Im Asylfall Tina ist wieder Ruhe eingekehrt. Eine verräterische Ruhe. Parteien und Medien haben sich längst anderen Schlagzeilen und Aufregern zugewandt. Die türkis-grüne Regierung schob ihre erste ernste Zerfallsprobe durch Einsetzung einer Prüfungskommission erfolgreich auf.

Das ist insofern schade, als die Koalition aufgerufen wäre, am Beispiel dieses komplizierten Asylrechts- und Abschiebungsfalles von drei georgischen Staatsbürgern, die seit langem ohne Aufenthaltsberechtigung im Land waren, grundlegende Säulen ihrer Migrationspolitik klarzustellen: etwa dass ein Unterlaufen des Rechts nicht geduldet wird, aber humane Lösungen möglich sind; dass Kinderrechte stark sind.

Nun soll die frühere Höchstrichterin Irmgard Griss erst einmal prüfen, wie es um das Asyl- und Fremdenrecht steht, inwieweit Kinderrechte in solch heiklen Fällen wie dem vorliegenden zu wenig oder gar nicht zum Tragen kommen. Das behaupten zumindest Kritiker von Abschiebungen an sich, auch der Anwalt der abgeschobenen georgischen Familie.

Die Mitschüler von Tina wie der Schulsprecher der Stubenbastei, Theo Haas (rechts), setzen sich weiter dafür ein, dass die Zwölfjährige zurück nach Österreich kommen darf.
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Das gewählte Vorgehen über die Griss-Kommission wirkt wie eine Kapitulation der politisch Verantwortlichen. Das naturgemäß komplexe Thema der Migrations- und Asylpolitik gehört zu den größten Herausforderungen, nie nur für Österreich allein, sondern immer für das gemeinsame Europa.

Unangenehme Antworten

Griss kann nichts lösen, nichts entscheiden. Da müssen Regierung und Parlament ran, samt Oppositionsparteien. Aber sie drücken sich, weil jeder unangenehme Antworten geben müsste. Abschiebungen auch von Kindern sind nicht per se inhuman, sondern integraler Teil der gemeinsamen EU-Politik. Wenn ein Antrag negativ beschieden wird, muss eine Rückführung stattfinden. Dazu verpflichtet EU-Recht. Aber es ist absolut unvereinbar mit EU-Grundsätzen, wie das Innenministerium solche Abschiebungen durchführt, indem Kinder mitten in der Nacht abtransportiert werden. Für diese Erkenntnis braucht es die Griss-Kommission nicht.

Zehn Tage nach der Abschiebung der zwölfjährigen Schülerin Tina samt Mutter und Schwester nach Georgien sind es fast nur noch deren Mitschüler, die keine Ruhe geben. Sie stellen die richtigen Fragen mit beeindruckender Reife und Direktheit. Die Schüler haben auch recht, wenn sie weiter auf eine humanitäre Lösung drängen, ein Bleiberecht für ihre Mitschülerin einfordern, damit diese in Wien ihre Ausbildung fortsetzen kann. Das umzusetzen könnte für die zuständigen Minister, Karl Nehammer für Inneres und Werner Kogler als Vertreter von Alma Zadić für Justiz, sogar ein Leichtes sein – trotz oder gerade wegen der vollzogenen Abschiebung. Georgien ist ein mit der EU eng verbundenes Land.

Tina könnte legal ein Schülervisum bekommen. Dass die Mutter versuchte, seit 2009 trotz stets ablehnender Bescheide über insgesamt sechs Asylanträge einen Aufenthalt in Österreich zu erzwingen, sich dem Recht widersetzte, illegal wieder einreiste, steht dem nicht entgegen. Humanitäre Lösungen sind immer möglich und zu gestalten – auch und vor allem bei Tina. (Thomas Mayer, 8.2.2021)