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Bitte Arm freimachen: Pockenschutzimpfaktion in Hannover 1967.

Foto: picturedesk.com / dpa / Wolfgang Weihs

"Impfgegner gibt es, seit es Impfungen gibt", sagt Herwig Czech, Professor für Medizingeschichte an der Med-Uni Wien. Die Motive dafür waren einst wie heute vielfältig: Sie reichen von legitimer Skepsis über Sorge aufgrund von Impfunfällen und Widerstand aufgrund von Zwang bis zu bewusster Täuschung und Desinformation.

Die älteste Impfung war jene gegen Pocken. Pockenviren führen zu schweren Erkrankungen mit hohem Fieber, Entzündungen und eitrigen Pusteln am ganzen Körper; bis zu 30 Prozent der Erkrankten starben daran. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam eine uralte Methode zur Immunisierung gegen Pocken aus Indien über Konstantinopel nach Europa: die Variolation.

Dafür ritzte man die Haut auf und brachte Pustelsekret Erkrankter in die Wunde ein. Maria Theresia, die selbst an Pocken erkrankt war und drei ihrer Kinder an diese Krankheit verlor, ließ 1768 ihre jüngeren Kinder derart behandeln und eine Inokulationsstation für die Bevölkerung einrichten. Die Immunisierung gegen Pocken blieb nichtsdestotrotz unbeliebt.

Skepsis in der Bevölkerung

Der englische Landarzt Edward Jenner impfte ab 1796 mit Vacciniaviren (die man damals für den Erreger der Kuhpocken hielt), weil Menschen an Kuhpocken erkranken konnten, diese Erkrankung aber harmlos war.

Zu dieser Zeit wusste man noch nicht, wie ein Impfstoff wirkt, weshalb auch nicht verwunderlich ist, dass die Bevölkerung sehr skeptisch war. Es zirkulierten Karikaturen, in denen Menschen nach der Impfung Kühe aus dem Körper wuchsen.

Der englische Satiriker James Gillray illustrierte, was Impfgegner damals tatsächlich befürchteten. Die Karikatur vom 12. Juni 1802 zeigt ein Impfzentrum im Londoner Hospital St. Pancras.
Grafik: Library of Congress

Wegen der Erfolge gegen die bösartige Krankheit wurde in Bayern 1807 die Pflicht zur Pockenimpfung eingeführt. Diese galt auch für das besetzte Tirol und wurde 1809 im Tiroler Volksaufstand als ein Unterdrückungsinstrument der Besatzer abgelehnt. "So etwas findet man immer wieder in kolonialen Kontexten oder wo das Verhältnis von Behörden zur Bevölkerung autoritär geprägt ist", sagt Herwig Czech.

Zwangsimpfungen

Als Beispiel nennt er die USA, wo die Pocken oft als von den Schwarzen ausgehende Gefahr gesehen und in New York Anfang des 20. Jahrhunderts Zwangsimpfungen durchgeführt wurden. Auch in Großbritannien wurde die Impfpflicht eingeführt, gegen die in Leicester 1885 bis zu 100.000 Impfgegner und Befürworter demonstrierten.

Die historischen Beispiele zeigen, dass ein Zwang zu Impfungen kontraproduktiv sein kann. Teils geschieht die Ablehnung (auch heute noch) aus religiöser Überzeugung: Gott (ersatzweise "die Natur") bestimme, ob man krank werde oder nicht. Teils besteht die Sorge, dass eine Impfung die Krankheit erst auslösen könnte oder andere Krankheiten verursacht.

Die Frage, ob die Pockenimpfung verpflichtend eingeführt werden sollte, habe die österreichischen Sanitätsbehörden das ganze 19. Jahrhundert hindurch beschäftigt, sagt Elisabeth Dietrich-Daum, Leiterin des Forschungszentrums Medical Humanities der Universität Innsbruck.

Die Regierung habe dann auf Maßnahmen des indirekten Impfzwangs gesetzt: "Ungeimpften konnte etwa der Zugang zu Stipendien oder Massenunterkünften wie Waisenhäusern verwehrt werden." Auch aus Fachkreisen gab es Widerstand: In Paris fand 1879 der erste Impfgegnerkongress von Naturheilkundlern statt, weitere folgten in Deutschland und England.

Ein Arzt impft die Kinder durch. Das Bild stammt von dem britischen Maler Lance Calkin (1859–1936) und entstand kurz nach der Jahrhundertwende.
Foto: Wellcome Collection

Wirksamkeitstests in der NS-Zeit

Besonders genährt wurde die Ablehnung von Impfungen durch Unfälle. 1921 entwickelten der französische Mikrobiologe Albert Calmette und der Veterinärmediziner Camille Guérin einen Impfstoff gegen Tuberkulose aus abgeschwächten Erregern. In Deutschland wurde dieser 1930 erstmals in Lübeck eingesetzt und führte zu einer Katastrophe: "256 Neugeborene wurden damit geimpft, 131 sind erkrankt und 77 gestorben. Das hat diese Impfung bis nach dem Zweiten Weltkrieg völlig delegitimiert", erzählt Czech.

Die Ursache konnte jedoch aufgeklärt werden: Die Bakterienkultur, die vom Institut Pasteur geliefert worden war, wurde in Lübeck in einem Labor vermehrt, in dem auch Proben von Tuberkulosekranken gehandhabt wurden. Den Babys wurden irrtümlich virulente Tuberkelbazillen geimpft. Heute gibt es deshalb strenge Hygienevorschriften für die Impfstoffherstellung.

Während der NS-Zeit gab es Bestrebungen, diese Impfung zu rehabilitieren, unter anderem mit Wirksamkeitstests an Kindern mit Behinderungen an der Wiener Universitätskinderklinik, berichtet Czech. Die Kinder starben in der "Euthanasie"-Anstalt Am Spiegelgrund.

Unglück und Mär

Elisabeth Dietrich-Daum nennt als Beispiel für Impfunfälle das "Cutter-Unglück" in den USA, bei dem 1955 tausende Kinder nach einer Impfung gegen Poliomyelitis an Polio erkrankten und zehn Kinder starben. Schuld war eine nicht vollständige Inaktivierung der Viren bei der Herstellung des Impfstoffes in den Cutter Laboratories.

Auf echten Betrug geht die Mär zurück, dass die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) Autismus hervorrufe. 1998 veröffentlichte der britische Arzt Andrew Wakefield in der Fachzeitschrift "The Lancet", dass zwischen der MMR-Impfung und dem vermehrten Auftreten von Autismus ein Zusammenhang bestehe. Zwei Jahre später stellte sich heraus, dass Wakefield die Ergebnisse manipuliert und von Anwälten große Geldsummen dafür erhalten hatte. Auch hielt er ein eigenes Patent für einen Masernimpfstoff, das er wohl zu Geld machen wollte.

Schwerer Imageschaden

Die Veröffentlichung wurde von "Lancet" zurückgezogen, Wakefield erhielt Berufsverbot in Großbritannien, zog aber weiterhin mit seiner Behauptung durch die Lande. "Der Imageschaden, den Wakefield im Zusammenhang mit Impfungen angerichtet hat, ist enorm", sagt Elisabeth Dietrich-Daum.

Echte Impfgegner sind heute nur zwei bis vier Prozent der Bevölkerung, hat das deutsche Robert-Koch-Institut erhoben. Ihre Argumente sind trotz großer Fortschritte in der Impfstoffentwicklung ähnlich jenen vor 100 oder 200 Jahren.

In die Hände derer, die den Widerstand gegen Impfungen bewusst schüren wollen, spielen heute Social Media, die Gerüchte und Desinformationen stärker verbreiten. Eine Rolle könnte aber auch die "Impfmüdigkeit" spielen: Dank Impfungen sind viele Infektionskrankheiten in Europa nicht mehr so präsent. Verschwunden sind sie – bis auf die Pocken – aber nicht. (Sonja Bettel, 10.2.2021)