Der siebenjährige Augi war "Vorführkind" für die Gurgeltests.

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Selbst die "virologische Instanz" im deutschsprachigen Raum, Christian Drosten von der Berliner Charité, hat die österreichische Gurgelstudie in seinem NDR-Corona-Podcast bereits zweimal besprochen und als "unvoreingenommene" Erhebung der "Momentanprävalenz", der Infektionshäufigkeit bei Schülern und Lehrern, gelobt. Erst am Dienstag sprach Drosten wieder von der "wichtigen" Studie.

Seit September 2020 konnte das Wissenschafterteam rund um Studienleiter Michael Wagner von der Uni Wien allerdings nur zwei Erhebungsrunden drehen, denn am 26. Jänner teilte der Mikrobiologe via Twitter mit: "Leider wurde unser Schulmonitoring an 250 österreichischen Schulen, dessen nächste Runde ab dem 8. Februar hätte stattfinden sollen, gestern vom Bildungsministerium bis zum 8. März unterbrochen." Die Begründung habe gelautet: "Um den Schulen unter anderem auch nach dem Lockdown Zeit zu geben, sich im Schichtbetrieb einzufinden, und die Zeit an der Schule nach der doch längeren Unterbrechung voll auszuschöpfen."

Studie vom Ministerium bis 8. März auf Eis gelegt

Dass die Studienautoren nicht begeistert waren, lag auf der Hand. Aber spätestens mit der angekündigten Öffnung der Schulen ab 8. Februar mit Präsenzunterricht in den Volksschulen und Zwei-Tage-Schichtbetrieb plus freitags Distance-Learning für alle anderen mehrten sich Rufe aus der Wissenschaft, die das Schul-Sars-CoV2-Monitoring parallel zu den geplanten Antigen-Schnelltests (montags und mittwochs in Volksschulen bzw. immer am Beginn der "Schicht") forderten.

Der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems plädiert im STANDARD-Gespräch für die sofortige Wiederaufnahme der Gurgelstudie, um nicht im "Blindflug" durch die Post-Lockdown-Phase zu stolpern. "Gerade jetzt, wo wir aus epidemiologischer Sicht ganz wenig Spielraum haben, aber die Schulen wieder öffnen, wäre es extrem wichtig, dass dieser Schritt wissenschaftlich begleitet wird. Mit der repräsentativen Stichprobe könnten wir notfalls auch wieder bremsen, wenn es entgleitet." Ohne die Gurgelstudie könnte man ein verändertes Infektionsgeschehen oder etwaige Schulcluster erst später nachvollziehen, dann, wenn sie sich in der älteren Bevölkerung ausbreiten.

Keiner weiß genau, was wirkt

Der Experte für evidenzbasierte Medizin und Evaluation kritisiert "als eines der großen Versäumnisse in Österreich, dass die Regierung die Corona-Maßnahmen nie wissenschaftlich evaluieren ließ. Darum weiß heute keiner genau, was wirkt im österreichischen Kontext, und was nicht." Hätte man das von Anfang an gemacht, hätten viele Präventionsmaßnahmen auch politisch nachvollziehbarer, weil durch wissenschaftliche Ergebnisse beglaubigt, kommuniziert werden können. So aber wurden sie für viele Menschen mitunter zu "Glaubensfragen", denen sie immer häufiger nicht mehr folgen wollen.

Auch der Mathematiker Norbert Mauser (Uni Wien), Co-Autor eines multidisziplinären Positionspapiers für eine sichere Öffnung der Schulen, sagte am Mittwoch zum STANDARD: "Wenn wir die bestmöglichen Antigentests kombinieren mit dem Monitoring des PCR-Gurgeltests, haben wir eine Chance, beim Öffnen der Schulen den Überblick und die Kontrolle zu behalten – und unsere Kinder und die Lehrkräfte zu schützen. Es wäre grob fahrlässig, dieses Instrument nicht voll zu nutzen."

Bereits am Dienstag hatte der Leiter der Kinderklinik I der Med-Uni Innsbruck, Thomas Müller, im STANDARD Unverständnis über die verordnete Studienpause geäußert, zumal es in Österreich ohnehin "sehr wenige öffentlich finanzierte Kinderstudien zu Covid-19 gibt".

Wissenschaftsminister setzt auf Wissenschaft

Die Appelle blieben nicht ungehört. Bildungsminister Heinz Faßmann, der nicht nur politisch auch für Wissenschaft und Forschung zuständig ist, sondern selbst Forscher war, kündigte Mittwochnachmittag im STANDARD-Gespräch an, "dass die Gurgelstudie nicht den ganzen Durchgang bis 8. März aussetzen muss, wenn das logistisch vom Studiendesign her möglich ist und die Schulen wieder bereit sind. Die Studie ist wichtig, aber wir haben bis vor ein paar Tagen ja nicht einmal gewusst, ob die Schulen jetzt überhaupt wieder öffnen. Darum müssen wir ihnen eine ungestörte Eingewöhnungsphase geben, bevor die Gurgeltestteams wieder kommen." (Lisa Nimmervoll, 3.2.2021)