Anstatt Autos sollen im Zentrum vor allem Fußgänger und Radfahrer unterwegs sein.

Foto: Singapore Housing and Development Board

Singapur gehört nicht unbedingt zu den Vorreitern in Sachen Klimaschutz: Zwar hat der Stadtstaat nur rund sechs Millionen Einwohner, die CO2-Emissionen pro Kopf gehören aber laut Internationaler Energieagentur zu den höchsten der Welt. Ein Teil des Problems ist der enorme Bedarf an Klimaanlagen in der Stadt. Laut Angaben der Regierung hat sich die Stadt in den letzten sechs Jahrzehnten doppelt so schnell aufgewärmt wie der globale Durchschnitt. Hinzu kommen die ohnehin bereits hohen tropischen Temperaturen von durchschnittlich 27 Grad Celsius über das ganze Jahr.

Um die Temperatur für die Bewohner zu senken, ohne dabei die CO2-Emissionen mit den teils ineffizienten Klimaanlagen weiter nach oben zu treiben, arbeitet die Regierung bereits an besser designten Stadtkonzepten. In den nächsten Jahren soll ein gänzlich neuer Stadtteil, genannt "Tengah", mit 42.000 Wohnungen entstehen, der – geht es nach den Entwicklern – ein Vorbild für zukünftige Stadtprojekte im Land und weltweit werden soll.

Die Regierung bezeichnet den neuen Stadtteil auch als "Waldstadt".
Foto: Singapore Housing and Development Board

Zentrales Kühlsystem

Das Besondere an dem Stadtteil: Anstatt die Klimatisierung jeder einzelnen Wohnung zu überlassen, soll ein zentrales Kühlungssystem entstehen, das wesentlich effizienter sein soll als die individuellen Klimaanlagen. Dafür soll Wasser mithilfe von Solaranlagen gekühlt und anschließend an die einzelnen Wohnungen weitergeleitet werden. Die Bewohner können nach wie vor die Temperatur in ihrer Wohnung regulieren, müssten laut Entwicklern aber weniger für die Klimatisierung zahlen.

Zudem simulieren die Stadtplaner Windströmungen und Hitzeentwicklung zwischen den Gebäuden und Straßen. Indem beispielsweise die Gebäude unterschiedlich hoch gebaut werden, könnte die Windströmung verbessert werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sich der Stadtteil im Vergleich zum Umland nicht zu sehr aufheizt. Nicht zuletzt sollen dutzende Parks und Grünflächen am Ende als Erholungsraum dienen und gleichzeitig zur Kühlung beitragen.

Ökologischer Korridor

Das rund 700 Hektar große Gebiet, auf dem Tengah entstehen soll, war einst Standort der lokalen Ziegelindustrie, wurde später als Übungszone für das Militär verwendet und ist nun größtenteils mit Wald bedeckt. Zwar wird wohl ein Großteil des Waldes der neuen Stadtentwicklung weichen müssen, einen Teil davon wollen die Entwickler aber in die Stadt integrieren – und zwar in Form eines rund hundert Meter breiten ökologischen Korridors, der auch Wildtieren als Durchgang dienen soll.

Neben der neuen Klimatisierung und den Grünflächen haben sich die Entwickler auch eine Reihe anderer Neuerungen einfallen lassen: Das Zentrum von Tengah soll gänzlich autofrei werden – zumindest an der Oberfläche. Denn die Straßen für Autos sollen unterirdisch verlaufen, um so mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer an der Oberfläche zu schaffen. Außerhalb des Zentrums soll es dann genügend Ladestationen für die mehrheitlich elektrisch betriebenen und möglicherweise bereits autonomen Fahrzeuge geben.

Anstatt oben sollen die Autos in Tunneln unter der Stadt fahren.
Foto: Singapore Housing and Development Board

Ressourcenverbrauch über App

Der Müll in dem Stadtteil soll überall elektronisch erfasst und mittels eines Druckluftsystems zu Sammelstellen transportiert werden, von wo aus er dann abgeholt wird. Via App sollen die Bewohner ihren Energie- und Wasserverbrauch im Auge behalten, in jedem Häuserblock soll eine Anzeige Informationen über die Umweltbelastung der gesamten Bewohner informieren. Was für die einen wie eine zu starke Überwachung klingen mag, soll laut den Behörden in Singapur lediglich einen Anreiz bieten, das eigene Verhalten hinsichtlich des Umweltschutzes zu überdenken.

Die vielen Grünflächen sollen für Abkühlung und Schattenflächen sorgen.
Foto: Singapore Housing and Development Board

Auch dass der gesamte Stadtteil und alle 42.000 Wohnungen von der Regierung geplant und gebaut werden, ist in Singapur nichts Ungewöhnliches. Schon jetzt leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung Singapurs in Sozialwohnungen. Von den 42.000 Wohnungen, die in Tengah entstehen sollen, sollen rund 70 Prozent über die staatliche Wohnagentur als Langzeitmietverträge vergeben werden. Die billigsten Wohnungen mit 40 Quadratmetern sollen rund 70.000 Euro kosten.

Wenn alles nach Plan verläuft, sollen die ersten Bewohner 2023 in den neuen Stadtteil einziehen können. Erst dann wird sich zeigen, ob die dessen unzählige Besonderheiten tatsächlich zu einer CO2-Reduktion beitragen, ob der Stadtteil für die Bewohner auch wirklich lebenswert ist und nicht zuletzt, ob Tengah tatsächlich als Vorbild für die "Stadt der Zukunft" taugt. (Jakob Pallinger, 10.2.2021)