Es war eine Gemeinheit: Mitten im ärgsten Lockdown stellt uns Ferrari einen 812 GTS vor die Tür und fragt scheinheilig nach, was wir denn jetzt damit anstellen würden. Wo man nirgends hinfahren kann, weil nichts offen hat. Es gibt keine lohnenswerten Ziele. Kein Lokal, das man anstreben, kein Hotel, in dem man sich nach der anstrengenden Fahrt erholen könnte. Man kann also nur fahren. Irgendwohin und wieder zurück. Eigentlich perfekt, um einen 812 GTS auszuführen. Also fast. Wäre da nicht die Jahreszeit.

Foto: Andreas Riedmann

Der Ferrari 812 GTS ist die Spider-Version des 812 Superfast, also offen. Mit dem Superfast hat er alles gemeinsam, was richtig arg ist. Nichts gegen die Achtzylinder von Ferrari, da geht ja auch richtig was weiter, und natürlich ist es schön, wenn es auch einen Ferrari gibt, in dem man die Kinder mitnehmen kann, aber der GTS ist auch so etwas wie die Rückkehr zum Purismus, die Konzentration auf Kraft und Leistung, die Aussicht auf alles, was böse und längst verpönt ist, brüll, roar und möglichst viel davon, und ja, das auch möglichst schnell. Damit wir auf dem gleichen Stand sind, worüber wir hier reden: Der Zwölfzylinder des 812er leistet geradeaus ehrliche 800 PS. Also das ist auf dem Papier schon ziemlich jenseitig. Das ist nicht nur der leistungsstärkste Motor seiner Klasse, das ist das stärkste Cabrio, das derzeit am Markt ist. Damit das auch gesagt ist.

Allerhöchste Vorsicht

Foto: Andreas Riedmann

Das ist nicht nur auf dem Papier jenseitig, das ist es auch im Auto und auf der Straße. Natürlich kann man diesen Ferrari wie jeden anderen auch ganz vorsichtig und behutsam fahren, man kann gemütlich zum Bäcker fahren, aber es sind 800 PS. Und nix Allradantrieb. Die 800 PS gehen aufs Heck. Da ist also allerhöchste Vorsicht geboten, und der ungeübte Ferrarifahrer, so er sich einmal hier hereinverirren sollte, wäre gut beraten, seine Ausfahrt im Wet-Drive-Modus vorzunehmen. Da kommt von hinten nämlich jede Menge Power, die an einem vorbeizudrängen versucht, wenn man sie ordentlich lockt.

Was also machen im Lockdown? Zuallererst räumten wir ein feines Abteil in der Tiefgarage frei. "Do you speak English?", fragte ein aufgeregter Portier, als er den Ferrari mit italienischem Kennzeichen in Wien-Wieden erblickte. Wir einigten uns auf Deutsch und suchten dann den besten Platz. Weil der Ferrari überraschend breit ist, niedrig ist er auch, und der Wendekreis ist jetzt nicht seine herausragendste Tugend. Mit einem Mal Starten, das durch die Garage bebte und sich über die Stockwerke wälzte, war der Portier für seinen Aufwand schon entschädigt. Er hatte Tränen der Rührung in den Augen und winkte uns am nächsten Tag, als wir der Enge der Garage wieder entflohen, lange nach.

Foto: Andreas Riedmann

Unser erster Weg führte uns zum Hotel Sacher, das hat immerhin offen, zumindest kann man dort eine Torte to go kaufen. Entscheidender Moment: Man kann mit dem Auto vorfahren. Der Ferrari wertete den alten Kasten ordentlich auf. Sacher-Chef Matthias Winkler war ebenso ergriffen wie der Portier, dennoch kassierten sie jeden Cent der überteuerten Torte, aber es ist Lockdown, da muss man mit Hotelchefs und Portieren Mitleid haben. Das Foto der Tortenlieferung sorgte in der Standard-Redaktion durchaus für Diskussionen und nicht nur für Begeisterung. Für eine Chronikseite sei da ein wenig viel Ferrari und relativ wenig Torte im Bild. Manche Leserinnen und Leser ließen sich das Prachtfoto von Andreas Riedmann dagegen nachschicken.

Das Öffnen des Dachs ist ein Spektakel,
dem wir immer wieder gern feierlich beiwohnen.
Foto: Andreas Riedmann

Die richtige Perspektive

Die Torte drückte sich jedenfalls in den Beifahrersitz, und Riedmann gab eine Richtung und ein Ziel vor. Burgenland. Nicht Neusiedler See, sondern Zicksee, dort schaut es mit der richtigen Einstellung und Perspektive aus wie in Miami. Sagt Riedmann.

800 PS, die kann man sich schon als schwere Kavallerie vorstellen, an die muss man sich heranarbeiten. Sie stehen in der vollen Pracht und Lautstärke bei 8500 Umdrehungen an, bis 8900 Umdrehungen geht es, da blinkt schon alles am Lenkrad und im Hirn rot. Das Drehmoment von 718 Newtonmetern ist schlichtweg brachial. Als Spitzengeschwindigkeit wären 340 km/h möglich, relevanter sind vielleicht die Beschleunigungswerte: von null auf 100 km/h in unter drei Sekunden, von null auf 200 km/h in 8,3 Sekunden. Ferrari sagt dazu: "Dieses Leistungsniveau wurde einerseits durch Optimierung der Motorkonstruktion und andererseits durch Innovationen ermöglicht, darunter das Direkteinspritzsystem mit 350 Bar und das Steuersystem für die verstellbaren Ansaugtrakte, das für F1-Saugmotoren entwickelt wurde. Diese Systeme ermöglichen es, den von 6,2 auf 6,5 Liter vergrößerten Hubraum für die Maximierung der Ausgangsleistung zu nutzen und gleichzeitig die ausgezeichnete Beschleunigung auch bei niedrigen Drehzahlen beizubehalten." Kann ich nur unterstreichen.

Hier ist alles schnell, auch die Instrumente und die Luftdüse.
Foto: Andreas Riedmann

Die Leistung des Motors wird von einem Sieben-Gang-Getriebe mit Doppelkupplung verwaltet, und das sehr engagiert. Man kann den Ferrari auch im Schritttempo durch die Wiener Innenstadt tragen, die Zeiten, als man sich beim Schalten in einem Ferrari fast die Finger brach, sind längst vorbei. Wenn man es sportlich angehen will, wählt man am Manettino eine der entsprechenden Einstellungen, also Racing oder Rennstrecke, dann wird die Zeit zum Hoch- und Runterschalten deutlich verkürzt und die Übergangszeit optimiert. In Kombination mit der kürzeren Übersetzung reagiert das Ansprechen des Motors bereits auf eine hingehauchte Andeutung auf dem Gaspedal, fast schneller, als man das beabsichtigt hat.

Keinen Winter simulieren

Auch interessant ist ein Feature, das sich Ferrari Power Oversteer (FPO) nennt: Meistens übersteuert das Fahrzeug, wenn es aus der Kurve heraus beschleunigt wird. In diesem Fall führt das Lenkraddrehmoment den Fahrer hin zu Lenkmanövern, die das Auto wieder geraderichten.

Foto: Andreas Riedmann

Am Zicksee war es dann sehr kalt, der Bordcomputer zeigte zwei Grad an. Minus. Riedmann kannte keine Gnade: Wer weiß, wann die Bilder veröffentlicht werden, wir können hier keinen Winter simulieren, wir wollen heiteren Himmel und gute Laune. Also runter mit dem Dach und, sorry, runter mit der Pudelmütze, sagte Riedmann, das geht jetzt gar nicht. Meine roten Ohren wurden klirrend steif. Tatsächlich wird die Luft aber gut über das Fahrzeuginnere gehoben, es gibt auch bei höheren Geschwindigkeiten kaum Wirbel – und ja, man könnte sich auch unterhalten, wenn man wollte. Bei den gemütlichen Runden, die wir am See drehten, waren auch die Enten nicht irritiert, sie schienen durchaus interessiert, sonst war ja niemand da bei diesen Temperaturen.

Die Fotos waren im Kasten. Jetzt nur noch fahren. Und man braucht ja doch ein Ziel und eine Motivation: Auf der anderen Seite des Neusiedler Sees, an dem man bei einer Ausfahrt im Burgenland unweigerlich anstreift, gibt es einen vielversprechenden Fleischhauer, der würde sich über italienische Kundschaft sicherlich freuen.

Foto: Andreas Riedmann

Erklärungsnotstand im Lockdown

Bei Ortsdurchfahrten wurde applaudiert, die Polizeibeamten kriegten die Kinnlade nicht hoch, und ehe sie die Kelle erhoben hatten, war der Ferrari schon vorbei. In der Tat wäre es etwas schwierig gewesen, diese Ausfahrt zu erklären – und ein Ferrari mit italienischem Kennzeichen mitten im Lockdown im tiefsten Burgenland schreit nach einer Anhaltung. Ich hätte mit einer Lebkässemmel argumentiert.

In Loipersbach parkte ich den Wagen unmittelbar vor der Auslage und betrat das Fleischhauergeschäft. Drei kleine Kinder, die auf ihre Mama gewartet hatten, waren mir gefolgt und schauten ungläubig an mir hoch. Una Leberkässemmel, per favore, sagte ich. Die Fleischhauerin blickte an mir vorbei, fixierte den Wagen und fragte: "Mit Gurkerl?"

Ich fand, das war die einzig zulässige Frage, wenn einer mit Pudelmütze und einem Auto, das ohne Zutaten 330.000 Euro kostet, in Loipersbach im Lockdown eine Leberkässemmel ordert.

Die Leberkässemmel aß ich dann nicht im, sondern andächtig vor dem Auto, umringt von drei Kindern, die immer noch nichts sagten. (Michael Völker, 6.2.2021)