Noch existiert die sogenannte "Erfahrungsmaschine" nicht. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass moderne Technologien sie eines Tages möglich machen könnten.

Foto: Yescela Vorazan

Gefangen im Homeoffice, abgesagte Urlaube und Reisen, fehlende Sozialkontakte: Die Pandemie kann durchaus am Wohlbefinden zehren. Wie schön wäre es da nicht, den Alltag eine Zeitlang zurückzulassen, negative Gefühle wie Trauer, Langeweile und Lustlosigkeit mit positiven und angenehmen Gefühlen zu ersetzen, kurz: eine Glücksmaschine zu besitzen, die den Benutzer alle Mühen des Alltags vergessen lässt.

In der Theorie existiert diese Maschine bereits. Sie nennt sich die "Erfahrungsmaschine" und wurde 1974 von dem US-amerikanischen Philosophen Robert Nozick präsentiert. Die Idee lautet folgendermaßen: Stellen Sie sich vor, superintelligente Neurowissenschafterinnen haben einen Weg gefunden, das Gehirn eines Menschen über eine Maschine so zu beeinflussen, dass dieser nur mehr angenehme Gefühle empfindet. Sobald Sie sich an diese Maschine anschließen, können Sie in eine simulierte Welt eintauchen, in der sich all Ihre Wünsche erfüllen. Sie können Millionär sein, eine große Schriftstellerin oder berühmt, viele gute Freunde und eine spannende Beziehung haben. Alle diese Erfahrungen würden sich für Sie echt anfühlen, Sie würden den Unterschied zwischen Realität und Simulation nicht wahrnehmen. Würden Sie sich an eine solche Maschine anschließen? Für ein paar Jahre, für das ganze Leben?

"Schöne neue Welt"

Das Szenario Nozicks erinnert an den 1932 erschienenen Roman Brave New World von Aldous Huxley. In dieser fiktiven Welt nehmen die Menschen die Droge Soma ein, die negative Verstimmungen durch wohltuende und beruhigende Gefühle ersetzt und keine Nebenwirkungen hat. Wer sich noch an das Buch erinnert, weiß, dass es sich dabei aber nicht um eine Utopie, sondern um eine Dystopie handelt. Aber warum? Wäre ein Leben aus vollstem Glück und Zufriedenheit nicht gegenüber einem Leben mit allen emotionalen Höhen und Tiefen zu bevorzugen – Drogen und Erfahrungsmaschinen hin oder her?

Es sind Fragen, die Nozick und andere Philosophen bereits seit Jahrtausenden umtreiben: Was ist uns wichtig im Leben? Ist ein Leben mit wenig Hürden und einfachen Lösungen besser als eines mit vielen Anstrengungen?

Leid minimieren

Der antike griechische Philosoph Epikur hätte vielleicht zu den Befürwortern einer Erfahrungsmaschine gehört. Laut Epikur ist ein gutes Leben jenes, in dem Leid so gut als möglich minimiert wird. Glück war für ihn gleichbedeutend mit dem Fehlen von Leid.

Das soll auch eine Anleitung fürs Leben sein: Man sollte stets abwägen, ob eine bestimmte Handlung in einem selbst mehr Leid als Freude auslöst. Zahlt es sich aus, ein Musikinstrument zu lernen, wenn das Üben zu mehr Missstimmung führt, als der Erfolg am Ende Glück bringt? Sollte man eine Beziehung nicht beenden, die zu mehr Schmerzen und Trauer führt, als sie Freuden bringt?

Rund zweitausend Jahre später entwickelte der britische Philosoph John Stuart Mill die Ideen in Form des Utilitarismus weiter. Mill sah Glück als "einziges wünschenswertes und erstrebenswertes Ziel". Eine Handlung ist genau dann richtig, wenn sie das Glück – womit Mill Freude und die Abwesenheit von Schmerz meinte – fördert. Alle Handlungen, seien es Beziehungen, Ausbildung oder Arbeit, sollten letztlich den Zweck verfolgen, das individuelle und gesamtgesellschaftliche Glück zu steigern.

Suche nach dem Glück

Es ist erstaunlich, wie aktuell diese Ideen heute erscheinen. Von nationalen "Glücksstudien", Reiseangeboten über Selbsthilferatgeber bis hin zu Lebensmittel: Fast überall ist von einer Steigerung des individuellen Glücks die Rede. Zwar gibt es immer noch weder eine Erfahrungsmaschine noch eine Droge wie Soma – trotzdem sollen immer mehr Angebote und Medikamente den "einfachen" Weg zum Wohlbefinden bereiten.

Es ist ein Glück, das auf einer vorübergehenden Gefühlslage beruht und das Neurowissenschafterinnen in Form von elektrochemischen Signalen im Gehirn nachweisen wollen. Das als "Glückshormon" bekannte Dopamin, das auch für die persönliche Motivation ausschlaggebend ist, wird unter anderem dann ausgeschüttet, wenn wir gutes Essen zu uns nehmen, eine einfache Aufgabe erfüllen oder jemand unseren Post auf Facebook oder Instagram liket. Das damit empfundene Glücksgefühl ist allerdings kurzlebig: Es hält gerade so lange an, bis ein neuer Reiz das Belohnungssystem aktiviert.

Glück messbar machen

Den Glücksgefühlen versuchen nicht nur Neurowissenschafter, sondern auch Sozialwissenschafterinnen auf die Spur zu kommen. In Befragungen und Studien soll Glück messbar und vergleichbar gemacht werden, um es so vielleicht auch auf nationaler und gesamtgesellschaftlicher Ebene steigern zu können.

Aber in den Studien der Forscher und Forscherinnen wird Glück ganz unterschiedlich gemessen. Während Studien wie jene der Vereinten Nationen, in denen immer wieder die skandinavischen Länder ganz vorne sind, nach der "generellen Lebenszufriedenheit" fragen, geht es in anderen eher um den "Sinn des Lebens". In einer Studie aus dem Jahr 2013 kam heraus, dass nicht die Skandinavier, sondern Länder wie Togo, Senegal und Ecuador zu den "glücklichsten" gehörten, weil die Menschen dort den "größten" Lebenssinn empfanden.

Tatsächlich kann die ständige Suche nach dem Glück selbst unglücklich machen. Laut einer Studie US-amerikanischer Forscher und Forscherinnen könnten Menschen, die immer glücklich sein wollen, häufiger an Depressionen leiden. Verantwortlich dafür könne laut Forscherinnen sein, dass "westliche Kulturen" der Suche nach dem Glück einen so hohen Stellenwert zuschreiben.

Das "gute" Leben

Deshalb rieten schon Philosophen wie Aristoteles dazu, die Suche nach dem Glück nicht in den Mittelpunkt zu stellen, sondern stattdessen zu versuchen, ein "gutes" Leben zu führen. Dieses gute Leben werde nicht durch einen reinen Gefühlszustand, sondern vor allem durch das eigene Handeln möglich, etwa durch "tugendhafte" Taten und gute Beziehungen mit Mitmenschen.

Nicht zuletzt ist das Leben für Aristoteles durchzogen von Ereignissen und Entscheidungen anderer, auf die wir keinen Einfluss haben, die aber trotzdem unser Leben maßgeblich bestimmen. In Zeiten von Pandemien, Klimawandel, Armut, persönlichem Verlust oder einfach nur Unglück im Alltag darf auch das Glücksgefühl leiden – ganz ohne schlechtes Gewissen. Für Aristoteles war klar, dass Trauer und Leid Teil des Lebens sind.

Wert der Realität

Was bedeutet dies nun für die Entwicklung einer Erfahrungsmaschine, die uns permanentes Glück in einer virtuellen Welt verspricht? Der bereits zuvor erwähnte Philosoph Nozick, der dieses Gedankenexperiment entwarf, sah eine solche Maschine äußerst kritisch. Tatsächlich diente sie ihm als Beweis, dass Freuden und Glück nicht die einzig wichtigen Dinge im Leben sind. Nozick war überzeugt: Die meisten Menschen würden sich dagegen entscheiden, eine solche Maschine jemals zu verwenden. Auch wenn sich die Erfahrungen darin wie echt anfühlten, hätten Menschen laut Nozick Interesse an der wirklichen Realität, am echten Leben, in dem es nicht nur darum geht, möglichst viele positive Gefühle und Erfahrungen zu machen, sondern Rückschläge, Erfolge, Leistungen und alle anderen Höhen und Tiefen des Lebens tatsächlich zu erleben.

Anders ausgedrückt: Die Realität hat laut Nozick einen Wert, der über der subjektiven Wahrnehmung steht. Glück ist darin nur ein Bestandteil, das nie immer und selten oft auf der Tagesordnung stehen kann. Nicht zuletzt galt für Nozick und wohl auch für Aristoteles: Ein Leben mit bedeutungsvollem Leid kann wertvoller sein als ein Leben bedeutungsloser Freuden. (Jakob Pallinger, 13.2.2021)