Am Dienstag erklärte die Regierungsspitze Teile Tirols zur Sperrzone – ab Freitag.

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Angesichts der Ausbreitung der Südafrika-Mutante des Coronavirus in Tirol hat die Bundesregierung am Dienstag neue Maßnahmen für das Bundesland bekanntgegeben. Ab Freitag ist die Ausreise aus Nordtirol nur mehr mit einem negativen Testergebnis möglich, das nicht älter als 48 Stunden sein darf. Diese Verordnung gilt für vorerst zehn Tage lang. Osttirol, das geografisch von Nordtirol getrennt ist, bleibt von dieser Maßnahme vorerst unberührt. Zwar weist der Bezirk die derzeit höchste Sieben-Tage-Inzidenz in Tirol auf, allerdings gibt es dort bislang keine Nachweise oder Verdachtsfälle von Virusmutationen.

Rund 1.000 Beamte von Polizei und Bundesheer sollen sicherstellen, dass diese Reisebeschränkungen auch eingehalten werden. Bei Zuwiderhandeln drohen bis zu 1.450 Euro Strafe. Warum Tirol erst ab Freitag zum Sperrgebiet wird, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) damit, dass die Vorbereitungen Zeit bräuchten. So gelte es etwa Testkapazitäten an den Landesgrenzen zu erhöhen, um den Pendlerverkehr weiterhin zu ermöglichen.

Platter ist einverstanden

Die Maßnahmen seien mit der Tiroler Landesregierung abgestimmt worden, betonte Kurz. Zuletzt hatte sich Tirol ja vehement geweigert, neue Verschärfungen zu akzeptieren. Das gipfelte in einem offenen Konflikt zwischen Tiroler ÖVP-Politikern und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Am vergangenen Sonntag mussten Gespräche hinsichtlich neuer Maßnahmen sogar ergebnislos abgebrochen werden, weil der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) die Kooperation verweigerte.

Seitdem DER STANDARD am 23. Jänner aufgedeckt hatte, dass im Tiroler Bezirk Schwaz die südafrikanische Virusmutante nachgewiesen worden war, hat die Landesregierung versucht, den Ausbruch kleinzureden. Offenbar sei die Öffentlichkeit sogar mit falschen Zahlen informiert worden, wie Gesundheitsminister Anschober in der ZiB 2 am Montagabend erklärte. Tatsächlich sei die Lage sogar viel dramatischer, als die Tiroler Behörden bis zuletzt einräumen wollten. Mindestens 293 Fälle der Mutante wurden bislang nachgewiesen, und aktuell sind 120 Fälle davon aktiv positiv.

Es gelte nun, die Ausbreitung der südafrikanischen Variante B.1.351 so gut wie möglich zu bremsen, begründeten Kurz und Anschober die neuen Maßnahmen. Für einen Stopp der Verbreitung dürfte es ohnehin längst zu spät sein. So wurde am Dienstag bekannt, dass zwei Fälle der Südafrika-Mutante in der Bundesheerkaserne Aigen im Ennstal nachgewiesen wurden. Aigen ist Hubschrauberstützpunkt, wie auch Schwaz in Tirol. Die Infektion erfolgte über einen Piloten, der zwischen Tirol und der Steiermark pendelte.

Mutation gefährdet Impfstrategie

Der Bundeskanzler verdeutlichte am Dienstag, warum die Ausbreitung der Virusvariante, die um ein Drittel ansteckender ist als das herkömmliche Sars-CoV2-Virus, so problematisch ist: Österreichs Impfstrategie fußt zu rund 50 Prozent auf dem Mittel des Herstellers Astra Zeneca. Doch genau dieser Impfstoff ist bei der Mutante B.1.351 deutlich weniger wirksam. Das könnte für Österreich und Tirol international zum Problem werden. Denn auch die EU setzt zu 50 Prozent auf Astra Zeneca. Aktuell ist der Ausbruch der Mutante in Tirol der größte außerhalb Südafrikas – das Land droht erneut zur Virenschleuder für ganz Europa zu werden.

Neben der Verbreitung außerhalb Tirols will die Bundesregierung auch die Eindämmung innerhalb des Landes erreichen. Dazu sollen, wie von Tirol am Montag vorgeschlagen, die Testkapazitäten ausgebaut werden. Aber auch die Teilnahmebereitschaft in Sachen Massentests müsse deutlich zunehmen, um hier Fortschritte zu erzielen, mahnte Anschober. Wie, blieb vorerst unklar.

Rechtlich sei die am Dienstag präsentierte Lösung, Tests für das Überqueren von Gebietsgrenzen zu verlangen, einwandfrei, bestätigen mehrere Juristen dem STANDARD – solange die wissenschaftliche Datenlage dafür spricht, dass die Maßnahme notwendig ist. Offen bleibt jedoch die Frage, warum nicht auch für das Verlassen des am stärksten betroffenen Bezirks Schwaz eine Testpflicht eingeführt wurde – immerhin würde das, nachdem die Maßnahme als sinnvoll zur Eindämmung der Verbreitung erachtet wurde, den Rest der Tiroler Bevölkerung vor der Mutation schützen.

Rechtlich wäre mehr möglich

Rechtlich wäre für eine Testung an den Grenzen von Schwaz die Zustimmung Platters aber gar nicht nötig. Laut Verfassungsjurist Heinz Mayer könnte der Gesundheitsminister das per Verordnung verfügen – genauso wie eine regionale Rückkehr zum Lockdown, wie Medizinjurist Karl Stöger betont.

Platter selbst zeigte sich in einer ersten Reaktion mit der Testpflicht einverstanden. Sollte er Regeln, die der Bundesminister künftig vorschreiben könnte, nicht umsetzen, droht ihm eine Ministeranklage vor dem Verfassungsgerichtshof. Nur: Dieser müsste die gesamte Bundesregierung zustimmen. Abgesehen davon könnte der Bundespräsident den Landtag auflösen. Doch auch das braucht einen Antrag der Bundesregierung und die Zustimmung des Bundesrats.

Zur Frage, was rechtlich möglich ist, kommt außerdem auch die Frage, was Sinn ergibt. "Wo führt das hin, wenn der Bund eine Verordnung erlässt, die das Land nicht umsetzt?", fragt Mayer. "Dann setzen wir sie mit Gewalt um, mit Polizei und notfalls auch mit dem Militär? Dann steuern wir in eine politische Situation, die wir nicht brauchen."

Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) äußerte sich kritisch hinsichtlich des Zeitpunkts der neuen Maßnahmen: "Es hätte bereits vor einer Woche gehandelt werden müssen. Die Bundesregierung hat mit ihrem Zaudern und Zögern wertvolle Zeit verstreichen lassen – Zeit, die das Virus genutzt hat, denn das Virus lässt nicht mit sich verhandeln." Freitag sei zu spät, und die Ausreisesperre allein sei zu wenig. (Steffen Arora, Gabriele Scherndl, Walter Müller, 9.2.2021)