Finanzminister und SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz will die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Wahljahr vor sich hertreiben und nach der Wahl im September Kanzler werden.

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Olaf Scholz war not amused. Bei der Impfstoffbestellung sei es auf EU-Ebene "richtig scheiße gelaufen", wetterte der deutsche Finanzminister (SPD) laut Bild-Zeitung diese Woche in der Kabinettssitzung. Und er, so der sonst eher besonnene Scholz, habe jetzt bei der Impfkampagne in Deutschland keinen "Bock darauf, dass sich der Scheiß jetzt wiederholt".

SPD-Chefin Saskia Esken bestätigte den Ausraster später: "Tatsächlich muss man sagen: Olaf Scholz geht nicht oft auf die Art und Weise aus sich raus, da ist schon einiger Ärger zusammengekommen." Ärger darüber nämlich, dass Deutschland derzeit über nicht so viel wie Impfstoff verfügt, wie es gerne hätte. Die Ungeduld der Bürgerinnen und Bürger steigt, sie sind des Lockdowns müde. Licht am Ende des Tunnels gibt es – anders als in Österreich – nicht, von Lockerungen ist noch keine Rede.

Doch nicht nur Wut dürfte der Grund für Scholz’ harte Worte gewesen sein. Er befindet sich bereits im Wahlkampfmodus und hat für seine ganz persönliche Wahlkampagne die schleppend verlaufende Impfaktion entdeckt.

Scholz bereits nominiert

Die Bundestagswahl findet am 26. September statt. Etwas mehr als sieben Monate vorher hat die SPD der Union eines definitiv voraus: Bei ihr gibt es schon einen Kanzlerkandidaten, nämlich Scholz. Nominiert wurde er bereits im August.

Die CDU hingegen ist froh, dass sie nun – mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet – zumindest einmal einen neuen Vorsitzenden gefunden hat. Ob er auch Kanzlerkandidat der Union wird, oder doch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bleibt weiterhin offen.

Definitiv nicht voraus hingegen ist die SPD der Union in Umfragen. Die Sozialdemokraten, die gerne den nächsten Kanzler stellen möchten, liegen bei 15/16 Prozent, die Union bei 36/37. Da könnte es – damit sich der Abstand verringert – ganz hilfreich sein, Merkel und andere CDU-Politiker mit dem Impfärger zu piesacken. So lautet wohl die Scholz’sche Überlegung.

Brief an Spahn

Begonnen hat er mit einem Brief an den deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich nach Angaben von Unions-Politikern wie der Fragenkatalog in einem Untersuchungsausschuss las.

In 24 Fragen und 28 Unterpunkten begehrte Scholz Auskunft: Warum Deutschland so wenig Impfstoff habe und Kanada beispielsweise sehr viel mehr?

Scholz hätte dies seinen Kollegen Spahn natürlich einfach im Kabinett fragen können oder im Koalitionsausschuss. Aber er verfasste lieber öffentlichkeitswirksam einen Brief, um auf das Versagen aufmerksam zu machen.

Spahns Konter: "Das funktioniert in so einer Phase nicht gut: gleichzeitig Regierung und Opposition sein zu wollen. Irgendwie hat es auch seit 20 Jahren für die SPD nicht gut funktioniert."

Auf Distanz zu Merkel

Doch Scholz will von dem Thema nicht lassen. Als Merkel und Spahn erklärten, man werde, ungeachtet der jetzigen Knappheit, bis Ende des Sommers jedem Bürger und jeder Bürgerin ein Impfangebot machen können, ging er auf Distanz und sagte: "Diese Zusage haben Kanzlerin und Gesundheitsminister gegeben."

Auch gegen Brüssel schießt Scholz: "Es wäre gut gewesen, Europa hätte mehr Impfstoff bestellt. Viel weiter über den eigenen Bedarf hinaus." Die Kommission wird bekanntlich von Merkels Vertrauter, Ursula von der Leyen, geführt.

Dass er bereits stark die Wahl im September im Blick habe, bestreitet Scholz. Er sagt: "Etwas Vernünftiges für die Bürgerinnen und Bürger zu fordern, ist nicht Wahlkampfmusik." Merkel selbst fühlt sich offensichtlich nicht von ihm in die Enge getrieben. Sie ist der Meinung, dass beim Impfen in Deutschland "im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen ist." (Birgit Baumann aus Berlin, 4.2.2021)