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Das russische Spezialschiff "Fortuna" hat ungeachtet der Vorbehalte der neuen US-Regierung die Verlegung der Rohre für die Nord-Stream-2-Pipeline in der Ostsee fortgesetzt.

Foto: REUTERS/ANTON VAGANOV

Moskau – Das russische Spezialschiff "Fortuna" hat ungeachtet der Vorbehalte der neuen US-Regierung die Verlegung der Rohre für die Nord-Stream-2-Pipeline in der Ostsee fortgesetzt. Die Arbeiten seien in dänischen Gewässern aufgenommen worden, teilte das Konsortium hinter dem Projekt am Samstag mit. Möglich geworden sei das nach erfolgreichem Abschluss einer Reihe von See-Rechts-Prozessen. Das umstrittene Projekt wird unter anderem von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützt.

Durch die fast fertiggestellte Doppelröhre soll Erdgas von Russland nach Deutschland transportiert werden, um von dort aus weiter verteilt zu werden. Die USA versuchen dies mit Sanktionen zu verhindern, auch gegen den Eigner der "Fortuna". US-Präsident Joe Biden hatte den Bau der Pipeline als dumme Idee bezeichnet.

Ein Jahr Pause

Alle Arbeiten erfolgten in Übereinstimmung mit den vorliegenden Genehmigungen, teilte die Projektgesellschaft am Samstagabend mit. "Zum Bauablauf und den weiteren Planungen werden wir entsprechend informieren", hieß es. Schon vor gut zwei Wochen hatte das russische Spezialschiff "Fortuna" mit Vorbereitungen und Tests begonnen. Zuletzt war Ende des vergangenen Jahres ein 2,6 Kilometer langer Abschnitt in deutschen Gewässern fertiggestellt worden. Der Bau hatte zuvor ein Jahr geruht, nachdem Sanktionsdrohungen aus den USA Ende 2019 zum Abzug von Spezialschiffen einer Schweizer Firma geführt hatten.

Die letzten sechs Prozent

Nach Angaben von Nord Stream 2 sind 94 Prozent des rund 1.230 Kilometer langen Doppelstrangs bereits fertiggestellt. Er soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland befördern. Den Angaben zufolge fehlen noch etwa 120 Kilometer in dänischen und 30 Kilometer in deutschen Gewässern. Das zuständige deutsche Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hatte Mitte Jänner den sofortigen Weiterbau in deutschen Gewässern erlaubt, nachdem die Genehmigung Ende vergangenen Jahres ausgelaufen war. Derzeit ist die Genehmigung allerdings außer Kraft, weil Umweltverbände Widerspruch eingelegt haben.

US-Kritik

Das fast vollendete Projekt steht zunehmend unter Druck. Nachdem schon Sanktionsdrohungen aus den USA zum Abzug von Firmen geführt hatten, verhängte die Trump-Administration zum Ende ihrer Amtszeit tatsächlich Strafmaßnahmen gegen das russische Unternehmen KVT-RUS und erklärte deren Verlegeschiff "Fortuna" zu "blockiertem Eigentum". Welche Auswirkungen das auf das Schiff außerhalb von US-Hoheitsgewässern hat, ist unklar.

Das US-Außenministerium begründete die Sanktionen damit, dass die Fertigstellung von Nord Stream 2 Russland die Möglichkeit eröffnen würde, "natürliche Ressourcen als Mittel für politischen Druck und bösartigen Einfluss gegen Westeuropa zu nutzen". Kritiker des Projekts werfen Russland vor, mit der Pipeline Länder zwischen Russland und Westeuropa aus dem Gastransit herausnehmen zu wollen, um sie so erpressbarer zu machen.

Kurz für "europäisches Projekt"

Befürworter der Pipeline wiederum werfen den USA vor, lediglich die Marktchancen für das eigene Fracking-Gas verbessern zu wollen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich gegenüber der deutschen Tageszeitung "Welt am Sonntag" für die Nord-Stream-2-Pipeline aus. Bei Nord Stream handle es sich um ein "europäisches Projekt", das im Interesse vieler EU-Länder sei. "Wer glaubt, dass die neue Pipeline nur im Interesse Russlands wäre, der irrt", so Kurz. Die Umweltschutzorganisation WWF kritisierte Kurz' "Lobbying".

Umweltschützer bestreiten den Bedarf an Erdgas und kritisieren Nord Stream 2 hingegen als große Investition in einen fossilen Energieträger. Sie betonen die klimaschädliche Wirkung von Erdgas, etwa durch entweichendes Methan bei der Förderung und beim Transport. Auch wegen Russlands Umgang mit dem vor kurzem verurteilten Kreml-Kritiker, Alexej Nawalny, fordern Kritiker, Nord Stream 2 zu stoppen.

Die Mehrheit an dem Projekt hält der russische Gasriese Gazprom. Zu den Finanzinvestoren bei Nord Stream 2 zählt neben der österreichischen OMV auch der französische Energiekonzern Engie, an dessen Kapital der Staat zu knapp einem Viertel beteiligt ist.

WWF sieht "klimapolitisches Harakiri-Projekt"

Der WWF forderte am Samstag eine Absage an den Bau der fast fertigen Nord Stream 2. "Nord Stream 2 ist ein klimapolitisches Harakiri-Projekt. Unter dem Vorwand einer 'Brückentechnologie' wird damit die Nutzung fossiler Energieträger in Europa um viele Jahrzehnte verlängert. Dazu kommen massive Umwelt-Folgen durch den Bau", erklärte der Klimasprecher der NGO, Karl Schellmann, in einer Aussendung. "Neue Gas-Pipelines widersprechen allen ambitionierten Naturschutz- und Klimazielen. Dass Österreichs Regierungsspitze trotzdem dafür lobbyiert, ist ein verheerendes Signal."

Die Klimabilanz von Erdgas sei durch die Freisetzung von Methan bei der Förderung und beim Transport nicht wirklich besser als Öl oder Kohle. Nord Stream 2 durchlaufe zudem allein im deutschen Zuständigkeitsbereich fünf Meeresschutzgebiete, eingerichtet für seltene Seevögel und Schweinswale sowie streng geschützte Seegraswiesen und Mergelriffe. (APA, 6.2.2021)