Matteo Salvini und die Lega als Freunde der EU? Das ist erst seit diesem Wochenende vorstellbar.
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Es gibt in Europa kaum einen Politiker, der schon so lange und so derb auf die EU und die "Brüsseler Erbsenzähler" eingedroschen hat wie Italiens Rechts-außen-Politiker Matteo Salvini. Bis vor wenigen Monaten hatte der Lega-Chef bei jeder Gelegenheit durchblicken lassen, dass er diese "Banken- und Bürokratendiktatur" eigentlich lieber heute als morgen verlassen würde.

Gleichzeitig liebäugelte er unverhohlen mit einer Rückkehr zur guten alten Währung, der Lira. Noch vor vier Tagen erklärte Salvini: "Außerhalb der Europäischen Union gibt es Leben: Die Engländer impfen 600.000 Personen pro Tag – während wir, wegen der genialen Vereinbarungen mit Brüssel, auf unsere Impfdosen warten müssen."

"Interessen Italiens verteidigen"

Und dann das: "Wir befinden uns in Europa, unsere Kinder wachsen in Europa auf", säuselte Salvini am Samstag nach einem Gespräch mit dem designierten Premier Mario Draghi. Wichtig sei doch nur, dass die neue Regierung in Brüssel die Interessen Italiens verteidige – da herrscht seiner Meinung nach "große Einigkeit mit Draghi".

Die Lega, betonte Salvini, werde im Hinblick auf die Bildung der neuen Regierung jedenfalls keine Bedingungen stellen: "Es ist der Moment der Wiedergeburt und der Eintracht gekommen." Eine spektakulärere Kehrtwende hat man selbst in Italien, wo politische Metamorphosen zum Alltag gehören, selten gesehen.

Über Nacht vom Saulus zum Paulus wurde der Lega-Chef auch bei anderen Themen, etwa bezüglich der Bündnispolitik. De bisherige Putin-Versteher Salvini legte gegenüber Draghi ein glühendes Bekenntnis zur transatlantischen Zusammenarbeit und zur Nato ab. Selbst bezüglich der Migranten zeigte sich Salvini vergleichsweise milde gestimmt: "Die Immigration ist keine Frage von links oder rechts", betonte er. Brüssel verlange eben, dass Italien seine Grenzen schütze, weil es gleichzeitig die Grenzen der EU seien. Breitseiten gegen die Linken, die "Italien mit Clandestini (Illegalen, Anm.) füllen wollen"? Attacken gegen die privaten Retter, "die mit den Schlepperbanden gemeinsame Sache machen"? Das war gestern.

Vom Falken zur Taube – wie lange?

Die wundersame Wandlung Salvinis vom Falken zur Taube hat in Italien Verwunderung und auch nicht geringe Skepsis ausgelöst. "Wir haben bereits einen ersten Draghi-Effekt beobachten können: Salvini ist innerhalb von 24 Stunden zum Europafreund geworden", bemerkte der Vizechef der Sozialdemokraten, Andrea Orlando, ironisch. Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass der Lega-Chef seine europa- und fremdenfeindlichen Positionen aufgegeben hat. Vielmehr dürfte ihn Draghi vor die Wahl gestellt haben: Ein Land wie Italien könne nur mit und nicht gegen Europa regiert werden. Für abweichende Positionen, hat der ehemalige EZB-Chef Salvini klargemacht, sei in seiner künftigen Regierung kein Platz.

Salvini weiß, dass Draghi bei den Stammwählern der Lega, den Kleinunternehmern im produktiven Norden Italiens, hoch angesehen ist: Dem ehemaligen EZB-Chef einen Korb zu geben, würde von der Basis nicht verstanden. Und Salvini hat inzwischen noch einen weiteren Grund entdeckt, um der künftigen Regierung von Mario Draghi beizutreten: "Auf dem Tisch sind ja auch noch die 209 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU, die unseren Kindern zugute kommen sollen. Da ziehe ich es vor, in dem Zimmer zu sitzen, in dem darüber entschieden wird, ob diese Gelder gut oder schlecht verwendet werden", sagte Salvini.

Draghi auf gutem Weg

Am Wochenende hat Draghi seine erste Konsultationsrunde mit den Parteispitzen beendet. Außer der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni haben alle politischen Gruppen signalisiert, die künftige Regierung unterstützen zu wollen. In einer zweiten Konsultationsrunde werden am Montag und am Dienstag die Eckpunkte des Regierungsprogramms und vermutlich auch die Besetzung der wichtigsten Kabinettsposten entschieden; am Mittwoch könnte Draghi Staatspräsident Sergio Mattarella seine Liste mit den Ministern vorlegen. Anschließend wird sich die neue Regierung noch in der Abgeordnetenkammer und im Senat einer Vertrauensabstimmung stellen müssen. (Dominik Straub aus Rom, 7.2.2021)