Oliver Glasner hat momentan sportlich viel Grund zum Lachen. Wolfsburg steht in der Bundesliga auf Platz drei.

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Der deutsche Sport-Informations-Dienst bezeichnete Oliver Glasner vor seiner Ankunft beim VfL Wolfsburg im Sommer 2019 als "Trainer-Nobody". Mittlerweile hat sich der 46-jährige Oberösterreicher einen Namen gemacht. Seine "Wölfe" stehen nach 19 Bundesliga-Spieltagen sensationell auf Platz drei und im Pokal-Viertelfinale.

STANDARD: Warum läuft es so gut?

Glasner: Das hat mehrere Faktoren. Wir konnten einen Großteil des Kaders halten und die Mannschaft punktuell verstärken. In der Europa League sind wir leider früh ausgeschieden, konnten dadurch aber mehr trainieren. Das ging uns letzte Saison ab. Da gab es ab September nur noch englische Runden, Länderspiel- oder Corona-Pausen.

STANDARD: Wir würden Sie die VfL-Spielweise charakterisieren?

Glasner: Wir agieren geschlossen als Mannschaft. Das zeichnet uns aus. Wir setzen den Gegner immer wieder unter Druck. Wir versuchen, schnell nach vorn zu spielen und den Ball mit wenigen Kontakten laufen zu lassen. Wir setzen auf hohe Intensität, haben die meisten Sprints aller Klubs absolviert.

STANDARD: Auch Ihr Ex-Klub LASK war für hohes Pressing und eine gute Defensive bekannt. Konnten Sie diese Spielidee mitnehmen?

Glasner: Ich habe eine gewisse Vorstellung, von der ich hundertprozentig überzeugt bin. Dann kommt es darauf an, welche Spieler zur Verfügung stehen. Als ich im Sommer 2019 zum Verein gekommen bin, ergab die Analyse der Vorsaison, dass wir zu viele Gegentore bekommen haben. Vereinfacht ausgedrückt, haben wir deshalb den Sechser, Josuha Guilavogui, aus dem 4-3-3-System genommen und hinten reingestellt, also ein 3-4-3 daraus gemacht, um die Abstände in der letzten Reihe zu verkleinern. Als wir dadurch stabiler wurden, konnten wir den zentralen Abwehrspieler wieder um eine Position nach vorn schieben, weil die Defensive das ohne ihn hinbekommen hat. Im nächsten Schritt haben wir gesehen, dass wir diesen Stabilisator vor der Abwehr nicht mehr brauchten und konnten stattdessen einen Zehner in der Offensive einbauen. Das alles ist natürlich nur sehr plakativ dargestellt, es steckt schon viel Arbeit dahinter.

STANDARD: Die Doppel-Sechs Xaver Schlager und Maximilian Arnold zählten Sie unlängst "zu einem der Top-Drei-Duos der Bundesliga". Wie sehen Sie die Entwicklung des Österreichers Schlager?

Glasner: Er hatte ein schwieriges erstes Jahr mit seinem Knöchelbruch. Er kam schnell zurück, aber war aufgrund des dichten Programms immer auf Anschlag. Er ist dann in ein kleines Loch gefallen, was aber normal ist. Jetzt ist er wieder körperlich und geistig fit und spielt konstant sehr gut.

STANDARD: Corona beschäftigt auch den Fußball. Wie erleben Sie die Bundesliga-Blase?

Glasner: Es gibt nur Arbeit oder Zuhause, sonst nix. Ich bin täglich von 8 bis 19 Uhr am Trainingsgelände. Am Abend telefoniere ich noch mit meiner Familie, und danach liege ich auf der Couch. Die Spiele sind eine willkommene Abwechslung. Ansonsten heißt es: Täglich grüßt das Murmeltier.

STANDARD: Ihre Frau und die drei Kinder wohnen in Österreich. Wie oft sehen Sie sie?

Glasner: Das hängt vom Spielplan ab. Momentan alle zwei, drei Wochen für ein, zwei Tage. Die aktuelle Gesetzeslage erlaubt kurze Zusammentreffen, ohne dass jemand in Quarantäne muss.

STANDARD: Man merkt eine zunehmende Corona-Müdigkeit. Wie geht es Fußballern damit?

Glasner: Auch Fußballer sind Menschen mit Bedürfnissen, denen sie momentan nicht nachkommen können. Ein Beispiel: Wir gaben zu Weihnachten vier Tage frei. Unsere Brasilianer konnten aber nicht in die Heimat fliegen, weil sie sonst in Quarantäne gehen hätten müssen. Ihre Mütter konnten aufgrund des Einreiseverbots nicht nach Deutschland kommen. Ein anderer Spieler wurde positiv auf das Virus getestet und konnte zu Weihnachten nicht seine zwei kleinen Kinder im Alter von 1,5 Jahren und drei Monaten sehen. Es ist für alle anstrengend.

STANDARD: Auch die Stadien sind leer. Warum ist Wolfsburg trotz Zuschauerverbots heimstark?

Glasner: Letztes Jahr gehörten wir noch zu den schlechtesten Heimteams. Der einzige Unterschied ist, dass wir uns am Vortag nicht mehr im Hotel treffen, sondern erst in der Früh. Anscheinend tut es den Spielern gut, zu Hause zu schlafen.

STANDARD: Die Liga ging trotz Lockdowns weiter. Daran gab es auch Kritik. Wie sehen Sie das?

Glasner: Wenn man Gastronomen erlauben würde, ohne Gäste aufzusperren, wird das niemand machen. Im Fußball gibt es durchs Fernsehen die Möglichkeit, ohne Stadionbesucher zu spielen. Deswegen finde ich legitim, dass der Fußball weiterläuft. Das sichert auch Jobs. Und die Leute brauchen Unterhaltung.

STANDARD: Wolfsburg gilt nicht als Unterhaltungsgarant, sondern als graue Maus oder Retortenklub. Stört Sie das Image?

Glasner: Nein. Es gehört zur Geschichte, dass der VfL hundertprozentige Tochter von Volkswagen ist. Aber VW produziert nicht nur Autos, sondern leistet auch viel für die Region und die Menschen. Und momentan dürfen ohnehin keine Fans ins Stadion. Da ist es egal, ob ein Klub große Tradition und 80.000 Zuseher hätte. Aber klar, abseits Corona ist es schwerer, unser Stadion mit 30.000 Zusehern zu füllen. Das ist halt so und müssen wir akzeptieren. Wir geben sportlich unser Bestes, um das Image aufzupolieren.

STANDARD: Ihre Äußerungen zur Transferpolitik des Vereins ("Eines unserer Transferziele war es, einen Spieler mit Tempo und Tiefgang zu holen. Das haben wir halt nicht geschafft.") sorgten Ende 2020 für mediales Aufsehen. Würden Sie das im Nachhinein anders machen?

Glasner: Nein. Ich habe mit keiner Silbe jemandem etwas vorgeworfen. Ich habe in der "Wir"-Form gesprochen. Dass man gewisse Transferziele nicht realisieren kann, passiert jedem Verein in jeder Transferperiode so. Es ist wichtig, dass Trainer auch mal ihre Meinung äußern.

STANDARD: Sport-Geschäftsführer Jörg Schmadtke hätte das Thema lieber intern besprochen.

Glasner: Nochmals: Ich habe nie Kritik geäußert.

STANDARD: Es gab danach eine Aussprache zwischen Ihnen und Schmadtke. Wie ist seither Ihr Verhältnis zueinander?

Glasner: Professionell.

STANDARD: Zurück zum Sportlichen: Was sind die Saisonziele?

Glasner: Wir wollen uns zum dritten Mal in Folge für Europa qualifizieren. Das schaffte der Klub noch nie.

STANDARD: Auch Frankfurt mit Ihrem Landsmann Adi Hütter mischt vorn mit. Warum ist Österreichs Standing gestiegen?

Glasner: Ich weiß nicht, woran es liegt. Auch Peter Stöger war erfolgreich in Köln. Es zeigt, dass wir Österreicher offenbar auch ein bisschen etwas draufhaben im Fußball. (Andreas Gstaltmeyr, 5.2.2021)