Frontex befindet sich gerade in einem massiven Ausbau. 10.000 zusätzliche Beamte soll die Agentur bis 2027 bekommen.

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Seit Monaten stehen die EU-Grenzschutzorganisation Frontex und ihr Chef Fabbrice Leggeri schwer unter Druck, weil ihnen Beteiligung an illegalen Pushbacks von Migranten am Mittelmeer vorgeworfen werden. Wie ein Recherchekollektiv, bestehend aus freien Journalistinnen, der NGO Frag den Staat und Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale, berichtet, sollen nun EU-Dokumente belegen, dass sich Frontex zwischen 2017 und 2019 insgesamt 16 Mal mit Lobbyisten aus der Rüstungsindustrie getroffen hat, obwohl 2018 behauptet wurde, genau das nicht zu tun. Der Spiegel berichtete außerdem am Freitag über Ermittlungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF gegen Frontex wegen Betrugsverdachts. Die Kritik und Rücktrittsforderungen an Leggeri werden indes immer lauter.

"Weil Frontex seiner Verantwortung als EU-Agentur nicht gerecht wird, hat das ZDF Magazin Royale diese Aufgabe übernommen", hieß es auf einer Website mit dem Namen Frontex Files am Freitag, die von Böhmermanns Team aufgesetzt wurde. Berichtet wird von 142 Dokumenten, darunter Programme, Teilnehmerlisten, Powerpoint-Präsentationen und Werbekataloge. Sie sollen belegen, dass Frontex zwischen 2017 und 2019 16 sogenannte "Industry-days" veranstaltet hat. Eingeladen waren dazu offenbar Vertreter von Glock, Airbus, Heckler & Koch aber auch der Regierungen von Angola, Serbien, Kosovo oder den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie internationalen Organisationen wie Interpol, Europol oder der OSZE. Auch das mehrheitlich im österreichischen Staatsbesitz stehende "Austrian Institute Of Technology" (AIT) findet sich mehrmals als Teilnehmer der Treffen mit Vertretern der Behörde

ZDF MAGAZIN ROYALE

"Frontex trifft sich nicht mit Lobbyisten"

Laut Böhmermann soll Frontex 2018 gegenüber EU-Parlamentariern angegeben haben, sich nur mit Interessensvertretern zu treffen, die im EU-Transparenzregister gelistet sind. Die Dokumente würden nun Treffen mit 138 Vertretern privater Firmen belegen, von denen die Mehrheit nicht im EU-Transparenzregister gelistet sein soll. Thema der Treffen sollen vor allem Waffen und Technologie zum Außengrenzschutz gewesen sein. Besonders interessiert hätten sich die EU-Grenzschützer dem Bericht zufolge für die Sammlung, den Gebrauch und die Speicherung biometrischer Daten. Airbus soll auch vorgeschlagen haben, Zeppeline für die Überwachung von Flüchtlingen aus der Luft zu kaufen.

Bei Frontex kann man die Kritik nicht nachvollziehen. "Frontex trifft sich nicht mit Lobbyisten. Es lädt Firmenvertreter ein, um an den Industrie-Tagen der Agentur teilzunehmen, die Grenzschutz-Offiziellen helfen sollen, über neue Technologien und Innovationen in Bezug auf Grenzkontrolle zu lernen", heißt es auf Anfrage des ZDF. Gegenüber der Zeit Online erklärte ein Sprecher, dass die Dokumente, auf die sich Böhmermann bezieht, öffentlich einsehbar seien und Frontex selbst zur Verfügung gestellt habe. Man habe zu den erwähnten Treffen sogar öffentlich auf der Plattform Linkedin eingeladen.

Betrugsverdacht und Schikane

Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF ermittelt schon seit einiger Zeit wegen Vorwürfen bezüglich illegaler Pushbacks im Mittelmeer gegen die Grenzagentur. Eine interne Kommission untersuchte 13 Fälle, in denen Frontex-Beamte an solchen beteiligt gewesen sein sollen. In acht Fällen konnte laut einem Zwischenbericht zwar keine Beteiligung festgestellt werden, in fünf Fällen reichten die vorgelegten Informationen allerdings nicht für eine Prüfung aus. Außerdem wurde in den acht Fällen zum Teil auf Aussagen der griechischen Küstenwache vertraut, wonach Migranten freiwillig umgekehrt seien.

Bei den Ermittlungen soll es nun auch um einen möglichen Betrugsfall im Zusammenhang mit einem polnischen IT-Unternehmen gehen, wie der "Spiegel" berichtet. Von diesem soll die Grenzschutzagentur eine Software zugekauft haben. Obwohl diese laut Frontex-Mitarbeitern nur unzureichend funktionieren soll, soll Frontex den Großteil der vereinbarten Summe bezahlt haben. Dem Bericht zufolge soll die Causa nicht gemeldet worden sein, obwohl sogar Frontex-Chef Leggeri davon gewusst haben soll.

Fabbrice Leggeri sieht sich mit Kritik von vielen Seiten konfrontiert.
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Nach dem "Spiegel"-Bericht, der sich auf gemeinsame Recherchen mit der Medienorganisation Lighthouse Reports und der französischen Zeitung "Libération" stützt, untersuchen die OLAF-Ermittler auch, ob Offizielle angewiesen wurden, der Grundrechtsbeauftragten der Agentur Informationen vorzuenthalten. Außerdem stehen Vorwürfe gegen Leggeri und seinen Kabinettschef wegen angeblicher Schikane von Mitarbeitern im Raum.

Ein Frontex-Sprecher betonte, dass Leggeri sich auf das Ergebnis der Ermittlungen freue, weil er davon ausgehe, dass es die harte Arbeit der Behörde zeigen werde. Auch biete Frontex seinem Personal mehrere Wege, Beschwerden wegen möglichen Mobbings einzureichen. Gegen Leggeri und auch seinen Kabinettschef habe es keine offizielle Beschwerde gegeben.

Kritik und massiver Ausbau

Je länger die Liste der Vorwürfe wird, desto lauter wird auch die Kritik an Leggeri. Zahlreiche Politiker und EU-Abgeordnete, allen voran die deutschen und europäischen Sozialdemokraten, fordern seinen Rücktritt. Zuletzt erhöhte auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson den Druck. "Die jüngsten Berichte in den Medien sind sehr besorgniserregend", sagte die Schwedin. Leggeri und der Frontex-Verwaltungsrat hätten eine große Verantwortung, darüber zu entscheiden, wie die Situation verbessert werden könne. "Die Erwartungen sind hoch."

Frontex befindet sich momentan mitten in einem massiven Ausbau. Bis zum Jahr 2027 soll die Behörde unter anderem 10.000 neue Beamte bekommen. "Frontex wird mit Abstand die größte EU-Agentur mit viel Macht", sagte Johansson. Derzeit seien viele Verpflichtungen etwa mit Blick auf die Einstellung von Grundrechte-Überwachern, von Personal für die Führungsebene oder für die ständige Reserve jedoch nicht erfüllt. (jop, APA, 6.2.2021)