Abwarten oder zuvorkommen – das ist die Frage in Tirol.

Foto:APA/EXPA/ERICH SPIESS

Dem Virus zuvorkommen oder abwarten, das sind jene zwei Strategien, die unter Expertinnen und Experten derzeit für geteilte Meinungen sorgen. Konkret geht es um Tirol. In der vergangenen Woche warnte die Virologin Dorothee von Laer von der Med-Uni Innsbruck vor einem zweiten Ischgl, weil die südafrikanische Virusvariante B.1.351 sich in dem Bundesland offenbar schneller als anderswo ausbreite.

An sich ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Tirol nicht erschreckend, sie liegt bei 91,2 pro 100.000 Einwohnern. In so gut wie allen Bundesländern ist sie höher. Allerdings wurden von verschiedenen Stellen bisher rund 300 Fälle der südafrikanischen Virusvariante durch Ganz- oder Teilgenomsequenzierungen bestätigt, das ist weit mehr als in allen restlichen Bundesländern.

Ages analysiert

Bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) wird aktuell auf Hochtouren daran gearbeitet, die Ergebnisse der PCR-Tests aus Tirol auf suspekte Virusvarianten nach zeitlicher und regionaler Verteilung sowie Cluster-Zugehörigkeit auszuwerten. Es spiele vor allem eine Rolle, in welchem Ausmaß und in welcher zeitlichen Dimension die Virusvarianten in Tirol aufgetreten sind oder aktuell auftreten, erklärt Infektionsepidemiologin Daniela Schmid. Ist das Auftreten von Infektionen mit diesen Virusvarianten unter Kontrolle oder verbreiten sich diese weiter? Kommt es zu neuen epidemiologischen Clustern mit diesen Varianten? Das sind jene Fragen, die bei der Ages aktuell geklärt werden.

Für viele Expertinnen und Experten ist fraglich, ob die Lockdown-Lockerung, wie sie seit Montag in ganz Österreich gilt, auch für Tirol ein guter Weg ist. Neben von Laer, die sich sogar dafür aussprach, Tirol einen Monat lang zu isolieren, ist auch Thomas Czypionka, Head of Health Economics and Health Policy am Institut für Höhere Studien, dafür, in Tirol rascher und aktiver zu agieren: "Man muss in dieser Pandemie nach dem Vorsorgeprinzip handeln. Ist die Datenlage unklar, sollten zunächst restriktive Schritte gesetzt werden, die später wieder gelockert werden können – und nicht umgekehrt", so der Experte.

Nicht abwarten

Abwarten ist laut Czypionka die schlechteste Strategie. Die Entscheidung für eine Reisebeschränkung, wie sie am Montag von der Regierung getroffen wurde, hätte unmittelbar fallen müssen.

Doch es gibt auch Gegenstimmen. Gernot Walder, Labormediziner und Hygieniker in Osttirol, ist der Meinung, man müsse die Mutationen zwar im Auge behalten, "es gibt sie allerdings nicht nur in Tirol, und deshalb werden wir sie international nicht einsperren können, wenn wir Tirol einsperren", sagt er und verweist auf die psychologischen und wirtschaftlichen Kollateralschäden der Lockdowns, die es minimal zu halten gilt.

"Nicht gerechtfertigt"

Eine Verschärfung der Maßnahmen in Tirol "sei nicht gerechtfertigt, so der Experte. Seine Begründung: Von einer Überlastung der Spitäler sei man in Tirol derzeit weit entfernt, und die Sinnhaftigkeit eines verlängerten Lockdowns wäre der Bevölkerung daher auch nur sehr schwer zu erklären. Dennoch rechnet auch Walder mit einem Anstieg der Fallzahlen in den nächsten Wochen, das sei "normal, wenn man Maßnahmen zurücknimmt. Gar nicht aufzumachen kann aber auch nicht die Lösung sein."

Ähnlich sieht das der Kärntner Intensivmediziner Rudolf Likar: "Wenn die südafrikanische Variante ansteckender ist, müsste die Inzidenz in Tirol viel höher sein, und es würde mehr Intensivpatienten geben", sagt er und spricht sich dafür aus, erst dann zu handeln, wenn die Fakten auch dafür sprechen. Alles andere verunsichere die Bevölkerung und führe letztlich dazu, dass die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht mehr ernst genommen werden.

Ausbreitung verzögern

Czypionka betont hierzu allerdings, dass nicht die Höhe der Infektionszahlen an sich das Problem in Tirol sei, sondern die Menge der nachgewiesenen Mutationen: "Wahrscheinlich schützt der Impfstoff von Astra Zeneca hier zwar gegen schwere Verläufe, die Menschen werden aber trotzdem krank", erklärt er. Es wäre daher gut, die Ausbreitung in Tirol zu verhindern oder sie zumindest zu verzögern. (Bernadette Redl, 9.2.2021)