Im Zusammenhang mit der großen "Corona"-Kundgebung am Sonntag, 31. 1., die zwar verboten wurde, bei der aber trotzdem 10.000 Menschen die Wiener Innenstadt besetzten, gab es heftige Diskussionen, auch unter STANDARD-Lesern:

Einige argumentierten, sie hätten gar nicht gewusst, dass der "Spaziergang" vom 31. 1. von Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern organisiert und beworben wurde; andere sagten, das sei ihnen wurscht, sie wollten nur ihren Frust loswerden; und ein paar fragten, wie man denn als "Normalo"-Bürger eine Protestveranstaltung ohne Rechtsextremisten und Aluhut-Träger erkennen oder gar aufziehen soll.

Nicht ganz einfach. Denn die Rechten und auch die "Querdenker" haben gelernt, Begriffe gekapert und umgedreht. Krasses Beispiel: der "Judenstern" mit der Aufschrift "nicht geimpft", den sich manche aufkleben. So machen sich durchaus aggressive Corona-Leugner unter Missbrauch des Holocaust zu Opfern. Und Opfern steht doch das Recht auf (gewaltsamen) Widerstand zu, oder?

Viele Kritiker der Corona-Maßnahmen fragen sich, wie man sich seriös organisieren kann.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Vor allem achte man auf die Sprache. Ist sie schrill und arbeitet mit apokalyptischen Visionen ("Regierung plant Völkermord"), kann man die betreffende Gruppe vergessen. Man achte auf Schlüsselwörter wie "Zwangsimpfung" (die niemand plant), "CoronaDiktatur" (=Aufforderung zum Maskentragen), "Chip-Implantate". Bei den Rechten ist die "Unterdrückung des Volkes" in allen Kombinationen beliebt und die meist antisemitisch unterlegte Nennung von dunklen Drahtziehern wie "Bill Gates", "George Soros" oder "Rothschild". Corona-Maßnahmen werden mit der mörderischen NS-Diktatur gleichgesetzt. Bei der FPÖ unter Herbert Kickl ist "die Freiheit" gefährdet (durch Testen).

Falsche Interpretation

Verschwörungstheoretiker suggerieren, dass nichts ein Zufall ist, alles aus einem geheimen Grund geschieht. Sie berufen sich auf Quellen, die im Internet kursieren, manchmal sogar von medizinisch gebildeten Persönlichkeiten, die aber meist nicht von anerkannten Institutionen unterstützt werden. Sie arbeiten mit verwirrenden Statistiken oder deren falscher Interpretation (etwa der vielzitierten Stanford-Studie von Ioannidis, die eben nicht sagt, dass Lockdowns sinnlos sind). Oft mit glatten Unwahrheiten.

Gut, das wären die, denen man nicht folgen soll. Aber was ist, wenn die inzwischen die Szene dominieren? Wie kann man sich seriös organisieren? Für eine detaillierte Anleitung "Wie ziehe ich einen zivilgesellschaftlichen Protest auf?" ist in einer solchen Kolumne leider kein Platz. Dennoch sei gesagt: Das Stichwort lautet "Vernetzung". Wenn ein gesellschaftliches Thema brennt, sieht man sich am besten nach Gleichgesinnten um, schaut ins Internet oder schreibt selbst einen Beitrag. Wenn es den Zeitgeist und das Problembewusstsein trifft, entsteht rasch ein Schneeballeffekt.

So war das bei einigen der großen zivilgesellschaftlichen Bürgerbewegungen der letzten Jahrzehnte. Der Widerstand gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf 1978, gegen das Donaukraftwerk Hainburg 1984, das "Lichtermeer" gegen Jörg Haiders Ausländerfeindlichkeit (200.000 Menschen auf dem Heldenplatz) entstanden in den Wohnzimmern von ein paar Uni-Professoren, Künstlern, Intellektuellen, Studenten, aktiven Bürgern. Alexander Van der Bellen wurde 2016 auch dank der Aktivitäten von hundert kleinen Initiativen gewählt, die sich unter dem Dach der privaten Organisation "Es bleibt dabei" sammelten.

Oft kamen später große Unterstützer (Hainburg: die Krone) dazu. Aber die Initiative gingt fast immer von Privatleuten aus. (Hans Rauscher, 5.2.2021)