Ein junger Mann mit Kapperl der Green Bay Packers auf dem Kopf und Airpods in den Ohren steht vor einem Regal voller Edelsalami. "Bitte von folgenden Produkten nur eines nehmen", steht auf einem kleinen Schild geschrieben. Es ist immer das gleiche Produkt, aber drei Verpackungsalternativen – eine ist österreichisch, die anderen beiden sind italienisch angehaucht. Der junge Mann entscheidet sich für eine der italienischen Varianten. "Das sehen wir in Österreich oft, Italien zieht einfach immer", sagt Thomas Perdolt ein paar Meter weiter.

Der Go2Market wirkt auf den ersten Blick wie ein herkömmlicher, tadellos aufgeräumter Supermarkt.
Foto: Heribert Corn

Perdolt ist Gründer des Go2Market im 6. Wiener Gemeindebezirk. Steht man darin, könnte man meinen, es würde sich um einen herkömmlichen, wenn auch tadellos aufgeräumten Supermarkt handeln. Doch der Go2Market ist ein Marktforschungssupermarkt. In diesen Regalen stehen oft Produkte, die es noch nicht auf dem Markt gibt. Die Performance im Go2Market kann entscheidend dafür sein, ob das Produkt je das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Dafür arbeitet Perdolt mit Herstellern aus aller Welt zusammen. "Es geht bei uns viel um Markteintritte, aber auch um Imageänderungen, Zielgruppenanalysen, Preisvergleiche, und so weiter." Die Edelsalami vom Anfang hat das Problem, dass der Originalname im Österreichischen oft wie ein Fäkalwort ausgesprochen wird. "Also haben sie zwei Alternativen erstellt und uns damit beauftragt, zu testen, welcher Name am besten funktioniert", erklärt Perdolt.

Die Vielfalt der Produkte kennt keine Grenzen: ein Anti-Energy-Drink, der beim Einschlafen helfen soll. Skiwasser mit Schuss in Flaschen. Tonicwater aus Essig. Bratapfelgewürz. Proteinsoda. Und vieles mehr.

Foto: Heribert Corn

Corona-Tester am Eingang

Die Analysen gehen dabei weit über eine absolute Zahl hinaus. Wer im Go2Market einkaufen will, muss sich registrieren. Eine Jahresmitgliedschaft kostet 12,90 Euro im Monat. Dafür bekommt man als Konsument im Monat ein Guthaben von 55 Euro, um im Go2Market einzukaufen. Davor werden alle möglichen soziodemografischen Fragen gestellt: Alter, Beziehungsstatus, höchster Bildungsabschluss und vieles mehr. Maximal dürfen 1500 Mitglieder gleichzeitig registriert sein, sie werden so ausgewählt, dass sie einen Durchschnitt Österreichs bilden.

Der Markt ist technisch auf dem neuesten Stand. Eine Kamera am Eingang schaut, ob die Maske auch richtig sitzt, daneben steht ein Corona-Tester, der Duftproben ausspuckt und den Testenden fragt, was man denn da gerade gerochen hat. Liegt man richtig, darf man passieren. Liegt man falsch, "können wir hier ab nächster Woche auch Fieber messen".

Wer eintreten darf, muss jederzeit sein Handy dabeihaben. Damit scannt man die Produkte, die man kauft, und verrechnet sie am Ende des Einkaufs mit seinem Guthaben. Gleichzeitig wird man im Laden von etlichen Deckenkameras begleitet. Das weiß jeder hier, dafür ist man ja da.

Jedes Produkt muss mit dem Handy gescannt werden – damit es nach dem Kauf bewertet werden kann.
Foto: Heribert Corn

Also bezahlt man im Go2Market mit seinen Daten? "Unsere Analysen sind komplett anonym, kein Industriebetrieb weiß, wer was gekauft hat. Es geht den Herstellern lediglich um Zielgruppen", sagt Perdolt. Um genau herauszufinden, wie gut ein Produkt ankommt, werden Käufer nach dem Einkauf per App befragt. Wer an den Umfragen teilnimmt, kann sein monatliches Guthaben erhöhen. "Wir haben eine Feedbackquote von rund 80 Prozent", sagt Perdolt.

"Die Leute sind endlich froh, mitbestimmen zu dürfen. Draußen im Handel wird der Konsument außen vor gelassen. Irgendwann steht ein Produkt im Regal, und keiner weiß, warum. Hier können die Menschen aktiv als Vorreiter agieren, als Meinungsführer."

Bezahlen funktioniert auch über das Handy und über den großen Checkout-Bildschirm.
Foto: Heribert Corn

Deswegen lassen sich hier Trends und Flops skizzieren. "Hard Seltzer ist gerade groß im Kommen", sagt Perdolt und weist auf ein Regal mit allerlei verschiedenfarbigen Dosen hin. Hard Seltzer ist ein alkoholisches Mixgetränk aus Sodawasser mit Fruchtgeschmack. "In den USA bereits der absolute Renner, hier in Europa fängt es langsam auch an, deswegen testen einige Anbieter gerade für den Markteintritt", sagt Perdolt, zeigt auf eine weiße Dose und fügt an: "Das Zeug schmeckt richtig gut."

Einige Produkte kommen aber niemals über die Testphase hinweg. "Wir hatten mal ein Cold-Brew-Coffee mit einem speziellen Fruchtgeschmack, da wusste man aber schon beim ersten Schluck, dass das nix wird." Der Grauskaffee ist nie auf den Markt gekommen. "Das ist zwar blöd, so kurz vor Schluss ein Produkt zurückzuziehen, aber die Hersteller sind uns dankbar, dass sie sich die Markteintrittskosten damit sparen konnten."

Die Milchglasscheiben sollen allzu viele neugierige Blicke draußenhalten – zwei Gucklöcher gibt es aber.
Foto: Heribert Corn

Keine soziale Erwünschtheit

Aber warum braucht es überhaupt diese merkwürdige Mischung aus Labor- und Feldsituation. "Herkömmliche Marktforschung funktioniert über Befragungen. Und bei Befragungen gibt es immer die soziale Erwünschtheit", das bedeutet, Menschen antworten das, was sie für gesellschaftlich anerkannt halten. "Wenn man gefragt wird, ob man für ein Produkt mehr bezahlen würde, damit es Bio oder Fairtrade ist, dann sagen viele bei solchen Befragungen instinktiv: Klar! Hier im Laden testen wir das aber, weil die Menschen mit "echtem" Geld bezahlen müssen. Und auf einmal sieht man, die Akzeptanz für Bio und Fairtrade ist bei vielen Produktgruppen doch nicht so hoch." Gleiches gilt für Preisanalysen – wird ein Produkt noch gekauft, wenn es mehr als zwei Euro kostet?

Perdolt plant, sein Konzept des Marktforschungssupermarkts in mehreren Ländern zu etablieren, "um auch länderübergreifende Tests zu machen". Bald macht Köln den internationalen Anfang. "Ich wette mit Ihnen", sagt er über die Edelsalami, "dass in Deutschland die österreichische Verpackung am besten zieht. Aber das testen wir dann da." Und die Deutschen entscheiden. (Thorben Pollerhof, 12.2.2021)