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Kein Grund, sich zu schämen, findet Chilly Gonzales: Enya ist einfach gut.

Foto: Reuters

Letzthin hat Kollege Schachinger mir mit dem Hinweis "Das ist ein knorke Büchlein" die Lektüre von Chilly Gonzales' schmaler Monografie über die Musikerin Enya empfohlen. Sie ist im letzten Oktober in der Kiwi-Musikbibliothek erschienen. Darin widmet sich Gonzales neben einer sehr lustigen Betrachtung des "Genres" Schlaflied auch kritisch dem Begriff Guilty Pleasure. Also etwas, wofür man sich schämt, es zu mögen.

Der Begriff wird zwar nicht nur, aber besonders gern für Musik verwendet, über die man eigentlich die Nase zu rümpfen hätte, weil sie "objektiv gesehen" schlecht, trashig, dümmlich, banal ist. Gonzales schreibt: "Wer sagt, 'Ich sollte Enya nicht mögen', der blickt herab auf ihre Allgegenwärtigkeit und ihren kommerziellen Erfolg. Keiner von uns würde offen zugeben, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner von Anstößigkeit reinzufallen. Wenn alle etwas mögen, ist der natürliche Instinkt, etwas weniger Bekanntes zu mögen."

Nun spricht mit Gonzales nicht nur ein wahnsinnig sympathischer Musikfreak, sondern halt auch ein waschechter Boomer. In Gonzales' Generation war es noch tatsächlich mit echter Arbeit verbunden, sich Expertise über Musik anzueignen, da reichten nicht ein paar Klicks – und damit ging der natürliche Drang der Selfmade-Auskenner einher, die Spreu vom Weizen zu trennen. Was gut und was schlecht war, war sonnenklar!

Ironisch Musik hören

In leicht pervertierter Form setzte sich das auch noch in der Nachfolgegeneration fort: Vor allem die älteren Millennials machten sich vor einigen Jahren noch einen Spaß daraus, Musik ironisch zu hören. Guilty Pleasures, also Bands wie One Direction und Co, wurden nun zwar ganz offen, aber mit derselben Blasiertheit der Vorgängergeneration genossen. Irgendwann war dann aber auch Ironie nicht mehr cool, und der Begriff hatte ziemlich ausgedient. Man mochte jetzt Bach und Britney gleichermaßen, und gut war es.

Mit der Diskussion um Political Correctness könnte dem Begriff Guilty Pleasure nun aber ein Comeback unter anderen Vorzeichen dräuen, der semantisch eigentlich korrekter wäre. Denn guilt bedeutet nicht Scham-, sondern Schuldgefühl. Und schuldig fühlen sich seit einigen Jahren viele, wenn sie Musik von Menschen hören, die das Strafrecht oder zumindest die Moral gegen sich haben. Also Musik von den Chris Browns dieser Welt, die ihre Freundinnen krankenhausreif prügeln, um nur eins von leider vielen Beispielen zu nennen.

Leider nicht nachhaltig

Darf man das hören? Darf man es geheim hören? Darf man es auf eine Weise, vulgo: illegal, hören, dass der Künstler nicht daran verdient? Kann man Musik teilweise hören – also den jenseitigen Text von einem Song wie "Blurred Lines" von Robin Thicke einfach ausblenden, während man die Instrumentierung ganz toll findet? Wie verhält es sich mit Musik aus der Vergangenheit, die für heute Begriffe problematisch ist?

Ja, all das wird heftigst debattiert – und zwar nicht nur von Menschen mit viel Tagesfreizeit, sondern auch von den Big Bosses bei Streamingdiensten wie Spotify, die vor ein paar Jahren aufgrund dieser Diskussionen eine Option eingeführt haben, die es Usern ermöglicht, sich missliebige Künstler gar nicht erst in Playlists und dergleichen anzeigen zu lassen.

Guilty Pleasure hat also das Zeug dazu, zu einem Begriff zu werden, der seine Bedeutung durch aktuelle Diskurse verändert. In einigen Jahren – gesetzt den Fall, dass uns die Klimakrise stärker beschäftigen wird – könnte Guilty Pleasure dann genauso gut Musik meinen, die irgendwie leiwand ist, aber leider nicht auf nachhaltigen Instrumenten eingespielt wurde. Alles ist möglich. Wie schon Enya sagte: Who can say where the road goes? [...] Only time. (Amira Ben Saoud, 5.2.2021)