Für die Abschiebung der Familien haben Ana* und Malina* kein Verständnis. Was es heißt, "illegal" in Österreich zu sein, weiß Malina aus eigener Erfahrung.

Foto: Elisa Tomaselli

Das war’s jetzt, denkt Malina*, als die Autotüren mit einem Ruck zugehen. Mit zittriger Hand tippt die junge Georgierin die Nummer ihres Anwalts ins Handy. Erst am Tag zuvor hat sie ihm 300 Euro überwiesen; die Familie war in Traiskirchen zur Einvernahme, wieder einmal.

"Ihr werdet jetzt abgeschoben", sagte ein Beamter. Die Worte drehen sich in ihrem Kopf. Es piepst, der Anwalt geht dran. "Wir werden abgeschoben!", ruft Malina. "Melden Sie sich morgen noch einmal", antwortet er. Das Auto fährt los. Malina, damals 17, ihr vier Jahre jüngerer Bruder und ihre Eltern werden in ein Wiener Polizeianhaltezentrum gebracht.

17 Jahre sind seither vergangen. Doch die Bilder der Schülerin Tina, ihrer Schwester und Mutter, wie sie am frühen Morgen des 28. Jänner 2021 im Polizeiwagen abgeholt wurden, haben bei Malina Erinnerungen geweckt. "Tinas Mutter erinnert mich an unsere", sagt die heute 34-Jährige, "auch wenn es fast immer aussichtslos schien, hat sie für uns gekämpft."

Parallelen zwischen ihrer und Tinas Geschichte, sagt Malina, gebe es viele. Mit einem Unterschied: Malinas Familie lebt heute in Österreich, während Tinas Familie wieder im Großelternhaus in Georgien ist.

Zwischen Legalität und Illegalität

Vorerst. In der Causa könnte sich eine Lösung abzeichnen, wie die Kleine Zeitung berichtet. Denn neben dem Asylwesen gibt es noch weitere legale Aufenthaltstitel, um im Land zu leben. Einer davon ist eine Aufenthaltsbewilligung als Schüler oder Schülerin.

Diese ist für Drittstaatsangehörige vorgesehen, die für die Zeit ihrer Ausbildung an einer öffentlichen oder privaten Schule ein vorübergehendes Recht auf Aufenthalt bekommen. Dieser Aufenthaltstitel fällt in die Zuständigkeit der rot-pink regierten Stadt Wien – es entscheidet die Magistratsabteilung 35.

Die Abschiebung der Wiener Schülerinnen spült derweil in der türkis-grünen Koalition die seit jeher unvereinbaren Positionen im Asylrecht an die Oberfläche. Als kleinster gemeinsame Nenner wurde nun eine Kindeswohlkommission unter der Leitung der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Ex-Neos-Abgeordneten Irmgard Griss eingesetzt. Diese soll prüfen, ob Kinderrechte in der Rechtspraxis genügend gewürdigt werden, und bis zum Sommer 2021 Empfehlungen erarbeiten.

Rechtlicher Schwebezustand

Das Schicksal der Gymnasiastin Tina gab dem Dutzendfall Gesicht und Stimme. Über Jahre lebte ihre Familie in Österreich ein Leben zwischen Legalität und Illegalität – so wie Malinas, wie viele andere. Was macht dieser rechtliche Schwebezustand mit ihnen?

Wir begleiten Malina zu einem Treffen mit Ana*, einer langjährigen Freundin, die wie sie in Georgien aufgewachsen ist. Sie schlendern an diesem kalten Mittwochnachmittag durch Schönbrunn. "In Georgien fragen alle ständig, wann man endlich ein Kind kriegt", erzählt die 37-jährige Ana, die vor zwei Jahre Mutter wurde. "Und nach dem ersten ist dann die Frage, wann das zweite kommt." Beide lachen.

Ana und Malina kennen die Kultur, das Land, die Mentalität – über die sie, wie auch jetzt, gern scherzen. Mittlerweile haben beide Familien in Wien gegründet. Beide kennen aber auch die Angst, die Unsicherheit in Österreich.

Leben als "U-Boot"

Was, wenn das Studierendenvisum nicht verlängert wird, sie plötzlich ohne Papiere in Österreich steht? An diese ständigen Sorgen kann sich Ana, die 2003 als Au-Pair vom georgischen Land nach Wien gekommen ist, gut erinnern. Während sie sich, wie sie sagt, auch mithilfe ihrer Gastfamilie durchkämpft hat, lebte Malinas Familie eine lange Zeit als "U-Boot", sie tauchten immer wieder bei Bekannten unter.

Das sei auch der Grund, warum sie es bis jetzt hasst, umzuziehen. "Am liebsten würde ich ewig in meiner jetzigen Wohnung bleiben", sagt die Sozialpädagogin und zählt ihre Stationen seit 2005 auf: Abchasien, Tiflis, Batumi, Baden, Floridsdorf, Flüchtlingsheime der Diakonie.

"Erst seit ich eine eigene Wohnung habe, kann ich wieder ruhig schlafen", sagt Malina. Das war über die Jahre hinweg, in denen sie mit ihrer Familie ohne gültigen Aufenthalt in Wien war, undenkbar. "Jedes Mal, wenn ich an der Tür ein Geräusch hörte, fing mein Herz zu rasen an." Diese ständige Angst, dass plötzlich die Polizei vor der Haustür steht, um sie abzuholen, "das machte uns wahnsinnig".

Vertriebene

In Georgien selbst konnten sie sich keine Existenz aufbauen. Der Krieg in den 90er-Jahren machte sie zu Vertriebenen im eigenen Land. Ihr Vater, so sagt sie, leide bis heute an posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen. Groß war die Hoffnung, dass alles in Wien endlich besser werden würde.

Doch was folgte, war ein rechtliches Versteckspiel. Ihre Mutter habe oft daran gezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, herzukommen. Malina auch. Als 16-Jährige konnte sie wegen des ständigen Umherziehens nicht weiter die Schule besuchen.

Auch ein Studium, das sie mit einer Berechtigungsprüfung aufnahm, brach sie ab. Ihr Vorteil war ihr perfektes Deutsch, das sie wegen ihres Unterrichts in Georgien sprach. Deswegen war sie auch über die Jahre ständig das Sprachrohr zwischen der Familie und den Behörden.

Unterschiedliche Fluchtgründe

Geschichten wie jene von Malinas und Tinas Familie lassen sich nicht direkt vergleichen, weil die Fluchtgründe, wie so oft, unterschiedlich sind: Bei Malinas Familie waren es die Flucht vor dem Krieg und der Versuch, in Österreich neu anzufangen.

Tinas Mutter sprach vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von Gewalt in der Familie. Wenn dann ein erfolgloses Asylansuchen das nächste jagt, sind es aber die Konsequenzen und das daraus resultierende Leben in ständiger Ungewissheit, die diese Schicksale allemal einen.

"Man spricht ihnen ab, sich ein Leben aufzubauen", sagt Maren Riebe vom Verein Ute Bock. Jene armenische Familie, die ebenfalls letzte Woche abgeschoben wurde, war bei dem Verein in Betreuung. "Und es gibt etliche Fälle von Menschen, die über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in der Schwebe hängen", sagt Riebe.

Deren letzte Hoffnung auf humanitäres Bleiberecht gleiche oft einem Lottospiel. 2020 wurde es in 2200 Fällen vergeben; bei Menschen aus Georgien gab es 49 positiv beschiedene Anträge, 362 waren negativ.

Organisationen wie die Diakonie oder auch das Flüchtlingsprojekt Ute Bock fordern deshalb Reformen: Weg von der Zuständigkeit des Innenministeriums hin zu einer Härtefallkommission auf Landesebene, die dann Bürgermeister, Vereine, Bekannte über den für den Erhalt des humanitären Bleiberechts ausschlaggebenden "Integrationsgrad" der Menschen befragen könnte – also jene, die ihn tatsächlich am besten beurteilen können.

Ärger in der Community

"Meine Mutter hatte überall Freunde und Bekannte", erzählt Malina, sie habe die Familie als Köchin erhalten. Malina, die zunächst auch als Kellnerin gearbeitet hat, absolvierte ein paar Jahre später das Sozialkolleg.

Warum Malinas Familie im Jahr 2005 nicht in den Flieger gesetzt, sondern nach ein paar Stunden mit den Worten "Ihr könnt wieder gehen" freigelassen wurde, kann sie sich bis heute nicht erklären. Nach etlichen zunächst aussichtslosen Asylanträgen erhielten sie wegen des schlechten Gesundheitszustands ihres Vaters letztlich subsidiären Schutz.

Seit Tinas Abschiebung brodelt es auch in der georgischen Community in Wien. "Auf Facebook regen sich viele über Tinas Mutter auf", sagt Ana. "Sie meinen, sie würde Georgien in den Dreck ziehen." Dabei hätten viele der hier lebenden Georgier ähnliche Erfahrungen hinter sich, "Wie können sie also so über diese Mutter urteilen?", fragt Ana. "Sie verstehen einfach nicht, was für ein Glück sie hatten", sagt Malina. (Elisa Tomaselli, 6.2.2021)