Die beiden Mathematiker Peter A. Markowich und Norbert J. Mauser kritisieren in ihrem Gastbeitrag Österreichs Pandemie-Bekämpfung und nennen gleichzeitig Lösungsansätze.

Zu wenig, zu spät: Anstatt Tirol, zumindest die betroffenen Bezirke, sofort unter strenge Quarantäne zu stellen, als der größte Cluster der südafrikanischen Covid-Variante in Europa bekannt worden ist, wurden erst sechs Tage später halbherzige Maßnahmen gesetzt, die weitere drei Tage später beginnen. Wieder wurde die Regel Nummer 1 im Kampf gegen Covid, die erfolgreiche Länder wie Australien, Neuseeland, Singapur, Südkorea, Taiwan beherzigen, missachtet: Sofort und entschlossen handeln!

Testen, testen, testen: Hunderte Apotheken bieten österreichweit seit Montag die Durchführung kostenloser Antigen-Schnelltests an.
Foto: APA / Roland Schlager

Wie bei Ischgl vor einem Jahr wurden Maßnahmen wieder verzögert und verwässert auf Druck von Wirtschaftskreisen – und genau so wird der Schaden für die Gesamtwirtschaft maximiert. Dabei war es sofort klar, dass "Gröberes" kommt, aber nicht einmal der moralische Imperativ der Ischgl-Saga hat für ein Umdenken ausgereicht.

Die warnenden Expertinnen und Experten sollten sogar mundtot gemacht werden, mit Drohungen wie vom Tiroler Wirtschaftskammerpräsidenten – siehe die Presse am Samstag. Dort sagte er: "Wir sind stolz auf unsere Wissenschaft, und damit das so bleibt, sollen sich Experten nicht darin üben, zu verunsichern und sich in den Vordergrund zu spielen." Die Geisteshaltung hinter solchen Sätzen ist hierzulande hinlänglich bekannt und gemeingefährlich.

Was läuft falsch in Österreich?

1) Falsche Strukturen: Der österreichische Föderalismus mit neun Landeskaisern, schon in Friedenszeiten ineffizient und teuer, ist in Covid-Zeiten ein Riesenproblem. Grotesk zum Beispiel ist das parteipolitische Hickhack "Bund gegen Land" bei der Schließung der Wiener Bundesgärten im März.

2)Falsche Experten: Aufgrund welcher "Credentials" wurden die Gesundheits- und Modellierungsexperten ausgesucht, die gegen Masken waren und die im "Covid-Prognose-Konsortium" danebengelegen sind? Das exponentielle Wachstum der Fallzahlen war seit Sommer erkennbar – man hat nur genau auf die Zahlen schauen müssen, zum Beispiel in der logarithmischen Darstellung, die Erich Neuwirth – pensionierter Professor für Statistik und Informatik an der Universität Wien – publiziert hat. Ende September war zu sehen, dass die Infektionszahlen im November explodieren werden, wenn man nicht Anfang Oktober einschneidende Maßnahmen setzt.

3) Falsche Maßnahmen: Einige der Fehler sind auf Kindergarten-Niveau: zum Beispiel der aus der Luft gegriffene Ein-Meter-"Babyelefant"-Abstand oder die "Corona- Rot-Kreuz-App", wo eine der effizientesten Technologien dilettantisch verpfuscht wurde. Oder die sinnlosen Zettel in Restaurants beziehungsweise nach mehr als zehn Stunden Warten im Auto an den Südgrenzen. Oder die grotesken Strafaktionen gegen Leute, die im April auf einer Parkbank ein Buch lesen wollten.

Mit den Fehlern und verfassungswidrig geschluderten Verordnungen beim (rechtzeitigen und echten) Lockdown im Frühjahr wurde die Saat gelegt für das jetzige öffentliche Ignorieren der Maßnahmen.

Was kann jetzt noch sinnvoll gemacht werden? Wenige, aber klare Maßnahmen, die nicht dauernd geändert werden:

A) Zwei-Meter-Abstand und FFP2-Masken in Innenräumen! Wenn diese "Metaregel" konsequent überall durchgesetzt wird (Öffis, Schulen, Büros, Handel, Kultur, Sport etc.), kann man sich wahrscheinlich zukünftige Lockdowns ersparen – wenn es gekoppelt wird mit:

B) Effiziente Kontaktverfolgung und Isolierung! In erfolgreichen Ländern sind alle K1-Kontakte einer erwiesenen Infektion innerhalb von Stunden in Quarantäne. In Österreich sind nach Tagen noch nicht einmal alle kontaktiert. Moderne Mittel wie Apps auf Smartphones sind dabei eine Chance, die genützt werden muss.

C) Testen, testen, testen: Gratistests kosten einen Bruchteil eines Lockdowns. Massentests sind richtig und wichtig, aber das Timing muss stimmen – und nicht am Ende eines Lockdowns.

D) Bei jedem Cluster muss sofort ein rigoroser lokaler Lockdown erfolgen. In erfolgreichen Ländern wird beim Auftreten von 100 Fällen eine Zehn-Millionen-Stadt sofort abgeriegelt und alle innerhalb von 24 Stunden getestet. In Österreich wird bei weit über 1000 neuen Fällen pro Tag ein Lockdown aufgemacht. Das ist unverantwortlich.

Wenn wir Schulen öffnen wollen, was mit den oben genannten drei Punkten möglich wäre, dann müssen jetzt Skilifte, Friseure, Tattoo-Studios etc. geschlossen sein, und Homeoffice muss die Regel sein.

E) Impfen, impfen, impfen: Wieso ist Österreich eines der Schlusslichter bei der Impfrate? Wofür die PR-Show am 27. Dezember, wo Kanzler und Minister sich mit einer Dame bei der Impfung fotografieren und interviewen lassen, mit stundenlangen Sondersendung im Staatsfernsehen – und dann zwei Wochen Impfferien? Wenn man nach Israel, in die Vereinigten Arabischen Emirate, UK, USA, Serbien, Dänemark schaut, dann fragt man sich, was hier eigentlich schiefläuft in der Planung und Durchführung der Covid-Impfungen.

Wenn diese Maßnahmen nicht so rasch wie möglich umgesetzt werden, werden wir in Österreich noch sehr lange Lockdown-lockern-Lockdown-erneuern spielen und den Schaden von Monat zu Monat vergrößern, an Wirtschaft und Gesellschaft. Peter A. Markowich, Norbert J. Mauser, 11.2.2021)