Tirols WK-Präsident Christoph Walser (links) und Landeshauptmann Günther Platter (daneben) geben Bundeskanzler Sebastian Kurz derzeit die Route vor. Der Rest der ÖVP sieht schweigend zu.

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Innsbruck/Wien – Es war eine Machtdemonstration, die Tirol am Wochenende ablieferte. Nachdem das Bundesland bereits vor einem Jahr wegen zu späten und zu laschen Handelns in Ischgl zum europäischen Hotspot der Corona-Pandemie geworden war, weigerten sich Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) und seine Getreuen in Gesprächen mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) nun, Maßnahmen gegen eine Wiederholung dieses Szenarios zu ergreifen. Denn in Tirol grassiert die ansteckende Südafrika-Mutation des Virus wie nirgendwo sonst in Europa.

Sonntagnacht, kurz vor der Geisterstunde, wurden die Verhandlungen zwischen Bund und Land ergebnislos abgebrochen. Am Montag präsentierten Tirol und Bundesregierung kurzerhand unilateral ihre Maßnahmen. Tirol legte einen "umfassenden" Neun-Punkte-Plan vor. Doch darin sind eigentlich nur bereits bestehende Maßnahmen oder vage Absichtserklärungen enthalten. Neu sind nur verpflichtende Antigentests für Seilbahnbenutzer und die Ankündigung strengerer Einreisekontrollen. Der Bund antwortete kurz darauf mit ebenso einseitig erlassener Reisewarnung für Tirol, die aber auch mehr Empfehlungen als Obligatorisches umfasst. Zudem kommt sie reichlich spät, denn die Semesterferien in Ostösterreich sind vorbei.

Tirol ist Europas Hotspot für Südafrika-Mutation

Am Montag öffneten nun Handel und körpernahe Dienstleister in Tirol, wie im Rest des Landes – obwohl das Bundesland europaweit als Hotspot für die Ausbreitung der südafrikanischen Mutante gilt, wie der Virologe Andreas Bergthaler gegenüber Ö1 bestätigte. Ihm zufolge sind selbst in England, wo mehr als hundertmal so viele Proben sequenziert werden wie in Österreich, bisher nur 105 Fälle der Südafrika-Mutante entdeckt worden. In Tirol waren es am Montag – je nach Zählweise – mindestens 293 bestätigte und mehr als 200 Verdachtsfälle. Je nach Zählweise deshalb, weil man in Tirol offenbar dazu übergegangen ist, sich seine eigenen Fakten zurechtzulegen.

Wie am Sonntag aus den ergebnislosen Gesprächen zwischen Gesundheitsministerium und Landesvertretern durchsickerte, scheiterte eine Einigung bereits daran, dass sich die Tiroler weigerten, die Zahlen des Ministeriums als Fakten zu akzeptieren. Ganz im Stile des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Der skurrile Auftritt des Tiroler Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Walser (ÖVP) in der "ZiB 2" am Sonntagabend bestätigte dies. Walser warf Moderator Martin Thür, der in Vorbereitung auf die Sendung aktuelle Zahlen recherchiert hatte, vor, mit Falschinformation zu arbeiten. Auch die Zahlen des Ministeriums tat Walser als falsch ab. Belege für seine Behauptungen blieb er schuldig, es genügt offenbar, wenn er daran glaubt. Eine Interviewanfrage des STANDARD lehnte sein Büro am Montag mit der Begründung ab, dass "seitens Präsident Walser keine Notwendigkeit" für ein Gespräch bestehe.

Tiefe Gräben innerhalb der ÖVP

Auch Landeshauptmann Platter war am Montag nicht zu sprechen. Das Gesundheitsministerium ist seit Sonntag nicht mehr erreichbar, und aus dem Bundeskanzleramt waren am Montag ebenfalls keine Antworten zu bekommen. Das deutet auf schwere Verstimmung hinter geschlossenen Türen hin. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe seinen Gesundheitsminister gegen die Tiroler Phalanx anrennen lassen, hieß es dazu am Sonntag aus Verhandlerkreisen. Doch seitens der Grünen wird betont, dass Kurz Anschober sehr wohl weiter unterstütze. Aber eben im Hintergrund. Die Reisewarnung für Tirol, die der Bund am Montag als Reaktion auf die Tiroler Eigenmaßnahmen verhängte, lässt dieses Szenario realistisch erscheinen.

War der Kanzler einst vollmundig angetreten, die Macht der Landeskaiser zu brechen, so scheint er von den Tirolern nun endgültig in die Schranken gewiesen worden zu sein. Die wiederum haben in der Krise gezeigt, wozu die alte, schwarze VP im Gegensatz zur neuen, türkisen Bewegung imstande ist: ÖAAB-Mann Platter hat die seinen hinter sich aufmarschieren lassen wie einst der reaktionäre Rebell Andreas Hofer seine Schützen. AK-Präsident Erwin Zangerl, eigentlich ein scharfer interner Kritiker Platters, rückte ebenso aus wie Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Hechenberger. Und natürlich der als Nachfolger gehandelte WK-Präsident Walser. Die Vierfaltigkeit der Tiroler VP.

Grüne setzen auf "Sachlichkeit und reale Zahlen"

Selbst der grüne Koalitionspartner spielt in Tirol brav mit. Klubobmann Gebi Mair will vermeiden, im Konflikt zwischen alter und neuer ÖVP zwischen die Stühle zu geraten: "Wir stehen aufseiten der Sachlichkeit." Im Fokus der grünen Bemühungen stünden daher "die Gesundheit und reale Zahlen". Den Seitenhieb auf das "Machogehabe" einiger Tiroler VP-Granden konnte er sich nicht verkneifen. Er hoffe, das die aktuelle Situation "ein Weckruf" sei. Mair spricht von "Mobilitätsbeschränkungen" als wichtigem Schritt.

Dieselbe Diktion bemühte Landeshauptmann Platter am Montagnachmittag in einer Aussendung. Man habe die "Isolation Tirols abgewendet", heißt es darin. Und Platter klärt auf, dass die Reisewarnung der Regierung gar keine sei: "Der Aufruf der Bundesregierung zur allgemeinen Mobilitätseinschränkung ist daher richtig, die Bezeichnung Reisewarnung innerhalb Österreichs aber falsch." Und Tirol bat die Ages zudem, für eine "Aufklärung beim Zahlenwirrwarr zu sorgen". Nach Kontrolle durch den Landeseinsatzstab gehe man in Tirol von insgesamt 400 bestätigten und unbestätigten Fällen aus.

Verdachtsfälle in Steiermark und Salzburg aufgetaucht

Im Bezirkspflegeheim in Gleisdorf im oststeirischem Bezirk Weiz werde das positive Testergebnis einer Bewohnerin in der Ages jetzt genauer untersucht, nachdem sich bei der ersten Analyse Hinweise auf die Mutation ergeben hätten, sagt Rudolf Grabner, Obmann des Sozialhilfeverbands Weiz, der das Heim betreibt. Vor einer Woche sind in diesem Heim mehrere Covid-Fälle entdeckt und isoliert worden. 13 Bewohnerinnen und Bewohner sowie 17 Mitarbeiter wurden positiv getestet, darunter auch jene Frau, deren Probe nun genauer analysiert wird. Wie die Frau mit der südafrikanischen Covid-Mutation in Berührung gekommen sein könnte, "wissen wird einfach nicht. Womöglich ist die Variante schon viel weiter verbreitet in der Steiermark, als wir vermuten", sagt Grabner im Gespräch mit dem STANDARD. Gesunde Bewohner und Bewohnerinnen könnten in die Stadt gehen, einkaufen und auch Besuch bekommen. Ein Risiko des Ansteckens sei immer gegeben.

Auch in Salzburg werden derzeit neun Verdachtsfälle von Coronavirus-Mutationen in zwei Kindergärten abgeklärt. Ende Jänner waren zwei Cluster in einem Kindergarten in St. Johann im Pongau, wo bei einer Probe der Verdacht auf eine südafrikanische Virusmutation vorlag, und in einem Kindergarten in Wals-Siezenheim im Flachgau aufgetaucht. Im Fall von Wals-Siezenheim besteht bei acht Proben der Verdacht auf die britische Mutation. In beiden Fällen steht die Bestätigung durch Sequenzierung noch aus. (Steffen Arora, Walter Müller, 8.2.2021)