In Polens Hauptstadt Warschau wurde am Montag der Proteste in Belarus gedacht. Diese begannen anlässlich der Präsidentschaftswahl vor genau sechs Monaten.

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Mit der Berufung auf soziologische Umfragen und die am Donnerstag beginnende Allbelarussische Volksversammlung versucht sich Alexander Lukaschenko neue Legitimität zu geben. Vor genau einem halben Jahr hatte der 65-Jährige sich bei der Präsidentenwahl mit angeblich 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Die Opposition, die zahlreiche Beweise für Wahlfälschung vorlegte und gleichzeitig Herausforderin Swetlana Tichanowskaja zur Wahlgewinnerin erklärte, rief damals zu Demonstrationen auf.

Was folgte, war ein mehrmonatiger Machtkampf zwischen Lukaschenko und der Opposition. Während Letztere mit Streiks und friedlichen Massendemonstrationen den Wandel und den Rücktritt Lukaschenkos erzwingen wollte, setzte der Langzeitpräsident auf Gewalt und Einschüchterung. Mit Unterstützung der eigenen Sicherheitsorgane und des Kremls, der kein Interesse daran hatte, an der Grenze Russlands einen weiteren Regimesturz zu erleben, gelang es Lukaschenko tatsächlich, auch in seiner inzwischen sechsten Amtszeit weiterzuregieren.

Belarus ist so zu einem Lehrbeispiel für Autokraten geworden, die um ihren Machterhalt kämpfen: Wichtig ist weder das Wahlergebnis noch die Zahl der Demonstranten oder die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Vielmehr gilt es, die absolute Loyalität der Sicherheitsorgane zu gewährleisten, keine Kompromisse einzugehen und durch die Kontrolle der Medien – wenn nötig durch Auswechseln der Belegschaft – eine genügend große Menge der Bevölkerung in Apathie zu halten, um zu überleben.

Zweitägige Volksversammlung

Lief Lukaschenko im Sommer noch mit Kalaschnikow und Schutzweste herum oder beschimpfte aus dem Hubschrauber über dem Stadtzentrum von Minsk fliegend die Demonstranten als "Ratten", so ist inzwischen zumindest äußerlich wieder Ruhe und Ordnung eingekehrt. Die Vorbereitungen für die sechste zweitägige Allbelarussische Volksversammlung laufen auf Hochtouren.

Das Gremium, das etwa alle fünf Jahre zusammentritt, wurde von Lukaschenko Mitte der 1990er-Jahre kurz nach Amtsantritt eingeführt. Von Lukaschenko als "höchste Form der Demokratie" gepriesen, ist es ein Sammelsurium von Beamten, Leitern der Staatsbetriebe und Vertretern aus Kultur und Wissenschaft, das eher an die Tradition der sowjetischen Parteitage erinnert.

Hatte Lukaschenko im Herbst noch angedeutet, dass die Volksversammlung über Neuwahlen entscheiden könne, war davon zuletzt nichts mehr zu hören. Stattdessen ging es um die Verabschiedung des nächsten Fünfjahrplans. Einzig Lukaschenkos Verweis auf eine große Umfragekampagne zu dem Kongress, von der die Zukunft des Landes abhänge, lässt noch Raum für Spekulationen über politische Reformen. Ob der Aufruf des Präsidenten, "objektiv und ehrlich zu antworten", angesichts eines Klimas der Angst und der Spaltung des Landes befolgt wird, darf trotz seines Versprechens nach völliger Anonymität bezweifelt werden.

Proteste im Frühjahr erwartet

Die Opposition jedenfalls boykottiert die von Lukaschenko ebenfalls angedeuteten Verfassungsänderungen. Stattdessen bereitet sie trotz anhaltender Repressionen – im Jänner nahmen die Behörden laut Bürgerrechtlern mindestens 853 Personen wegen der Beteiligung an Protestaktionen fest – neue Demonstrationen vor.

Der frühere Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta Roman Protasewitsch versprach, schon zur Volksversammlung wieder Menschen auf die Straße zu bringen. Über den Kanal hatte die Opposition schon im Sommer und Herbst die Proteste organisiert, ein Gericht in Minsk hatte Nexta daher im Oktober als "extremistisch" eingestuft. Da sich neben Protasewitsch auch der Journalist und Nexta-Gründer Stepan Putila vor der Verfolgung ins Ausland abgesetzt hatte, wurden sie international zur Fahndung ausgeschrieben.

Der Popularität von Nexta hat das in Belarus keinen Abbruch getan. Laut Protasewitsch werden mit steigenden Temperaturen im Frühjahr auch die Protestaktivitäten wieder steigen. Dann sei eine neue Welle an Demonstrationen gegen Lukaschenko zu erwarten, prognostizierte er. Auf die neue Auseinandersetzung hat sich allerdings auch die Obrigkeit inzwischen gründlich vorbereitet. (André Ballin, 9.2.2021)