Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch bei dem Pharmariesen Sanofi im Dezember.

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Es muss ein Relikt aus alter Zeit sein: Auf der Website von Sanofi Pasteur bezeichnet sich das Forschungslabor als "stolz", dass man Weltmarktleader bei den wichtigsten Impfstoffen gegen Grippe und Kinderkrankheiten sei.

Aber nicht gegen das Virus, das derzeit die ganze Welt bedroht. In Sachen Covid-19 haben die französischen Forscher keinen Grund mehr zum Stolz. Das Institut Pasteur, dessen Namensgeber Louis Pasteur im 19. Jahrhundert die erste Tollwutimpfung geschaffen hatte, musste Ende Januar bekanntgeben, dass es die Suche nach einem Anti-Covid-Impfstoff einstelle. Ein Debakel.

Auf einem Mittel gegen Masern aufbauend, enttäuschte der neue Impfstoff, den der US-Partner Merck im positiven Fall hätte herstellen sollen; dem Vernehmen nach lag die Immunisierung bei nur 50 Prozent. Sonst eher gewohnt, dem französischen Nationalstolz zu huldigen, erklärte Pasteur-Impfchef Frédéric Tanguy kleinlaut, man versuche nun "zu sehen, was passiert ist".

Sanofi, vor zwanzig Jahren aus Rhône-Poulenc und der deutschen Hoechst hervorgegangen und zu einem Pharmariesen aufgestiegen, landet ebenso hart. Während Konkurrenten wie Biontech/Pfizer oder Moderna mit Vakzinen auf der innovativen mRNA-Basis längst am Markt sind, dürfte Sanofi im besten Fall Ende 2021 ein traditionelleres Mittel anbieten können.

Demütigung für Sanofi

Generaldirektor Paul Hudson verteidigt sich, Sanofi erforsche dafür als einziges Unternehmen der Big Pharma gleich zwei Impfstoffe. Nur ist keiner bereit. Auf Druck der französischen Regierung muss Sanofi ab diesem Sommer 125 Millionen Dosen des Konkurrenten Biontech produzieren – für die stolzen Sanofianer eine Demütigung.

Über die genauen Gründe für die Verzögerung schweigt Hudson. Betriebsinterne Stimmen vermuten, dass sein Hauptvakzin nicht genug Antigene entwickelt habe. Die dafür nötigen Reaktionsmittel, von einem Kleinpartner geliefert, hätten möglicherweise "nicht über die nötige Qualität oder Reinheit verfügt", sagte ein Gewerkschafter.

Sanofi wird ab Sommer 125 Millionen Dosen Impfstoff für Biontech produzieren.
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Diese technischen Pannen erklären aber nicht alles. Die französische Impfforschung verliert insgesamt den Anschluss. Von den fünf französischen Impfstoffkandidaten hat bisher keiner die dritte Testphase erreicht. Dass die französischen Labore, die in der Grundlagenforschung stark waren, in der Biotech-Revolution nur noch mit Mühe mithalten, hat strukturelle Ursachen. Die Zahl ihrer Forscher hat seit 2007 von 23.600 auf 17.500 abgenommen. Und die Verbleibenden erhalten nur noch schlechte Löhne: Deren Höhe erreicht gerade einmal 63 Prozent des OECD-Schnitts. Viele der französischen Spitzenforscher haben ihr Land verlassen, wie etwa auch die Chemie-Nobelpreisträgerin von 2020, Emmanuelle Charpentier, die heute in Deutschland tätig ist.

Sanofi hat vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass in seiner Forschungsabteilung weitere 364 Posten abgebaut würden. Die Ankündigung präzisierte nur frühere Absichtserklärungen aus der Vor-Covid-19-Ära. Die Gewerkschaft CGT wirft aber der Konzernspitze vor, sie habe auch "die Dringlichkeit der Anti-Covid-Forschung nicht erfasst". Einzelne Werkstätten wie jene in Sisteron werden nun bestreikt.

Das französische Impfstofffiasko ist aber auch politisch bedingt. Der Forschungsaufwand im Bereich Gesundheit schwindet in Frankreich generell und beständig. Während er in Deutschland heute etwas mehr als drei Prozent des Bruttoinlandproduktes beträgt, ist er in Frankreich auf 2,25 Prozent gesunken. In Deutschland steigen die Forschungskredite, in Frankreich sinken sie. Dieser Befund entlarvt auch die Untätigkeit der französischen Behörden. Präsident Emmanuel Macron hatte den Krisenbeginn vor einem Jahr verschlafen und die Forschung kaum mobilisiert. (Stefan Brändle aus Paris, 5.2.2021)