ist das eine Art "Cool Runnings"?

Beierl: So exotisch, wie es rüberkommt, ist es nicht. Ich bin 2012 für mein Studium nach Innsbruck gezogen und habe dort mit dem Bobsport begonnen. Der BSC Himberg wurde erst 2017 gegründet. In Österreich können sich die Menschen auch im Osten an den Olympiasieg von Ingo Appelt 1992 erinnern, es gibt es ein Grundverständnis für den Sport. Das war auf Jamaika bestimmt anders.

STANDARD: Der österreichische Bobsport hat in der Tat Tradition. Ist er medial trotzdem unterrepräsentiert?

Beierl: Es wird besser. In den vergangenen Jahren sind wir live auf ORF Sport+ gelaufen. Wenn die Erfolge kommen, wenn man liefert, ist auch die Medienpräsenz größer. Man muss sich das erarbeiten, wenn man nicht Skifahrer oder Fußballer ist. Natürlich wünscht man sich immer mehr, aber das ist kein Wunschkonzert.

STANDARD: Wie erklären Sie dem Laien die Faszination des Bobsports im Schnelldurchlauf?

Beierl: Man schmeißt sich in einen Schlitten, der nicht gepolstert ist. Dann fährt man eine Bahn hinunter in dem Wissen, dass man nicht bremsen kann und auch gar nicht bremsen möchte. Man sucht die perfekte Linie, um im Ziel das grüne Licht zu sehen.

STANDARD: Man erreicht Geschwindigkeiten über 140 Stundenkilometer, und manchmal rattert man auf dem Kopf durch den Eiskanal. Macht das keine Angst?

Beierl: Stürze gehören dazu. Als Anfänger passiert es öfters, mit der Routine wird es besser. Heuer hat es uns noch nicht geschmissen, davor waren es so zwei Stürze pro Jahr. Es ist unangenehm – für die Bremser und für das Material. Wir sind uns bewusst, dass das auf jeder Bahn jederzeit passieren kann. Da darf man den Respekt nicht verlieren.

STANDARD: Wenn ich mich bei Ihnen in den Bob setzen würde, welchen Tipp würden Sie mir geben?

Beierl: Kopf oben halten und Aussicht genießen. (Philip Bauer, 5.2.2021)