Die Regierung will sich der Jugendarbeitslosigkeit in Zeiten der Pandemie besonders widmen.

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Lehrlinge bzw. die Jugendlichen in den Berufsschulen seien so etwas wie "die vergessenen Söhne und Töchter der Bildungspolitik", sagte unlängst der Landesschulsprecher der oberösterreichischen Berufsschulen, Jeremie Dikebo, selbst im zweiten Ausbildungsjahr als Telekommunikationskaufmann, im STANDARD-Gespräch. Der jüngste Anlassfall für diesen Eindruck war, als im Jänner alle Schulen mit Antigenschnelltests ausgestattet wurden – alle außer die Berufs- und Landwirtschaftsschulen. Sie sollten in der zweiten Lieferrunde die Tests bekommen.

"Eine vergebene Chance"

Am späten Mittwochnachmittag wurde immerhin über die Jugendlichen gesprochen, die bereits einen Fuß im Arbeitsmarkt haben oder auf dem jetzt besonders schwierigen Weg dorthin sind. Das siebente Arbeitsgespräch der im Sommer 2020 installierten "Taskforce für Jugendbeschäftigung" fand allerdings ohne Beteiligung der Betroffenen statt, kritisierte ÖGB-Bundesjugendvorsitzende Susanne Hofer die "vergebene Chance". Wer die junge Gewerkschafterin fragt, wie es den Lehrlingen in der Corona-Pandemie und den Lockdowns so ergangen sei, erfährt, wie schwierig der Spagat für die jungen Menschen in der dualen Ausbildung war und ist. Aktuell gibt es 99.992 Lehrlinge in Österreich.

Einerseits waren auch sie für die Berufsschulelemente zum Distance-Learning daheim gezwungen: "Aber Lehrlinge in handwerklichen Berufen wie Maurer brauchten bisher keinen leistungsstarken Laptop. Da reichte bisher oft das Handy. Viele hatten also keine technischen Geräte zu Hause." Hofer hätte sich auch für diese Schülergruppe staatliche Unterstützung bei der Ausstattung oder Zuschüsse für den Internetzugang gewünscht. Eingesprungen ist dann die Arbeiterkammer.

Lernorte anbieten

Die psychischen Folgen der langen Lockdown-Auszeiten, in denen oftmals in beengten Wohnungen mit jüngeren Geschwistern gelernt werden sollte, hätten auch für Lehrlinge schon viel früher durch kreative Lösungen abgefangen werden müssen, sagt Hofer: "Man hätte auch für sie Lernorte zur Verfügung stellen sollen, etwa indem man die Jugendzentren öffnet, wo Betreuungspersonen ansprechbar sind."

Generell würden durch die Pandemie "die Versäumnisse der letzten Jahre sichtbar", sagt die ÖGB-Jugendchefin: "Die Lehrlingszahlen sind über Jahre hinweg zurückgegangen, nur noch 20 Prozent der Betriebe bilden überhaupt aus – die Schuld liegt sicher nicht bei den jungen Menschen. Eine Lehre ist immer noch eine Ausbildung. Unternehmen können nicht erwarten, einen Lehrling einzustellen und damit eine fertige Fachkraft zu günstigen Konditionen zu haben." Ziel müsse sein, dass mehr Betriebe wieder mehr Lehrstellen auf einem hohen Qualitätsniveau anbieten. Dazu brauche es auch eine "ordentliche Berufsorientierung in den Schulen".

Große Lehrstellenlücke

Im Jänner gab es eine große Lehrstellenlücke am österreichischen Arbeitsmarkt: 7.411 Lehrstellensuchenden, um 15 Prozent mehr als im Vorjahr, standen nur 4.740 sofort verfügbare Lehrstellen zur Verfügung, im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent weniger. Es fehlten also 2.671 Lehrstellenangebote, auf jede offene Lehrstelle kamen statistisch gesehen 1,6 Suchende. Pandemiebedingt ist vor allem die Zahl der Lehranfänger zurückgegangen (minus 8,7 Prozent), im Tourismus und in der Freizeitwirtschaft sogar um 34 Prozent.

Besonders extrem klaffen Angebot und Nachfrage in der Bundeshauptstadt auseinander. Fast jeder zweite Lehrstellensuchende, nämlich 3.499 Personen, lebt in Wien, während hier nur 270 offene sofort verfügbare Lehrstellen vorhanden sind – das sind 13 Suchende pro offener Lehrstelle.

Anfang Februar waren um fast 10.000 junge Menschen mehr ohne Job als vor der Corona-Krise – insgesamt sind beim AMS 72.232 unter 25-Jährige als arbeitssuchend gemeldet, 26.867 von ihnen absolvieren Schulungen. Gleich im ersten Pandemiemonat, im März 2020, ist die Jugendarbeitslosigkeit quasi explodiert. Damals stieg die Zahl der jungen Menschen ohne Job von 57.610 im Februar auf 82.462 im März.

Pandemiefolgen abfedern

Das ministerielle Quintett, das das Thema Jugendbeschäftigung am Mittwoch auf die politische Bühne hievte, bestand aus Arbeitsminister Martin Kocher, Jugendministerin Susanne Raab, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Bildungsminister Heinz Faßmann (alle ÖVP) sowie Sozialminister Rudi Anschober (Grüne).

Arbeitsminister Kocher betonte, dass es darum gehe, "die Jugendlichen am Arbeitsmarkt zu unterstützen und zu schauen, dass die Folgen der Pandemie abgefedert werden", und er versprach: "Wir ruhen uns nicht aus." Die Regierung versuchte den Lehrstellenmangel in der Corona-Krise mit einem Lehrlingsbonus für Unternehmen und einem Ausbau von Plätzen in der überbetrieblichen Lehrausbildung zu bekämpfen.

Immerhin habe Österreich EU-weit die viertniedrigste Jugendarbeitslosigkeit, hob Kocher hervor: "Aber jeder Jugendliche ohne Arbeit ist einer zu viel." Nur Deutschland (mit einer saisonbereinigt rund sechs Prozent hohen Jugendarbeitslosenquote), Tschechien (rund acht Prozent) und die Niederlande (knapp zehn Prozent) liegen besser als Österreich (gut zehn Prozent). Spanien (40 Prozent) Griechenland (rund 35 Prozent) und Italien (knapp 30 Prozent) sind Schlusslichter in der EU.

Verhindern, dass es eine "Generation Corona" gibt

Auch Sozialminister Anschober betonte das Ziel, "mit aller Kraft gemeinsam zu verhindern, dass es eine Generation Corona gibt". Er hob benachteiligte Menschen als besondere Zielgruppe für sein Ressort hervor. "Viele junge Menschen sind durch die Corona-Krise von Armut und Ausgrenzung betroffen – besonders häufig Jugendliche mit Behinderungen beziehungsweise Unterstützungsbedarf." Exemplarisch nannte er das individuelle Jugendcoaching, für das heuer 54 Millionen Euro verplant sind, oder das daran anschließende Programm "Ausbildung Fit" (früher: Produktionsschulen), das eine Vorbereitung auf eine weitere Ausbildung bietet. Dafür sind 59 Millionen Euro vorgesehen.

Bildungsminister Faßmann wies auf die Doppelbelastung von Lehrlingen im dualen System hin, die durch die Pandemie besonders belastet wurden. Eine Kochlehre etwa via Distanzunterricht sei mit ihrem spezifischen Praxisanteil auch durch sehr spezielle Schwierigkeiten gekennzeichnet. Sein Anliegen sei gewesen, auch im vergangenen, pandemiedominierten Jahr "so viel wie möglich Berufsschul-Normalität zu simulieren". Überdies beobachte man in der Pandemie einen "verstärkten Andrang zur Lehre mit Matura".

Ein Job, der Spaß macht, als sinnstiftendes Lebensziel

Jugendministerin Raab betonte, dass es beim Thema Jugendbeschäftigung "einen gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss braucht". Ein Job, "der Spaß macht", sei ein "sinnstiftendes Ziel für das Leben". Das sei jetzt aber durch die Pandemie erschwert, weil etwa Berufsmessen oder Schnupperpraktika nicht stattfinden könnten. Der Bedarf nach Information ist groß: Auf der "Jugendplattform" habe man 22.000 Anfragen zu Beruf und Ausbildung beantwortet, sagte Raab.

Wirtschaftsministerin Schramböck schließlich war jene, die das Erfolgsmodell Lehre besonders anpries, sei es doch der Grund für die vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Sie betonte, eine Lehre sei "die erste Stufe in eine erfolgreiche Berufskarriere". Durch den Lehrlingsbonus (bisher wurden dafür 48 Millionen Euro ausgeschüttet) habe die Regierung in der Corona-Krise mehr als 23.000 Lehrstellen gesichert.

Neue, coole Lehrberufe mit Zukunft

Außerdem arbeite ihr Ressort an "neuen und coolen Berufsbildern", indem derzeit 30 Lehrberufe überarbeitet werden. Exemplarisch nannte Schramböck den Entsorgungsexperten oder die Recyclingfachkraft. Außerdem forciere man Kombinationen mit Matura oder nach der Matura, "um mehr Flexibilität ins System zu bringen". Sie schloss mit einem optimistischen Appell an die Jugendlichen: "Fachkräfte werden immer gesucht. Es ist sicher ein ganz richtiger Schritt, mit einer Lehre die Berufskarriere zu starten." (Lisa Nimmervoll, 11.2.2021)