Auf dem iPad "Assassin's Creed" spielen.

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Anfang Februar verkündete der für Google Stadia verantwortliche Branchenveteran Phil Harrison, dass die zwei eigens für die Spieleentwicklung gegründeten Studios geschlossen wurden. Man wolle den Fokus auf die Technologie legen und viel mehr Partner für Gaming-Studios wie etwa Ubisoft oder Electronic Arts sein. Die Idee vor etwa einem Jahr war eine andere. Man wollte mit den ganz großen Konsolenherstellern um die wachsende und milliardenschwere Gaming-Community wetteifern. Drei Monate nach dem Österreich-Start kann man ein erstes Fazit über den aktuellen Stand des Services ziehen und einen Ausblick auf die mögliche Zukunft oder die mögliche Nicht-Zukunft von Google Stadia werfen.

Kinderleichter Einstieg

Am 7. Dezember 2020 startete Google Stadia in Österreich, rund ein Jahr nach Ländern wie den USA oder Deutschland. Zunächst kann festgehalten werden, dass der Service etwas futuristisches an sich hat, wenn man gewohnt ist ansonsten zunächst einmal in Hardware zu investieren, sei es ein Gaming-PC oder eine Konsole. Mit dem Google-Stadia-Service verbindet man sich mit seiner Google-Email-Adresse und kann danach sofort im Store ein Spiel kaufen. Wenige Sekunden später ist man im Spiel. Ohne zusätzliche Kosten für den Streaming-Service selbst.

Wenn man wieder reisen darf, wäre der Service natürlich superpraktisch.
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Die Menüführung ist simpel gehalten. Eingekauft wird in der App, die man sich auf dem Smartphone laden muss. Gespielt wird bevorzugt auf einem PC, Laptop oder TV. Für letzteren wird zusätzlich ein Chromecast Ultra benötigt. Via Tastatur oder handelsüblichem Bluetooth-Controller steuert man sich durch Menüs und Spiel. Alternativ zu dem kostenlosen Angebot gibt es Stadia Pro. Für 9,99 Euro pro Monat bekommt man 30 mehr oder weniger bekannte Spiele und die Möglichkeit, Spiele auch in 4K spielen zu können. Dazu muss man sagen, dass die Spieleauswahl, die im Pro-Abonnent enthalten ist, wenige Kracher beinhaltet. Die größten Highlights sind vor allem zwei bis vier Jahre alte Indie-Games, etwa die Steamworld-Spiele. Zu den bekannteren Spielen zählen etwa F1 2020, Superhot oder Hitman 2.

Kein Download – keine Updates

Wer schon einmal rund 100 GB für ein Spiel oder 15 GB für ein Update heruntergeladen hat der weiß, wie frustrierend das sein kann, wenn man gerade mal eine knappe Stunde Zeit hat, ein Spiel auszuprobieren. Diese Nachteile fallen bei einem Streaming-Service weg. Vom Kauf bis zum ersten Gegner im gewählten Spiel sind es nur wenige Minuten, wenn überhaupt. Das wirkt sehr viel zeitgemäßer, als bei jedem Hochfahren mit Update-Meldungen gelangweilt zu werden. Ganz ohne Preis kommt das dennoch nicht.

Auch wenn als Stadia-Pro-Kunde 4K möglich sind, so ist das in den seltensten Fällen zu empfehlen. Die Verzögerung bei der Eingabe und die hohen Datenmengen sind für die wenigsten Internetleitungen problemlos zu bewerkstelligen. Speziell bei Spielen, die eine sehr präzise Eingabe erfordern, ist man hier gut beraten, dann doch auf 1080p umzuschalten. Nun stellt sich die Frage, wer bei Spielen wie Assassin’s Creed oder Cyberpunk 2077 gewillt ist, grafische Kompromisse einzugehen?

"Cyberpunk 2077" war ein eindrucksvolles Beispiel, wie man ohne teure Hardware eine funktionierende Version des Spiels genießen konnte.
Foto: CD Projekt Red

Das größte Problem: Die Spieleauswahl

Wenn man sich im Store umsieht, warten etwa 100 Spiele darauf entdeckt zu werden. Darunter finden sich aktuelle Blockbuster wie Assassin’s Creed Valhalla, Cyberpunk 2077 oder auch F1 2020. Die meisten Titel sind allerdings schon älteren Baujahres. Borderlands 3 etwa, Celeste oder Dead by Daylight. Es ist ein guter Mix an Spielen, aber das Angebot ist auch nach einem Jahr überschaubar klein geblieben.

Ein großes Problem für die Plattform sind vor allem die fehlenden Exklusiv-Titel. Ein God of War auf der Playstation, ein Mario Odyssey auf der Nintendo Switch oder ein Microsoft Flight Simulator für Xbox oder PC. Seit der Stadia-Ankündigung 2019 konnte Google nicht einmal einen potenziellen Hit ankündigen, geschweige denn veröffentlichen. Nachdem man Anfang Februar den eigenen Studios den Riegel vorgeschoben hat und bis jetzt keine Anstalten gemacht hat, ähnlich wie Microsoft, erfahrene Studios zu kaufen, wird sich das künftig auch nicht ändern.

Auch Dauerbrenner wie Fortnite oder Call of Duty, die es fast auf jeder Gaming-Plattform gibt, fehlen bei Stadia. Das heißt nicht, dass Gelegenheitsspieler nichts finden werden. Das neue Hitman 3 ist erhältlich, Doom Eternal ist ein wunderbar unterhaltsamer Shooter und Valkyria Chronicles 4 ein japanisches Rundenstrategie-Spiel, das über Wochen motivieren kann. Dazu gibt es wunderbare Indie-Games wie Steampunk Heist, Enter The Gungeon und die beiden Hotline-Miami-Teile.

Bei den Neuveröffentlichungen bleibt das Angebot seit dem Erscheinen des Services überschaubar.
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Wer Fan der Ubisoft-Spiele ist, der wird in jedem Fall fündig. Neben fast allen Assassin’s-Creed-Teilen, sind sämtliche aktuellen Ubisoft-Titel im Store enthalten. Hier hat man eine starke Partnerschaft am Laufen, die in den USA Ubisoft-Plus-Kunden sogar erlaubt, ihre Spiele via Stadia überall zu streamen. Ob das auch in Österreich irgendwann möglich sein wird, ist aktuell nicht bekannt. Ein stärkeres Angebot von klassischen PC-Spielen, wie das zaghaft mit Baldurs Gate 3 passiert, fehlt. Schade, könnte man auf diese Weise zumindest Konsolenspieler, die einmal über den Tellerrand blicken wollen, zu einem Kauf überreden.

Ein weiteres Problem für Stadia sind aktuell Multiplayer-Titel. Egal ob das kostenlose Destiny 2 oder auch PUBG – generell leidet der Service unter der geringen Spieleranzahl, um ausreichend Mitspieler zu finden. The Divison 2 ist hier schon vorgeprescht und erlaubt plattformübergreifendes Spielen. Die Entscheidung liegt aber bei jedem Entwickler, ob er dieses Feature einbauen möchte.

Wer ist meine Zielgruppe?

Von der Core-Gamer-Zielgruppe, die man auf der Gaming-Messe E3 im Jahr 2019 so stark umworben hat, musste man sich aufgrund des mangelnden Angebots im Laufe der kurzen Lebenszeit verabschieden. Die neue Strategie hieß Gelegenheitsspieler, also jene Spieler, die gern mal einen Blockbuster in sehr guter Qualität am TV spielen wollen oder ein unterhaltsames Indie-Game auf dem Laptop oder dem Smartphone, wenn gerade einmal 30 Minuten Zeit sind.

Ein Punkt für Stadia: die technische Seite klappt reibungslos, sofern eine gute Internetverbindung vorhanden ist. Man ist schnell im Spiel, der Store ist übersichtlich und das Verbinden mit einem Controller intuitiv gelöst. In einem Wort: es funktioniert.

Unsichere Zukunft

Schon vor dem eingangs erwähnten Statement von Phil Harrison zu den Studio-Schließungen war Google für seine Wankelmütigkeit bekannt. Google+, Hangouts, Nest Secure – die Liste an Diensten, die der US-Konzern im Laufe der Jahre überraschend beendete, ist nicht zu kurz. Die Angst, auch Google Stadia könnte morgen verschwinden, besteht. In der Gaming-Branche Fuß zu fassen und selbst Spiele zu entwickeln, verschlingt viel Zeit und noch mehr Geld, ließ Harrison die Community wissen. Wie eine Liebeserklärung an eine Branche klingt das nicht.

Deshalb stellt sich die Frage, wo die Reise hingeht. Seit Anfang Dezember 2020 hat man das Angebot auf 22 Länder erweitert, im März soll FIFA 21 endlich für die Plattform erscheinen und monatlich werden weiterhin neue Games im Store angeboten. Dennoch scheinen das die Ausläufe einer alten Strategie darzustellen. Kommende Schachzüge werden sich viel mehr an der kürzlichen Eröffnung durch Phil Harrison orientieren. Service-Anbieter für andere Publisher zu werden, etwa Ubisoft oder Electronic Arts und die Cloud-Gaming-Dienste in deren Portfolio zu integrieren scheint eine valide Vorgehensweise für Google sein zu können. Aber was bedeutet das für den Stadia-Spieler?

Fazit

Google Stadia ist nicht der erste Dienst, der zeigt, dass Cloud-Gaming funktionieren kann. Microsoft geht sehr offensiv in diese Richtung und Services wie Playstation Now oder GeForce Now schlagen in eine sehr ähnliche Kerbe. Die Idee, zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf jedem Gerät spielen zu können, ist speziell für Reisende oder Menschen mit wenig Zeitressourcen ein Komfort, den man nicht unterschätzen darf. Diesen bietet Stadia aktuell, aber eben nicht exklusiv.

Ein größeres Portfolio, etwa typischen Perlen wie Hades, die sonst nur für PC und Switch erscheinen, hätten bereits zum Start verlässlich ins Stadia-Programm wandern müssen. Dauerbrenner wie FIFA sollten ohnehin Standard im Angebot sein und die TV-Funktionalität sollte mit jedem Chromecast, oder noch besser mit jedem Fernsehgerät barrierefrei funktionieren, wie das künftig bei LG der Fall sein wird. Es sind so viele kleine Stolpersteine, die Stadia über die so kurze Lebenszeit unrund wirken lassen, allein die technische Umsetzung überzeugt.

GameSpot Trailers

Ist das Projekt Google Stadia gescheitert? Der Konzern, der als viertwertvollste Marke der Welt gehandelt wird, ist nicht im Bereich Streaming gescheitert. Als man mit dem Cyberpunk-2077-Deal zeigte, dass man ein Spiel in besserer Qualität liefern konnte, als bestehende Konsolen, war das ein starkes Zeichen. Stadia ist aber sehr wohl an der Konzeption gescheitert und dem Vorsatz, ein großer Player im Gaming-Markt zu werden.

Die vor zwei Jahren groß gezeichnete Idee, einmal Spiele wie The Last of Us oder Halo im eigenen Haus zu produzieren, ist spätestens mit der Schließung der eigenen Studios zerschellt. Offenbar konnte die eingekaufte Prominenz, angefangen bei Phil Harrison, die Entscheidungsträger bei Google nicht darüber aufkären, wie komplex und aufwändig Spieleentwicklung ist. Mit Ungeduld und der naiven Annahme, man könne in zwei Jahren die lang gediente Konkurrenz ein- oder sogar überholen, hätte spätestens mit dem Blick auf Amazon, die bereits seit rund acht Jahren versuchen erfolglos in den Markt zu drängen, Klarheit schaffen sollen.

Auch Microsoft musste lange investieren, bis man den Markt einigermaßen verstanden hatte. 20 Jahre lang dauerte die Achterbahnfahrt des US-Konzerns bis er verstanden hatte, dass man mit exklusiven Marken, einem funktionierenden Service wie dem Game Pass und einer über Jahre erkämpften Bindung zur Spielerbasis endlich eine ernst zunehmende Konkurrenz für die Platzhirschen sein konnte.

Die Angst bei so manchem Spieler und natürlich den etablierten Konsolenherstellern, als Amazon und Google vor einigen Jahren ihre Gaming-Pläne verlautbart hatten, ist mittlerweile gewichen. Der wachsende Gaming-Markt ist aktuell mit drei Konsolenherstellern, einer noch immer dominanten PC-Spielerschaft und der am stärksten wachsenden Mobile-Games-Community bestens versorgt. Bessere Technologien, die das Spielen noch einfacher und zugänglicher machen, werden künftig sicher eine große Rolle spielen. Ob hier Google mitspielen wird oder nur auf der Bank sitzen bleibt, werden die kommenden Jahre sicher zeigen. (Alexander Amon, 6.2.2021)