Ein Polizist, der keine Überstunden machen darf, erleide einen Vermögensschaden, sagt der OGH.

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Im Regelfall erzeugt es unter Arbeitnehmern eher Unmut, wenn sie zu Überstunden eingeteilt werden. Gerade Beamten wird im Volksmund – vielfach gewiss zu Unrecht – unterstellt, nicht unbedingt auf besonders lange Arbeitszeiten erpicht zu sein.

Und doch wurde die Republik Österreich vom Obersten Gerichtshof (OGH) dazu verpflichtet, einem Polizisten entgangenen Verdienst zu ersetzen, weil dieser nur Dienst nach Vorschrift leisten durfte und nicht zu Überstunden eingeteilt wurde (OGH 27.11.2020, 1 Ob 202/20t). Zudem wurde dieses Vorenthalten von Überstunden als Bossing (wie Mobbing durch Vorgesetze bezeichnet wird) durch den Vorgesetzen des betroffenen Polizisten beurteilt.

Sofortige Krankenstandskontrolle

Dies war freilich nur eine von vielen Bossinghandlungen, die der Vorgesetze zu verantworten hatte. So wurde der Polizist beispielsweise zur Personalreserve für den Grenzeinsatz eingeteilt, weil er "am wenigsten abgehe", es wurde bereits am ersten Krankenstandstag – für etwa 100 Kollegen über Funk wahrnehmbar – eine Krankenstandskontrolle verfügt, und ein Ersuchen um Vorladung zu einer polizeiärztlichen Untersuchung wurde den Kollegen des Polizisten ebenso wie das Untersuchungsergebnis per Mail zugänglich gemacht.

Zudem durfte der klagende Polizist eben – im Unterschied zu seinen Kollegen – kaum Überstunden leisten. Als er den Wunsch nach Überstundenleistung explizit äußerte, entgegnete der Vorgesetzte, Überstunden würden nach Fleiß vergeben; wenn jemand "blöd und dauernd krank" sei, wisse er, der Vorgesetzte, sich zu helfen.

Fürsorgepflicht verletzt

In ihrer außerordentlichen Revision an den OGH machte die Republik in diesem Punkt geltend, dass es keinen Anspruch auf die Anordnung von Überstunden gebe. Dem stimmte der OGH zwar zu, hielt aber entgegen, dass die fehlende Anordnung von Überstunden im konkreten Fall Teil eines Bossinggeschehens war und die Republik damit (mittelbar durch das Handeln des Vorgesetzen) ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Polizisten verletzte.

Den Einwand, es sei dem Polizisten kein Vermögensschaden entstanden, weil dem entgangenen Entgelt ein Mehr an Freizeit gegenüberstehe, ließ der OGH ebenso wenig gelten. Er hielt fest, dass immaterielle Vorteile (hier: Freizeit) einen vermögensrechtlichen Nachteil mangels sachlicher Übereinstimmung nicht ausgleichen könnten.

Im Ergebnis bestätigte der OGH daher die Haftung der Republik für den Verdienstentgang, den der Polizist durch das Ausbleiben von Überstunden erlitt. (Martin Lanner, 9.2.2021)