Dating in der Pandemie ist kein Zuckerschlecken.

Foto: Imago

Politikerinnen empfehlen Sex mit Maske, Spazierengehen ist eine populäre Flirt-Aktivität geworden, und "Du bist meine enge Bezugsperson" kommt einem "Ich liebe dich" nahe – wer am Valentinstag vor einem Jahr einen Blick in die Kristallkugel geworfen hätte, der hätte die Datingwelt wohl nicht mehr verstanden. Man muss nicht Doktor Sommer sein, um zu erkennen: Die Corona-Pandemie hat unser Liebesleben Herz über Kopf durcheinandergebracht. Das kanadische Onlinedating-Portal "Plenty of Fish" hat eine Liste herausgegeben, die versucht, pandemische Dating-Phänomene zu benennen. Welche davon existieren tatsächlich, und welche gehören eher ins Reich der fatalistischen Fantasie? Amor weiß …

Bedrohung macht bindungsfreudig

Das Liebes-Lexikon beginnt mit A, wie Apocalypsing. Gemeint ist jene überstürzte Ernsthaftigkeit, mit der auf einmal Beziehungen eingegangen werden, wenn bildlich gesprochen ein Komet auf die Erde zurast (oder sich eben ein mysteriöses Virus global ausbreitet). Prominentes Beispiel aus der Welt der Filme: Jake und Rose, deren Tête-à-Tête auf der sinkenden Titanic auf etwas stabilerem Grund wohl deutlich weniger stürmisch verlaufen wäre. Apocalypsing ist dennoch nicht ins Reich der Hollywood-Mythen zu verweisen. Kennt doch jeder mittlerweile jemanden, dessen Lockdown-Liaison in kürzester Zeit zur engsten Bezugsperson wurde.

Sicher ist sexy

Die Liste von "Plenty of Fish" geht weiter mit Fauci-ing, anspielend auf den Infektiologen Anthony Fauci, sozusagen das pandemische Gewissen der USA. Ein möglicher Übersetzungsversuch könnte wohl "Verdrösden" lauten (um Faucis deutschsprachigem Pendent Christian Drosten auch einen Trend-Terminus zu widmen). Fauci-ing und Verdrösden beschreiben jene unerfreuliche Pflicht, jemandem den Laufpass zu geben, weil die Person die Corona-Maßnahmen nicht ernst genug nimmt. Ein Phänomen, das genau genommen sogar über die Welt des Datings hinaus geht und auch Freundschaften und Familienbeziehungen betrifft. Ein positiver Aspekt daran ist: Wer verdrösdet werden muss, der ist sowieso keinen Herzschmerz und schon gar keine Covid-19-Erkrankung wert.

Chats ohne Charme

Angekommen im tristen Dating-Alltag der Pandemie kommt als nächster Punkt ein Phänomen ins Spiel, das "Plenty of Fish" als "Hey&Pray" bezeichnet. So gut wie jede Person, die sich bereits im Onlinedating versucht hat, ist mit dieser Beschnupperungstaktik vertraut. Das Gegenüber wagt zwar den ersten Schritt in der Kontaktaufnahme, allerdings mit einem unkreativen und alles andere als persönlichen "Hey". Besonders Frauen geben laut "Plenty of Fish" an, dass zwei Drittel der Männer beim Onlinedating diesen nicht gerade für Eloquenz und Einfallsreichtum sprechenden Gesprächseinstieg wählen. Doch auch wenn "Hey&Pray" in der Pandemie vielleicht noch zugenommen hat: Die Problematik der holprigen Gesprächseinstiege ist wohl ähnlich wie das Herz-Emoji weitaus älter als das Onlinedating.

Wo sind die Krisen-Kinder?

Doch die Corona-Pandemie wirkte sich nicht nur auf frisch Verliebte und noch Suchende aus – auch die Beziehungen von prä-pandemischen Paaren haben sich durch die Ereignisse des letzten Jahres verändert. Laut "Plenty of Fish" ist es eine ganze Generation, die aus der Bewältigungsstrategie von Paaren für die Lockdowns hervorgeht: die Generation der Baby Zoomer, also ein Corona-bedingt besonders geburtenstarker Jahrgang. Die Theorie dahinter erscheint logisch: In Zeiten, in denen das "wilde Leben" sich auf angeduselte Videochats und maskierte Bauernmarkt-Besuche beschränkt, müssten sich doch viele Paare früher als geplant dem Kapitel Reproduktion widmen. Doch wie sich schon die Anstiege der Geburtenrate neun Monate nach großen Stromausfällen als Mythos offenbarten, dürften auch die Baby Zoomer – zumindest zahlenmäßig – nicht aus dem Raster fallen. Bisher zeichnet sich kein merklicher Babyboom nach den ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ab. Zudem haben vorherige Krisen, wie etwa die Finanzkrise, stets eher zu einem Geburtenrückgang geführt.

Gemeinsam statt einsam

Wem die von "Plenty of Fish" geschaffenen Phänomene zu überspitzt, konstruiert oder schlicht nicht relevant erscheinen, der hat damit vermutlich ebenso recht wie jeder, der sich darin spontan wiedererkannt hat. Liebe, Partnerschaft oder auch einfach nur Flirten gehören nun einmal zu den persönlichsten und subjektivsten Empfindungen und Bereichen des Lebens. Die Idee, solche Trends zu beschreiben, hat am Ende vor allem ein Ziel: uns auch in Zeiten von Social Distancing und meterweiten Mindestabständen daran zu erinnern, dass wir in vielen Bereichen ähnlich empfinden. Apocalypsing eben – zusammen ist man weniger allein. (Antonia Rauth, 14.2.2021)