Lässt sich die Liebe in Daten, Statistiken und Wahrscheinlichkeiten aufschlüsseln, wie es immer mehr Dating-Plattformen versprechen?

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Wie finden wir den richtigen Partner fürs Leben? Es ist eine Frage, die sich Menschen mehr oder weniger wohl seit Anbeginn der Zeit stellen. Abhängig davon, wen wir fragen, fällt die Antwort darauf unterschiedlich aus: Für Neurowissenschafter sind Gefühle wie Lust, Anziehung und Bindung vor allem eine Frage der "richtigen" elektro-chemischen Mischung im Gehirn. Für Mathematiker ist die Partnerwahl eine Frage der Wahrscheinlichkeit: Laut der Stopp-Theorie sollten wir alle Kandidaten in den ersten 37 Prozent der "Dating-Zeit" ablehnen und danach die erste Person auswählen, die alle anderen Personen davor übertrifft. Und für Psychologen leben gute Beziehungen vor allem von Persönlichkeitseigenschaften wie Empathie, Offenheit und emotionaler Stabilität.

Kaum eine Branche verspricht, eine so klare Antwort auf die Frage der Partnerwahl zu haben wie die Online-Dating-Industrie. Mithilfe neuester Technologien, Algorithmen, künstlicher Intelligenz und einer Vielzahl von Daten soll die Partnersuche in Zukunft noch genauer, schneller und einfacher gemacht werden. Den richtigen Partner zu finden ist diesem Prinzip nach vor allem eine Frage der Auswahl: Wer aus einem Pool von Millionen potenzieller Singles auswählen kann, braucht sich nicht mit dem erstbesten Nachbarn oder dem Freundesfreund zufriedenzugeben.

Und vielleicht können menschliche Partner eines Tages auch ganz ersetzt werden: mit personalisierten Avataren, die in der virtuellen oder echten Realität exakt dem Bild des "perfekten" Partners entsprechen. Was machen diese Entwicklungen mit der Liebe? Und können sie uns tatsächlich zu besseren Beziehungen verhelfen?

Das Spiel mit den Daten

Die Online-Dating-Branche boomt nicht erst seit der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden sozialen Isolation. Laut einer Studie der Online-Partnerbörse Parship haben sich bereits rund 17 Prozent aller österreichischen Paare im Internet kennengelernt. Die weltweite Online-Dating-Industrie ist mittlerweile mehrere Milliarden Euro schwer und wird von Unternehmen wie der Match Group angeführt, zu der Verkuppelungsplattformen wie Match, Tinder, Ok-Cupid und 45 weitere Dating-Dienste gehören.

Alle diese Unternehmen haben im Laufe der Jahre eine große Menge an Daten zu Vorlieben, Interessen und Charakterzügen ihrer Nutzer gesammelt. Diese Daten werden wiederum von Algorithmen benutzt, um den Nutzern geeignete Kandidaten vorzuschlagen. Je mehr Daten die Programme haben, desto "exakter" sollen die Ergebnisse sein. Laut dem Tinder-Gründer Sean Rad funktionieren die Algorithmen wie intelligente Filter, die alle Interessen der Person zusammenfassen und auswerten.

"Die Logik der Algorithmen folgt meist einem Attraktivitätsscore, auch als Elo-Score bekannt", sagt die KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou. Jemand, der attraktiver ist, das heißt, mehr Likes auf sein Profilbild bekommt, habe am Ende auch einen höheren Wert. Wer zu viele Profile likt, werde vom Algorithmus eher negativ bewertet. "Für den Algorithmus wird man dann als zu verzweifelt in der Partnersuche eingestuft. Je wählerischer man ist, desto höher der Elo-score", sagt Ait Si Abbou.

Partner, die Berühmtheiten ähneln

Die Möglichkeiten zum Einsatz der Algorithmen sind vielseitig. Die Online-Dating-App Match beispielsweise verwendet einen künstlichen Chatbot, genannt Lara, der Nutzer mittels Spracherkennung etwa nach ihrem Alter, Hobbys, ihrer sexuellen Orientierung oder Wohnort fragt. Anschließend schlägt das Programm Empfehlungen basierend auf den eigenen Angaben vor.

Die Dating-App Loveflutter wiederum schlägt den Nutzern nach längeren Chatverläufen vor, wann und wo sie sich treffen können. Und die App Badoo verwendet Gesichtserkennungssoftware, die Nutzern dabei helfen soll, Menschen zu finden, die ihrem Ex-Freund oder einer Berühmtheit ähnlich sehen.

Er ist wahrscheinlich nicht jedermanns Geschmack, aber es mag durchaus Personen geben, die sich nach Donald-Trump-Doppelgängern umsehen.
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"Umso länger wir auf den Plattformen online sind, desto mehr weiß der Algorithmus, was wir mögen – und wird dadurch immer genauer", sagt Ait Si Abbou. Würde beispielsweise ein Algorithmus einer Dating-Plattform mit unserem Facebook-Profil verbunden, könnte er nur anhand einer Analyse weniger Likes viel über unser Verhalten und unsere Interessen in Erfahrung bringen. "Mit den richtigen Daten wird ein Algorithmus einen besseren Partner für uns finden als wir selbst."

Auswahl anhand von DNA

Die Entwicklungen gehen aber zum Teil noch weiter: Die Plattform DNA Romance etwa verwendet künstliche Intelligenz, um Nutzer anhand ihrer Gene zu verkuppeln. Singles senden eine Speichelprobe an das Unternehmen, dieses wertet die Probe aus und schlägt der Person anschließend mithilfe weiterer Daten zu Persönlichkeitseigenschaften passende Beziehungspartner vor.

Laut einer Studie australischer Forscher aus dem Jahr 2017 könnten genetische Veranlagungen tatsächlich bei der Partnerauswahl beteiligt sein, insbesondere wenn es um die Größe und das Gewicht des Partners geht.

Sexuelle Belästigungen

Aber an den Online-Dating-Plattformen und den dazugehörigen Algorithmen hagelt es auch Kritik. Laut einer Studie des Pew Research Center von 2020 haben es besonders junge Frauen häufig mit Belästigungen zu tun. Sechs von zehn Frauen unter 35 Jahren in den USA, die Online-Dating bereits einmal genutzt haben, gaben an, dass sie von Männern weiter kontaktiert wurden, nachdem sie kein Interesse bekundet hatten. Fast die Hälfte der Frauen gab an, bereits mindestens einmal beleidigt worden zu sein, ein Fünftel, dass sie es schon einmal mit Gewaltdrohungen zu tun hatten.

Laut Online-Plattformen arbeite man bereits an Lösungen, um besser gegen sexuelle Belästigungen vorzugehen. Ein Algorithmus bei Tinder soll Nutzer, die bestimmte Nachrichten erhalten, automatisch fragen, ob die Nachricht für sie eine Belästigung darstellt. Anschließend sollen die Nutzer schnell gemeldet werden können. Vielen Kritikern gehen die Maßnahmen allerdings trotzdem nicht weit genug.

Dating-Ermüdung

Für viele stellt sich außerdem die Frage, inwieweit Dating-Plattformen überhaupt daran interessiert sind, zu langfristigen Beziehungen beizutragen. Schließlich beruhe die gesamte Geschäftsidee auf fortwährenden Dates und Partnersuchen. Die sogenannte "Dating-Ermüdung" beschreibt den Zustand von Gleichgültigkeit oder auch Depression, der sich nach hunderten oder auch bereits nach ein paar Dates einstellen kann, die immer wieder zu Enttäuschungen oder Zurückweisungen geführt haben. Am Ende wartet meist die Erkenntnis, dass der oder die Richtige auch mit Dating-Apps nicht schnell zu finden ist.

Denn immerhin bleibt die Liebe auch nach genauesten Datenanalysen komplex. Dutzende Studien haben etwa aufgezeigt, dass unser Unterbewusstsein einen großen Einfluss auf unser Liebesleben haben kann. Damit Algorithmen auch wirklich in der Lage sind, Menschen zusammenzubringen, müssten sie diese unterbewussten Mechanismen miteinbeziehen, so Kritiker. Können Algorithmen jemals dieser Komplexität Herr werden?

Personalisierte Avatare

Aber vielleicht braucht es eines Tages die Algorithmen nicht mehr nur zur Vermittlung, sondern als Partner selbst. Virtuelle Freundinnen, die sich mit den Nutzern unterhalten, gibt es bereits, und sie boomen vor allem in Ländern wie Japan. Von diesem Punkt aus fällt es nicht schwer, sich personalisierte Avatare in der virtuellen Realität vorzustellen, die eines Tages alle Wünsche des Partners erfüllen sollen. Laut einer Studie von 2020, in der Menschen in elf Ländern, darunter Deutschland und Dänemark, befragte wurden, können zumindest 27 Prozent der Befragten nicht gänzlich ausschließen, einmal einen Roboter als Partner zu haben.

"Social Chatbots unterhalten sich schon jetzt mit Menschen, die einsam sind", sagt Ait Si Abbou. Aber laut der Expertin sollten wir Intelligenz nicht mit Bewusstsein verwechseln. "Maschinen werden in der baldigen Zukunft nicht in der Lage sein, ein Bewusstsein und eigene Gefühle wie Liebe zu entwickeln. Ob der Mensch Gefühle zu einer Maschine aufbauen kann, wird sich mit der Zeit zeigen", sagt sie.

Zumindest vorerst müssen die Algorithmen und ihre Entwickler wohl ohnehin noch an der Verkuppelung arbeiten. Das heißt auch: Die Achterbahnfahrten und intensiven Verbindungen realer zwischenmenschlicher Beziehungen werden uns trotz Algorithmen und Maschinen (glücklicherweise) wohl noch länger begleiten. (Jakob Pallinger, 14.2.2021)