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Eigentlich sollten wir im vergangenen Jahr viel dazugelernt haben. Vor allem, dass ein frühzeitiges Erkennen von Entwicklungen und rasches Handeln in der Pandemie entscheidend sind. Doch richtiges Management sieht anders aus – wie sich am Beispiel Tirol sehr deutlich zeigt.

Angesichts der grassierenden ansteckenderen Coronavirus-Mutante B.1.351 – das Bundesland weist nach Südafrika selbst weltweit die höchste Fallzahl dieser Variante auf – sah man sich gezwungen, das Bundesland mit Ausnahme von Osttirol ab Freitag für zehn Tage zur Testpflichtzone zu erklären. Wer das Land verlassen will, muss dann einen negativen Test vorweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist.

Die Reaktionen auf die Ausreisesperre ab Freitag sind gemischt – vor allem in der Tiroler Bevölkerung. Doch was sagen Experten zum zögerlichen Vorgehen der Politik? Machen verspätete Maßnahmen überhaupt noch Sinn? Haben wir aus den Ereignissen in Ischgl gar nichts gelernt?

Verzögerte Reaktion

"Offensichtlich nicht", meint der Komplexitätsforscher Stefan Thurner vom Complexity Science Hub. Seiner Ansicht nach kommen die lokalen Verschärfungen für Tirol sogar um drei Wochen zu spät. Denn das Virus sei "kein Diplomat, dem man sagen kann, es solle sich bis Freitag zurückhalten", betont er. Es funktioniere "nach biologischen Regeln" und würde "sicherlich nicht zuwarten, bis die Politik das weitere Vorgehen ausdiskutiert hat".

Während der Virologe Andreas Bergthaler von der Akademie der Wissenschaften von einem Schritt in die richtige Richtung spricht, ortet Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems Nachschärfungsbedarf. Auch der Epidemiologe und Experte für evidenzbasierte Medizin kritisiert, dass Österreich bereits "zu viel Zeit verschwendet hat", da Tirol schon länger als B.1.351-Hotspot bekannt sei. Ebenso seien die Maßnahmen aus epidemiologischer Sicht "nicht optimal, um eine Ausbreitung wirklich verhindern zu können", heißt es.

Das große Ganze im Blick

Der Public-Health-Experte Hans-Peter-Hutter von der Med-Uni Wien mahnt, das große Ganze im Auge zu behalten. Das beinhaltet sowohl die Vermeidung föderalistischer Alleingänge als auch das Einhalten der Kernmaßnahmen – Handhygiene, Abstand halten, FFP2-Maske –, für deren Umsetzung die Menschen zu motivieren seien. "Das gelingt nur durch eine positive Perspektive", ist er überzeugt und nennt es "ein Licht am Ende des Tunnels". Denn letztendlich könne man eine epidemiologische Ausbreitung durch Instrumente wie Lockdowns, Reise- oder Ausgangsbeschränkungen immer nur verzögern, nicht verhindern.

Um einer Corona-Müdigkeit gegenzusteuern, brauche es klare Aufklärung und Kommunikation ebenso wie Rücksichtnahme auf die Bevölkerung – rechtzeitig, bevor die Stimmung endgültig kippt. (Julia Palmai, 11.2.2021)