Slowthai zählt täglich seine Sorgen. Hier hält er bei Sorge Nummer 7.

Foto: Universal

Der britische Rapper Slowthai konnte sich 2019 mit seinem Debüt Nothing Great About Britain als Jahrgangsbester durchsetzen. Die Tristesse der britischen Arbeiterklasse zwischen Reihenhaus und Plattenbauten als wütender Chronist zu beschreiben gelang außer den Sleaford Mods keinem so intensiv wie ihm. Ein Meister der Dystopie mit Joint in der Hand.

Der 26-jährige Tyron Frampton aus Northampton bellt mit verschnupfter Stimme auch die Texte seines neuen Albums Tyron im brutalen Slang der Midlands. Dort sagt man Fuck mit langem O statt mit kurzem A – und man sagt es fooocking oft. Nach den Wutreden auf Nothing Great About Britain, die als zerschossener Hip-Hop mit dem Gestus des Punk heruntergerissen wurden, hat sich Slowthai im Lockdown etwas gefangen.

slowthaiVEVO

Daheim im Kellerstudio des Hauses, das er privat eh als ein ganz ein Lieber mit seiner Mama und seiner Verlobten bewohnt, hat sich Slowthai auf seine eigentlichen Qualitäten besonnen. Massiv brummende Bässe und zerdepschte Grime- und Trap-Rhythmen, die zwischen Kiffen in Slow Motion und Nasenguti auf Speed ein Dasein in dunklen Hausecken und heruntergekommenen Clubs führe, sie zeichnen zumindest Teil eins von Tyron aus.

Neben dem Leben im sozialen Brennpunkt und der Beschreibung der deklassierten Arbeiterklasse lässt Slowthai einmal mehr den Fightpicker heraushängen. Hartes Leben, harte Drogen. Ein Kilo Ohrwascheln ist schnell gebrockt. Kohle hat er mittlerweile natürlich auch zum Verbrennen. Zum lebenden Klischee gesellten sich im Vorjahr noch Skandale. Er beleidigte die ehemalige britische Premierministerin Theresa May als "Dickhead". Er absolvierte als selbsternannter "Brexit Bandit" einen Fernsehauftritt mit dem abgetrennten Kopf von Boris Johnson in der Hand. Der Kopf war nicht echt! Und er machte sich obendrein auch noch um frauenfeindliche Äußerungen verdient.

slowthaiVEVO

Deshalb wird es am Ende des rauen ersten Teils auch recht nachdenklich. Der ehrlich verdiente Shitstorm hat ihn voriges Jahr sehr mitgenommen. In Play With Fire bekennt er heute: "I hate the internet." Auch im zweiten Teil dreht sich die Welt von Slowthai ausschließlich um die verletzliche Person Tyron, die hinter dem Kampfnamen steht.

Es wird sogar melodiös. Micky-Maus-Chöre und flauschige Keyboards wabern durch die Stücke. Nach Grime-Star Skepta und US-Rapper A$AP Rocky als Gästen hat sich Slowthai nun den britischen Soulprinzen James Blake zum Schmusen geholt. Es gelangt zu interessanten Erkenntnissen wie: "Dream, come and rescue me/ See me there, see me down/ Take me anywhere, I come to you with love."

Es geht jetzt um das Leben abseits des Rampenlichts, es geht um Ängste, Sorgen und Zweifel abseits von Drogen und Gewalt. NHS ist am Ende gar ein Lobgesang auf die britischen Corona-Helfer. Das soll nicht zynisch klingen, aber so kann man sein Stammpublikum verlieren: "Try breathing, you might find freedom." Wird Zeit, dass der Mann wieder einmal aus dem Haus kommt. (Christian Schachinger, 12.2.2021)