Eingriff gelungen, Daumen nach oben: Mit seinem Fotobuch würdigt Günter Valda die Arbeit des Personals in der Notaufnahme des Wiener AKH.

Foto: Günter Valda

Wie viele Tote es genau waren, das kann Günter Valda nach 16 Jahren Arbeit als Krankenpfleger in der Notaufnahme im Wiener AKH nicht exakt sagen. Es waren jedenfalls sehr viele. "An die 500 werden es schon gewesen sein, vielleicht auch mehr." Einigen von ihnen und vor allem jenen, die um ihr Leben gekämpft und sie in ihren letzten Sekunden begleitet haben, setzt der Krankenpfleger und Fotograf ein Denkmal – er verewigt sie in seinem Buch House of Fate, das er mittels Crowdfunding finanziert.

Explizit und intim

Völlig erschöpftes, trauriges, aber auch glückliches Personal, Fotos eines Kaiserschnitts, von Bluttransfusionen und von Verletzten, die angeschlossen an Beatmungsgeräte zwischen Leben und Tod stehen – ein paar haben den Kampf bereits verloren –, oder einfach nur Schläuche, die an Menschen hängen: Die Bilder, die Valda zeigt, sind explizit und intim gleichermaßen – und nicht gerade leicht verdaulich. Und sie stellen jene in die Auslage, die ansonsten nur im Hintergrund werken: das Personal aus dem "Bunker", wie das AKH aufgrund seines herben Charmes intern genannt wird.

In der Notaufnahme.
Foto: Günter Valda

Die hermetisch abgeriegelten Behandlungsräume in der Notaufnahme sind fensterlos: "Man geht rein, arbeitet zwölf Stunden, und es spuckt einen dann wieder aus", sagt Valda im Gespräch mit dem STANDARD: "Das ist wie im Bergbau, wo sie in den Stollen runterfahren und nach einer Schicht wieder raufkommen." Dazwischen retten sie Leben.

Kaiserschnitt.
Foto: Günter Valda

Arbeit als "Knochenmaschine"

Die Arbeit sei enorm belastend: "Das ist eine physische und psychische Knochenmaschine." Die Nachtdienste verursachen biorhythmische Störungen, das Sozialleben leide unter den Zwölf-Stunden-Schichten: "Der massive Menschenverschleiß ist vorprogrammiert." Das Personal brennt aus: "Davon sieht und hört man recht wenig."

Sein Buch House of Fate bezeichnet er auch deswegen als sein Herzensprojekt: "Ich zeige die, die man sonst nie sieht." Dass der 45-jährige Niederösterreicher heute einer von ihnen ist, führt er auf ein schweres Unfalltrauma zurück, das er als Neunjähriger erlitten hatte: "Ich war auf der Intensivstation. Zwischen Leben und Tod." Das Trauma begleite ihn bis heute und Fragen wie: Warum überlebt der eine, während der andere stirbt?

Krankenpfleger und Fotograf und Günter Valda zeigt ungeschönte Einblicke.
Foto: Günter Valda

Den Job im AKH hat Valda nach 16 Jahren Ende 2019 an den Nagel gehängt. Er arbeitet mittlerweile nicht mehr in der Notaufnahme, aber nach wie vor in der Krankenpflege.

Den Tod spüren

Die Fotos seines Buches sind in den letzten zwei Jahren seiner Tätigkeit im AKH entstanden. Garniert hat er sie mit Statements der Protagonisten. So sagt etwa Rosi: "Wenn ein Mensch stirbt, dann merke ich das, wenn ich ihm die Hand halte. (...) Ich brauche keinen Monitor, um zu wissen, dass das Herz zu schlagen aufgehört hat, Körperkontakt reicht."

Dass er die Fotos überhaupt machen konnte, beruhe auf einer großen Vertrauensbasis mit seinen Kolleginnen und Kollegen: "Die Bilder von ihnen sind ja auch nicht immer vorteilhaft", sagt Valda und lacht. Vor der Veröffentlichung habe er das Okay aller Beteiligten eingeholt, erzählt der 45-Jährige. Im Falle der Toten waren es die Nachlassverwalter.

Im Kern des Bunkers.
Foto: Günter Valda

Wimmelbilder

Wenn es wie in der Notaufnahme um Entscheidungen in Sekundenschnelle geht, sei es natürlich wichtig, dass die Kamera nicht die Arbeit störe: "Ich habe versucht, mit einer kleinen Kamera sehr unauffällig zu agieren. Die Kollegen waren immer fokussiert und nie abgelenkt", betont er. Manche Fotos haben den Charakter von Wimmelbildern: wenn sich Ärzte und Pfleger um einen OP-Tisch gruppieren. Jedes Rädchen muss passen.

Finanziert hat Valda das Buch via Crowdfunding auf der Plattform Startnext: Bis Freitagnachmittag konnte er über 8000 Euro sammeln. Sein Ziel – das Crowdfunding läuft noch bis Sonntag – sind 12.000 Euro, dann wären alle Kosten gedeckt. "Man will mit seiner Arbeit ja kein Minusgeschäft machen", sagt er. Das Buch soll Anfang März im Kettler Verlag erscheinen.

Gesichter der Pandemie

House of Fate ist nicht Valdas erstes Fotoprojekt und auch nicht sein letztes. Nach Wiederbelebt, in dem er 13 Menschen porträtierte, die einen Herzstillstand überlebt hatten, widmet er sich jetzt den Covid-Stationen. Er sammelt unter dem Titel "Aus dem Auge des Tsunamis" Selfies von Ärzten und Pflegekräften, die mit Corona-Patienten zu tun haben. Auch sie seien selten sichtbar, denn über Corona sprächen fast immer nur Politiker oder Wissenschafter, sagt Valda. Die Zustände auf den Stationen blieben meist im Verborgenen. An die 100 Fotos hat er jedenfalls schon. Hinter jedem einzelnen steckt eine Geschichte.

Corona zeige die Schwachstellen des Gesundheitssystems: Durch den Spardruck der letzten Jahre fehle es an Personal und Betten. Auf eine Pandemie sei niemand vorbereitet gewesen.

Das Gesundheitspersonal müsse jedenfalls ausbaden, was Politiker und Bevölkerung verbockten: "Werden die Lockerungen zurückgenommen, steigen die Zahlen. Und alle wissen: Die nächste Welle ist im Anrollen." Und es geht wieder richtig zur Sache. (Oliver Mark, 6.2.2021)