Von den Plänen, sein Bundesland zu isolieren, hält Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) nichts.

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Neue Virusvarianten bringen Tirol jetzt abermals gefährlich in Bedrängnis. Es sind diese rund 75 Corona-Fälle der sogenannten südafrikanischen Variante, die nicht nur im Bundesland, sondern auch in der Bundesregierung Alarm auslösen.

Die Innsbrucker Virologin der dortigen Medizinischen Universität, Dorothee von Laer, warnt bereits vor einem "zweiten Ischgl". Also vor jener Situation im Frühjahr, als das gesamte Paznauntal zu spät unter Quarantäne gestellt wurde und das Virus so über ganz Europa verbreitet wurde. Von Laer fordert aufgrund eigener alarmierender Laboruntersuchungen von der Politik, härtere Maßnahmen zu setzen, um die weitere Ausbreitung der neuen, ansteckenderen Variante zu verhindern. Sogar das gesamte Bundesland sollte komplett isoliert werden, rät die Virologin.

Diese Forderung brachte auch einige Bewegung ins Gesundheitsministerium in Wien. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) gab zu, dass die Lage in Tirol "ernst" sei. In gewohntem Wording verwies er auf die nächsten Tage, die entscheiden würden. Bis Sonntag soll jetzt jedenfalls die virologische Situation in Tirol geklärt werden. Erst dann werden, wenn nötig, womöglich auch rigorosere Maßnahmen diskutiert werden. Im Gespräch ist tatsächlich eine Abschottung Tirols.

Massentests statt Isolation

Davon will Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) aber absolut nichts wissen: "Das gibt die Datenlage nicht her", sagte er am Donnerstag im Landtag. Man müsse "natürlich immer auf der Hut sein", gab er zu bedenken. Dennoch müsse darauf geachtet werden, "dass die Verhältnismäßigkeit gegeben ist". Stattdessen setze man in Tirol verstärkt auf "Testen und Tracen", erklärte der Landeschef. Dies bedeutet Massentests "insbesondere im Bezirk Schwaz und Umgebung". Pro Tag sollen 50.000 Tests in Tirol durchgeführt werden und 118 Teststraßen zur Verfügung stehen, untermauerte Platter die bereits am Mittwoch genannten Vorhaben.

Auch der Leiter des Corona-Krisenstabs des Landes, Elmar Rizzoli, versuchte zu beschwichtigen: Tirol sei "Vorreiter" in Sachen Sequenzierung, auch die Kontaktnachverfolgung funktioniere bestens. Woher die südafrikanische Variante aber schlussendlich kam, könne man aber immer noch nicht mit Sicherheit sagen. Rizzoli versuchte, den Weckruf der Virologin von Laer zu relativieren: Man könne nicht nur von nackten Zahlen ausgehen, sondern müsse sich die Fälle "detailliert anschauen", so Rizzoli im Ö1-Morgenjournal. Überhaupt geschehe die endgültige Sequenzierung nicht in ihrem Labor in der Innsbrucker Uniklinik, sondern in Wien.

Die Aussagen von Laers sorgten nicht nur wegen des Reizwortes "Ischgl" für Aufsehen. Sie äußerte auch ihre Befürchtung, dass die Tiroler Landesregierung etwas unter den Tisch kehre: "Das Land Tirol mauert und verschleiert wieder", sagte sie dem Kurier. "Die Frage ist, ob es nicht schon zu spät ist", meinte die Virologin. Auf STANDARD-Nachfrage war von Laer am Donnerstag nicht mehr zu erreichen – nur noch ihre Presseabteilung. Dies habe aber den Grund, dass es inhaltlich nichts Neues gibt, hieß es dort. Dies sei kein Dementi.

Seit dem Desaster rund um Ischgl lassen derartige Wortmeldungen einer fachkundigen Person jedenfalls die Alarmglocken läuten: Auch damals erfuhr die Öffentlichkeit erst spät die wahre Dimension des anfangs lokalen Clusters. Nach der sogenannten Rohrer-Expertenkommission begann das Land Tirol die Lehren aus Ischgl nur zögerlich umzusetzen. Fragt man Experten über Tirol, will sich derzeit niemand zu weit aus dem Fenster lehnen. Seitens politischer Entscheidungsträger wird von Laers Weckruf unter vorgehaltener Hand kritisiert.

In der Landesregierung versucht man gar, die Autorität der Virologin etwas zu unterminieren. Sie habe wohl aus "persönlichen Gründen" so gehandelt, weil sie beleidigt sei, keine Sequenzierungen machen zu dürfen, hieß es im Hintergrund.

Erster Nachweis vor Weihnachten

"Die Lage in Tirol ist ernst, aber nicht ganz so dramatisch." Das behauptet wiederum Ralf Herwig, der mit seinem Team von HG Lab Truck im Auftrag des Landes Tirol seit Jahresbeginn rund 30.000 Tiroler Virusproben (vor)ausgewertet hat, davon seien aus der Kontaktnachverfolgung etwa neun Prozent positiv gewesen. Von diesen Proben wiederum entfielen laut Herwig jeweils sechs bis sieben Prozent der noch nicht bestätigten Verdachtsfälle entweder auf die südafrikanische beziehungsweise auf die britische Virusvariante. In absoluten Zahlen gab es laut Herwig bisher "nur" 75 bestätigte Fälle der südafrikanischen Variante B.1.351 in Tirol. Wie diese Variante eingeschleppt wurde, ist laut Herwig nicht ganz klar. Er verweist aber darauf, dass sie erstmals bereits am 23. Dezember im Krankenhaus von Schwaz festgestellt wurde, also noch vor den Südafrika-Urlauben, die für reichlich Spekulationen sorgten. Ob das die späteren Fälle in Tirol erklärt, ist aber unklar. Einzelfälle wurden auch aus anderen Teilen Österreichs gemeldet.

Herwig schickte auffällige Proben aus PCR-Tests bisher nach Wien, unter anderem an die Ages, das IMBA (Dr. Ullrich Elling), die Med-Uni Wien und insbesondere an das Team um Andreas Bergthaler vom CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW), das die Vollsequenzierungen durchführt. Seit letzter Woche kam auch noch das Institut für Virologie von Dorothee von Laer dazu, das Teilsequenzierungen nach der sogenannten Sanger-Methode orts- und zeitnäher durchführt. Laut Herwig erhielt dieses Institut vor allem Proben aus einem Gebiet mit Südafrika-Verdachtsfällen – weshalb diese auch nicht für das Gesamtbild repräsentativ seien.

Laut Herwig gibt es in Tirol zwei Cluster mit der Südafrika-Variante. Und vor allem seien von den 75 bekannten Fällen nur mehr fünf Fälle überhaupt noch aktiv. Dennoch hält er die für das Wochenende geplanten Massentests im Bezirk Schwaz für wichtig.

Die brisante Tiroler Pandemiesituation hat natürlich auch die Nachbarländer hellhörig gemacht. An den Grenzübergängen zwischen Tirol und Bayern wird kontrolliert, aber man kann – trotz der Reisebeschränkungen – noch ein- und ausreisen.

Bayern begrüßt Abschottung Tirols

Eine Abschottung Tirols würde für viele Bayern Erschwernisse bringen. Und dennoch wäre man in München darüber nicht ganz unglücklich. Auch dort sitzt das Trauma von Ischgl immer noch tief. Viele Bayern schleppten das Virus aus dem Paznauntal über die Grenze ein. Zudem ist aktuell die Sieben-Tage-Inzidenz in Tirol (102) höher als in Bayern (83).

München liegt mit 48 erstmals seit Monaten sogar unter 50. Eine Abschottung Tirols würde Bayern schützen, heißt es in bayerischen Regierungskreisen. Dort mehren sich ohnehin die Anfragen, wie sich Bayern denn wappnen wolle, wenn nun in Österreich die Anti-Corona-Maßnahmen wieder gelockert werden.

Man versichert dem STANDARD, dass Bayern der deutschen Bundespolizei, die für den Grenzschutz zuständig ist, jegliche Hilfe anbieten werde, um strenge Grenzkontrollen durchführen zu können. Nachsatz: "Wenn Tirol dichtmacht, sparen wir uns natürlich beim Grenzschutz einiges." (Birgit Baumann, Laurin Lorenz, Walter Müller, Klaus Taschwer, 4.2.2021)