Sollte sich die deutlich gefährlichere Virusvariante B.1.351 von Tirol aus über Europa ausbreiten, könnte das den Schutz der Impfungen nachhaltig beeinträchtigen.

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Zugegeben: Eine strikt daten- und evidenzbasierte Einschätzung der Pandemielage in Österreich ist im Moment nicht ganz einfach. Wir haben keine genauen und aktuellen Zahlen, wie sehr sich die deutlich gefährlicheren Virusvarianten B.1.1.7 und B.1.351 hierzulande bereits ausgebreitet haben. Wir kennen aber immerhin die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuansteckungen. Und die ist selbst im harten Lockdown nicht unter 100 gesunken, obwohl man zu dessen Beginn vage das Ziel 50 anpeilte.

Auch zur Lage in Tirol hat man keine ganz eindeutigen Daten. Eindeutige Falschinformationen waren es aber, die am Sonntagabend der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser in der ZiB 2 – vermutlich wider besseres Wissens – streute: dass es in Tirol nämlich "nur" 165 Fälle der südafrikanischen Mutante B.1.351 gegeben habe und nur noch acht dieser Infektionsfälle noch aktiv seien. Denn im Laufe dieses Sonntags hatte die zuständigen Behörden längst Informationen darüber, dass es in Tirol insgesamt bereits 293 bestätigte B.1.351-Infektionen gibt.

Risiko der Realitätsverweigerung

Zudem gibt es noch 200 aktuelle Verdachtsfälle, die noch nicht sequenziert sind; ein Gutteil davon ist vermutlich aktiv. Diese Zahlen klingen vergleichsweise harmlos, doch sie bergen ein unabschätzbares Risiko, das die Tiroler Politik aus Realitätsverweigerung oder Ignoranz in seinen Dimensionen nach wie vor nicht recht verstehen will.

Um die Dramatik dieser Zahlen besser einzuordnen: Das Bundesland Tirol ist damit nach Südafrika die Region weltweit mit den meisten bestätigten Infektionen mit der B.1.351-Mutante, die laut neuen Erkenntnissen zumindest den Schutz durch Astra Zenecas impfstoff ziemlich stark herabsetzt. Und noch ein weiterer Vergleich: In Großbritannien, das traditionell enge Beziehungen zu Südafrika hat und wo mehr Viren sequenziert werden als in jedem anderen Staat, sind bis jetzt ganze 105 Fälle der Südafrika-Mutante dokumentiert – bei 90-mal mehr Einwohnern als Tirol.

Immerhin konnten sich die politischen Unverantwortlichen des Bundeslands am Montag von sich aus auf ein Neun-Punkte-Paket einigen. Das war so leichtgewichtig, dass sich die Bundesregierung genötigt sah, eine – ebenfalls eher unverbindliche – Reisewarnung auszusprechen. Entschiedenes Vorgehen gegen ein mögliches Ischgl 2.0 sieht anders aus. Sollte sich B.1.351 tatsächlich von Tirol aus über Europa ausbreiten, was man dank der Sequenzierungen gut nachverfolgen könnte, und damit den Schutz der Impfungen nicht nur in Tirol nachhaltig beeinträchtigen, wird man in ein paar Monaten mit einem "Alles richtig gemacht" aber gewiss kein zweites Mal durchkommen.

Machtkampf zwischen Bund und Land

Anlass zur Sorge geben aber nicht nur der Tiroler Realitätsverlust angesichts des Risikos von B.1.351 und der völlig aus dem Ruder gelaufene Machtkampf zwischen Land und Bund. Auch die Gefährlichkeit der deutlich infektiöseren britischen Mutante B.1.1.7 scheint bei der Regierung und einem Teil der Bevölkerung immer noch nicht angekommen zu sein.

Nach allem, was die Wissenschaft an Daten liefert, braut sich da gerade eine noch unsichtbare Welle an Neuinfektionen zusammen, die uns in den nächsten Wochen mit voller Wucht erreichen dürfte. Am besten wäre es, weiterhin alles Mögliche zu tun, um dem vorzubeugen. Lockerungen des Lockdowns – noch dazu bei dieser Sieben-Tage-Inzidenz – tragen eher nicht dazu bei. (Klaus Taschwer, 8.2.2021)