In der Pandemie wackelt eine Säule der akademischen Bildung: Kontakt, Diskussion und Diskurs. Im Gastkommentar zählt die Studentin Martina Tiwald auf, woran es hapert.

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Lehre auf Distanz, das gelingt derzeit nur mangelhaft, weil man auf Präsenz hofft.
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Hoffnung – ein viel bemühter Begriff in Zeiten der Corona-Pandemie. Wir hoffen auf das Ende der Pandemie, darauf, dass unser Leben bald wieder in gewohnten Bahnen verläuft. Das ist gut. Aber diese Hoffnung führt, falsch verstanden, auch zu einer lähmenden Haltung – im universitären Kontext mit der drastischen Konsequenz, in völlig unzureichender Weise in die Weiterentwicklung der Onlinelehre zu investieren.

Es ist Februar, das zweite Semester im Distance-Learning liegt hinter uns. Ein weiteres scheint zu folgen. In Mindeststudienzeit gerechnet wird das die Hälfte eines Bachelor- und drei Viertel eines Masterstudiums sein, das wir überwiegend auf Distanz verbringen: auf Distanz zu Studierenden, Lehrenden, Lernorten, Bibliotheken, Infrastruktur. Und wer kann heute schon mit Sicherheit sagen, dass es das letzte Semester sein wird?

Hoffen auf Präsenz

An den Unis übt man sich dennoch im Hoffen – darauf, bald wieder Angebote in Präsenz schaffen zu können. Doch das ist der völlig falsche Ansatz, denn er führt dazu, dass die Gestaltung von Lehre und universitärem Leben im reinen Überbrückungsmodus vollzogen wird. Bislang hat man sich nämlich im "Übersetzen" versucht: Offline-Angebote werden, wo möglich, in den Online-Modus gebracht, ohne der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir alle mit völlig anderen Voraussetzungen konfrontiert sind: geringere Konzentrationsspanne, weniger direktes Feedback, weniger Energie im Raum, mangelnde bis fehlende Austauschmöglichkeiten, Infrastruktur, geeignete Lern- und Arbeitsräume.

90-minütige Vorlesungen werden nun halt in die Bildschirme hineindiktiert, Seminare mit über 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern veranstaltet, ohne dass vonseiten der Hauptuniversität Tools angeboten würden, die bei einer solchen Anzahl eine Videoübertragung aller anwesenden Personen möglich machen. Stellen Sie sich vor: Gruppenbildungen und Zusammenarbeit mit Leuten, die Sie nicht ein einziges Mal gesehen haben! Und falls es gelingt, dass Studierende sich in Gruppen zusammenfinden, um gemeinsam an einer Arbeit zu tüfteln, dann müssen sie in der Regel selbst zusehen, wie sie sich ihre Tools organisieren. Der Austausch der Studierenden untereinander und mit Lehrenden ist auf ein Mindestmaß zurückgefahren, weil er in Präsenz nicht oder nur kaum möglich ist.

Hierin liegt der entscheidende Denkfehler: Anstatt ein Semester nach dem anderen mittels provisorischer Lösungen hinzubiegen und darauf zu warten, dass wieder alles "normal" wird, sollte man dringend versuchen, sowohl die Onlinelehre als auch den digitalen Austausch auf neue Beine zu stellen. Kontakt, Diskussion und Diskurs sind nicht nur am Beginn des Studiums, sondern die gesamte Zeit hindurch eine tragende Säule der akademischen Bildung. Und sie fehlt.

Was tun?

Ich bin so weit zu sagen: Mir ist es egal, ob es am Ministerium, an den Rektoraten, Studienprogrammleitungen oder Vortragenden liegt. Bitte kriegt es endlich auf die Reihe, das Unileben in einen sinnvollen Onlinemodus zu bringen! Ohne individuelle Bemühungen schmälern zu wollen, ein paar Vorschläge, wie das gelingen könnte:

  • Stellen Sie Ressourcen zur Verfügung, vor allem technische Hilfsmittel für Lehrende wie Studierende.
  • Richten Sie dauerhaft Orte der Begegnung wie digitale Konferenztools oder Lernräume ein, die auch unabhängig von Lehrveranstaltungen zugänglich sind. Zweimal im Semester eine digitale Bibliotheksnachtschicht ist ein Wermutstropfen, kein echtes Angebot.
  • Mobilisieren Sie Ressourcen, um kleinere Gruppen zu ermöglichen, speziell bei prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen.
  • Schaffen Sie doch bitte die Möglichkeit, dass technisch und methodisch versierte Studierende den Lehrenden unter die Arme greifen. Einige Lehrende wissen nicht, wie man Mikros stummschaltet oder Break-out-Rooms erstellt – es ist wenig verwunderlich. Da können wir unterstützen! Spannen Sie die Leute zur Einschulung vorab zusammen oder lassen Sie Studierende eine Moderationsrolle einnehmen.
  • Organisieren Sie eine Veranstaltung, bei der Interessierte an Innovationen arbeiten können. "Online" wird es auch nach Corona noch geben.
  • Falls es all das und noch viel mehr bereits gibt, dann überdenken Sie Ihre Kommunikationsstrategie.

An Lehrende:

  • Machen Sie Übungen und Seminare nicht mittels Vorabaufzeichnungen. Wir brauchen den Kontakt.
  • Fragen Sie nach Bedarf und Bedürfnissen, was den Austausch zwischen den Lehreinheiten angeht: Ein dauerhaft eingerichteter digitaler Raum kann helfen oder ein festgelegter Zeitslot, um im Forum zu diskutieren.
  • Richten Sie Modi ein, in denen die Studierenden ihre Kamera aufdrehen können. Teilen Sie dafür allenfalls die Gruppe. Machen Sie Interaktion möglich.
  • Wo die Lehrveranstaltungsgröße es zulässt: Schaffen Sie Platz für informelle Gespräche. Die Vorlesung muss kein 90-minütiger Vortrag sein. Das mag in Präsenz funktionieren, ist aber online letztlich für alle Beteiligten frustrierend – oder bleiben Sie ein paar Minuten nach der Lehrveranstaltung noch im virtuellen Raum, manche werden es Ihnen gleichtun.
  • Machen Sie online nach spätestens einer Stunde eine kurze Pause. Es wird auch Ihnen eine Wohltat sein.
  • Entwickeln Sie Prüfungsformate, die sinnvoll, fair und von der Leistung her vergleichbar sind mit Präsenzprüfungen.

Diese Liste ist unvollständig, sie kann gerne ergänzt werden. Es wird auch Menschen geben, die eine Liste mit Bitten an Studierende haben. Teilen Sie sie.

Wir können voneinander und miteinander lernen. Wir können innovative Wege finden, durch die wir wieder Spaß und Freude am Lehren und Lernen entwickeln. Aber wir können nicht noch ein weiteres Semester "hinbiegen". Es ist einfach unglaubwürdig, bald ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Österreich zu behaupten, dass man keine Zeit hatte zu erproben, wie digitale Lernangebote sinnvoll gestaltet werden können. Die Zeit für ein karges Ersatzprogramm ist vorbei. (Martina Tiwald, 10.2.2021)