In wenigen Wochen kann man in Österreich ein trauriges Jubiläum begehen. Es wird dann ein Jahr her sein, dass die Katastrophe der Corona-Pandemie in Tirol ihren tragischen Ausgang nahm. Für alle Zeiten ist das mit einem Ortsnamen verbunden: Ischgl. In dem so beliebten wie europaweit bekannten Skiort hat sich das Virus inmitten eines arglos feiernden internationalen Massenpublikums verbreitet.

Was die Skitouristen damals – anders als die Tiroler Landesgesundheitsbehörden – nicht wussten: Die Ansteckung ging von nur einer Person in einer Bar aus. Blitzartig, in nur wenigen Tagen, breitete sich die Seuche über den halben Kontinent aus, nach Island, Dänemark und Großbritannien, in Belgien, Deutschland oder Ungarn.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP).
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Als DER STANDARD Mitte März 2020 erstmals über diese Spur berichtete, wurde seitens der Behörden alles abgestritten und sogar gedroht. Politiker redeten die Sache klein, schauten weg, vom Landeshauptmann Günther Platter abwärts. Der Skandal gipfelte in der Aussage des Gesundheitslandesrates Bernhard Tilg, er und seine Beamten hätten "alles richtig gemacht". Ein für viele Menschen in Europa tödlicher Irrtum. Tilg, Platter, auch Liftkaiser Franz Hörl: alle noch da.

Platter redet klein

An all das muss man erinnern, wenn dieselbe Landesregierung das neue Problem, die gefährlichen Coronavirus-Mutanten in Tirol, vom Tisch zu wischen versucht. Es ist ein angsterregendes Déjà-vu, wenn Platter so tut, als habe man die Sache voll im Griff. Man glaubt ihm nicht. Er redet klein.

Wer hingegen Klartext redet, ist eine der renommiertesten Virologinnen, Dorothee von Laer von der Medizinuniversität Innsbruck. Nicht zuletzt wegen "Ischgl" hat sie höchste Expertise. Wenn Frau von Laer Alarm schlägt und vorschlägt, ganz Tirol einen Monat lang zu isolieren, ist Handeln angesagt.

Ischgl steht für Gier und Versagen. Nun droht doppeltes Versagen. Das trifft vor allem den Letztverantwortlichen, Kanzler Sebastian Kurz. Es reicht nicht, still hinzunehmen, dass sein Gesundheitsminister erst einmal (wieder einmal) bis Sonntag warten will, um zu entscheiden, wie es weitergeht.

Der Kanzler soll auch nicht Nebelgranaten streuen, indem er plötzlich die Zulassung des russischen und chinesischen Impfstoffes fordert. Sie sind in der EU nicht zugelassen. Will er sie – wie Viktor Orbán in Ungarn – im nationalen Alleingang in Österreich verimpfen lassen? Kurz muss rasch entscheiden, auch darüber, ob die Lockerungen in Österreich ab Montag noch sinnvoll sind. Jeder Tag zählt. (Thomas Mayer, 4.2.2021)