Daheim entspannt telefonieren mit dem "Microsoft"-Kundenservice: Bekim Latifi in "Flüstern in stehenden Zügen".

Katarina Sopcic

Einmal bei Microsoft anrufen oder bei Energie Graz und die Sprecher am Ende der Leitung so richtig auflaufen lassen? Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen und für die vielen Non-Services und Wartezeiten Saures geben? Dieser Versuchung gibt der Protagonist in Clemens J. Setz’ Stück Flüstern in stehenden Zügen nach. Es sind allerdings nicht die namentlich genannten Firmen, die hier ihr Fett abkriegen, sondern Betrugsanrufer, die hinter ihren Namen strukturellen Datenklau betreiben.

C. Riese, so stellt sich der Mann immer vor, ist im Daueranrufen trainiert. Er kann die belarussischen von den bulgarischen Akzenten unterscheiden, ist mit Callcentern in Indien oder Nigeria auf Du und Du. Manche Mitarbeiter kennt er schon ganz gut, obwohl die meisten von ihnen nach den persönlich werdenden Fragen rasch auflegen. Und darum geht es auch dem in seiner Literatur stets für verschrobene Perspektiven einstehenden Grazer Schriftsteller Setz: C., gespielt von Bekim Latifi, will die Datenklaufirmen nicht verbessern oder überführen. Er will vor allem reden, um sich selbst nicht so sehr leidzutun.

Das wie ein Echo aus dem dritten Lockdown klingende Stück wurde vor der Pandemie geschrieben und hatte am Sonntag an den Münchner Kammerspielen Uraufführung als "Theater-Live-Film". Regie führte der 1979 in Prishtina geborene, aber seit seiner Jugend in Deutschland lebende Visar Morina. Er ist bisher vor allem im Filmbereich tätig gewesen (zuletzt Exil mit Mišel Matičević) und landet jetzt trotz Theatervorhaben wieder dort.

Wände aus Watte

Die filmische Expertise sieht man der Performance an. Die Kamera von Patrick Orth (Toni Erdmann) folgt dem Schauspieler querfeldein durch einen an eine Gummizelle erinnernden Raum und hält somit die Zuschauerperspektive mittels Kamera beweglich. Dabei wechseln Hoch- und Breitformatansichten wie am Mobiltelefon. Im Theater wäre das nicht möglich: ein originäres Corona-Produkt.

Morina entbindet den Helden jeder konkreten Lebenswelt. Hört man in Setz’ Text noch förmlich die Wohnzimmerdielen knarzen, so ist die Welt des Anrufers hier ein kunstvoll abstrahiertes Abbild einer Isolation. Sozialrealismus braucht es nicht. Vielmehr den Ausdruck von Verschrobenheit, Unentrinnbarkeit, Einsamkeit. Zu Beginn hängt C. akrobatisch wie ein Tier im Zoo in einem von der Decke hängenden Trapez und "telefoniert". Unter ihm sind die sattgelben Wände wie aus Watte, und es steht eine Person (Leoni Schulz mit bezwingender Stimme), hinter eine dicke Plastikwand gezwängt, für ein Kundengespräch zur Verfügung. Crazy, aber in seiner Stimmung eindrücklich.

Isolationsstudie

Morina hat den Text radikal und zu seinem eigenen Vorteil gekürzt, hat dieser im Original doch Redundanzen und steckt voller Ausschmückungen, die es nicht braucht. Das Bühnensetting (Aleksandra Pavlović) dieser mikrokosmischen Isolationsstudie tut da mehr Wirkung als weitere Worte. Man wird C. als einen jener Zeitgenossen in Erinnerung behalten, denen die reale Welt zu unkontrollierbar geworden ist. Eine weitere Premiere folgt am Schauspielhaus Graz. (Margarete Affenzeller, 10.2.2021)