Der Film "Die göttliche Ordnung" erzählt die Wider- und Aufstände von Frauen in der Schweiz, mit denen sie schließlich das aktive und passive Wahlrecht erkämpften.

Foto: Alamode Film / Daniel Ammann

Zu den ritualisierten Merkwürdigkeiten der Schweizer Politik zählt das sogenannte Bundesratsfoto. Die sieben Bundesräte und Bundesrätinnen der Eidgenossenschaft und ihr Stabschef, der Bundeskanzler, präsentieren sich zu Jahresbeginn dem Volk auf Hochglanz. In diesem Jahr grüßen die sieben Ministerinnen und Minister sowie der Kanzler in staatstragender Pose vor dem Bundeshaus, in den Jahren zuvor plauderten sie in einer Schankwirtschaft oder stellten sich in einem Fabrikgelände auf. Auf den meisten Fotos bilden die männlichen Kabinettsmitglieder knapp die Mehrheit. Immerhin dominierten die Frauen 2010 und 2011, seinerzeit bildeten sie die Überzahl – die Schweizerinnen haben eine starke Position in ihrer Regierung errungen. Es war ein langer Kampf.

Bis vor einem halben Jahrhundert herrschte in der Alpenrepublik noch der Mann. Nahezu unumschränkt. Am 7. Februar 1971 kam es zu einer epochalen Volksabstimmung über das Frauenwahlrecht auf Bundesebene – die Männer mussten über ihr eigenes Machtmonopol richten. Eine Mehrheit von 65,7 Prozent von ihnen lenkte ein und gewährte den Frauen die politische Mitsprache.

Zu "emotional" zum Wählen

Die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen jährt sich heuer zum 50. Mal – und nicht allen Schweizerinnen ist bei diesem Jubiläum zum Feiern zumute. "Der späte Zeitpunkt ist eher ein Grund zum Heulen", sagt die Frauenrechtlerin Elisabeth Joris. Weltweit beharrten 1971 nur ganz wenige Staaten auf dem Ausschluss der weiblichen Bevölkerung von der Politik. In Europa hinkte die Schweiz um Jahrzehnte hinterher; die Bürgerinnen Deutschlands erhielten 1918 das Wahlrecht, Österreich folgte 1919, Frankreich und Italien Mitte der 1940er-Jahre.

Wieso durften die Schweizerinnen erst so spät mitentscheiden? "Ganz simpel: weil die Männer ihre politischen Rechte nicht mit den Frauen teilen wollten. Es war der reine Unwille", sagt die Basler Historikerin Caroline Arni. Die Schweizer Männer hätten viele Gründe ins Feld geführt: Frauen seien zu "emotional", es mangele ihnen an "staatsbürgerlicher Reife", sie müssten sich "ihre politischen Rechte zuerst verdienen". Die Männer beriefen sich auf die Verfassung der Eidgenossenschaft von 1848, aus der sie ihre Herrschaft ableiteten.

Die Berner Historikerin Brigitte Studer ergänzt: "Die Schweiz verstand sich als älteste Demokratie der Welt. Mit Referendum und Volksabstimmung meinte man auch, die fortgeschrittenste Demokratie der Welt zu haben." Von daher sei das Schweizer Modell "nicht verbesserungsbedürftig" gewesen.

Imageschaden

Doch mutige Schweizerinnen lehnten sich schon im 19. Jahrhundert gegen die Diskriminierung auf. Erst 1959 konnten die Frauen aber einen Teilerfolg verbuchen. Der französischsprachige Kanton Waadt räumte ihnen dieselben demokratischen Rechte ein wie den Männern. Im selben Jahr demonstrierte das Patriarchat auf Bundesebene noch einmal seine Macht: Mehr als 66 Prozent der männlichen Schweizer schmetterten das eidgenössische Wahlrecht für das andere Geschlecht ab. Nun schaute auch das demokratische Ausland zunehmend irritiert auf die Eidgenossenschaft.

"Mit der massiven Verwerfung des Frauenstimmrechts 1959 wurde dem Ausland bewusst, dass die Schweiz ein grundlegendes demokratisches Recht den Frauen verweigerte", erläutert Geschichtswissenschafterin Studer: "Der außenpolitische Reputationsschaden wurde immer mehr auch zu einem innenpolitischen Problem."

Bei der nächsten nationalen Abstimmung, eben jener von 1971, feierten die Frauen dann ihren Sieg. Einige Kantone zögerten die Gleichstellung aber weiter hinaus. Noch 1990 lehnte eine Mehrheit in Appenzell Innerrhoden das Frauenwahlrecht ab, nur Männer durften bei der Abstimmung in dem Mini-Halbkanton votieren. Das Schweizerische Bundesgericht urteilte im gleichen Jahr, dass auch der weiblichen Bevölkerung Appenzell Innerrhodens das Wahlrecht zugestanden werden müsse. Die letzte männlich Politbastion Helvetiens war gefallen.

Männerwirtschaft

Wo steht die Schweiz heute in Sachen Gleichstellung? In der Wirtschaft halten die Männer immer noch die Zügel in der Hand. "Frauen haben im Allgemeinen eine niedrigere berufliche Stellung als Männer: Sie sind öfter Arbeitnehmende ohne leitende Funktion", heißt es in einer Erhebung des Schweizer Bundesamtes für Statistik von 2020. "Wichtige Gründe dürften die wegen der Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung eingeschränkte Flexibilität und oft geringere Berufserfahrung der Frauen sein." Zumal in den Geschäftsleitungen der 100 größten Schweizer Arbeitgeber*innen herrscht Männerwirtschaft: Rund 90 Prozent der Topmanager*innen sind laut dem "Schillingreport" Männer.

Im politischen Leben haben die Frauen jedoch Boden gutgemacht, nicht nur im Bundesrat. "In Parlamenten und Exekutiven der Gemeinden, Kantone und im Bund kommen die Frauen einer Gleichstellung immer näher", erläutert die Basler Historikerin Regina Wecker. In der großen Kammer des Schweizer Parlaments, im Nationalrat, liegt der Frauenanteil bei 42 Prozent, in der kleinen Kammer, im Ständerat, bei 26 Prozent, erläutert die Expertin. In die ehrenamtlichen Positionen zieht es die Frauen sogar stärker als die Männer. Historikerin Wecker bilanziert: "Boshaft könnte gesagt werden: Je unwichtiger die politische Position, desto eher steht sie den Frauen offen." (Jan Dirk Herbermann, 7.2.2021)