Mitten in Mariahilf macht Herr Shwartz aus Tel Aviv luxuriöse Crêpes aus tagelang fermentiertem Sauerteig.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dem Österreicher gilt die Palatschinke als Krönung des Flachgebäcks. Irgendwann vor nicht so langer Zeit haben wir diese feine, original ungarische Form des Pfannkuchens gekapert und geben sie seither schamlos als unsrige aus. Die Ungarn wissen freilich, dass Abschauen bloß eine Form der Anerkennung ist, und schweigen elegant.

Hierorts aber meinen manche, sich mit der dem Kopisten eigenen Gschaftlhuberei aufplustern zu müssen. Wer unsere Palatschinke Pfannkuchen nennt, wird mit selbstgerechtem Furor bis in die Tiefen des (sonst so zivilisierten) STANDARD-Forums verfolgt.

Mehr noch: Der Zorn entlädt sich, sobald der schöne Begriff des Pfannkuchens überhaupt verwendet wird – ob für Rahmschmarren, Pancakes, Blinis, sogar Kimchi Jeon. Weil nämlich der Pfannkuchen ein piefkoid besetzter Begriff sei, der die nationale Integrität des Austriaken aus irgendeinem Grund so existenziell gefährde wie Kryptonit den Superman. Oder so irgendwie.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es ist also fast normal, dass dem Österreicher auch Crêpes als Palatschinken gelten. Dabei sind die, im Unterschied zur Palatschinke, nun wirklich keine Pfannkuchen. In der Hofmühlgasse, unweit der U4 Pilgramgasse, lässt sich dieser Tage genau das überprüfen.

Dort hat Royi Shwartz den Betrieb einer Crêperie aufgenommen. Der Mann hat internationalen Großköchen wie Angela Hartnett, Charlie Trotter, Gordon Ramsay und anderen über die Schulter schauen dürfen und war schon in seinem ersten Lokal in Tel Aviv auf "eine Gourmetversion von Crêpes" spezialisiert, wie er sagt.

Den Teig lässt er über 90 Stunden fermentieren, was ihm besondere Geschmackstiefe verleiht, auch die Butter ist doppelt fermentiert. Die Toppings haben es noch einmal ganz anders drauf. Shwartz ist praktizierender No-Waste-Adept, es darf also nix weggeschmissen werden. Sogar aus den Maronischalen vergärt er noch einen Auszug, der besondere Aromatik verspricht.

Artischockenblätter werden nach einer marokkanischen Technik eingelegt, worauf sie nach drei Tagen weich und beißfähig werden. So kann er sie gemeinsam mit gegrillten Artischockenherzen, einer dichten Creme aus gegrillten, roten Paprika, bis zum Zerfall cremiger Burrata und Balsamico-Perlen (einer Spielerei aus dem Molekularküchenchemiekasten) auf eine Crêpe packen, die nicht nur ziemlich gut schmeckt, sondern auch als Mahlzeit taugt.

Crêpe mit Krepp

Dass Shwartz sie in eine Art Karton-Stanitzel packt und seine Kunden, mit reichlich Servietten gegen Tropfschäden bewehrt, dazu animiert, das überreich gefüllte Ding "wie einen Kebab" on the go zu verspeisen, ist aber sehr optimistisch: Die Servietten sind binnen kurzem von den köstlichen Saftln durchnässt, die Füllung so heiß, dass man sich die Zunge verbrennt, das Ganze eine gnadenlose Sauerei. Tipp: Es stehen Take-away-Boxen bereit, mit denen man sich das Ding nach Hause nehmen kann.

Die Crêpe mit viererlei Pilzen – mariniert, gebraten, getrocknet und, na sicher doch, fermentiert –, mit Maroni, wirklich gutem Pesto, Ofenparadeisern und einer köstlichen Gruyère-Sauce ist dann überhaupt eine Sensation, ein Haufen gutes Zeugs in wirklich knusprigem Teigblatt.

Die süßen Varianten sind ähnlich aufwendig, jene mit Feigen in Portwein, Crème fraîche, Ahornsirup und Streusel eine Komposition komplexer Aromen (Vanille! Orangenzeste! Karamell!). Im Kühlschrank leuchten italienische Hipster-Biere und -Limonaden. Für die Zukunft sind auch andere Backwaren vom Crêpe-Donut bis zum Croissant angedacht. Aber davor müsste, irgendwann einmal, ein der Normalität ähnelnder Zustand einkehren. (Severin Corti, RONDO, 12.2.2021)

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