Unmittelbar nach dem Attentat in der Wiener Innenstadt am 2. November steckten Passanten als Zeichen der Trauer um die vier Todesopfer Rosen in Einschusslöcher.

Foto: Matthias Cremer

Nach der Präsentation des Abschlussberichts der Untersuchungskommission zu den Behördenfehlern im Vorfeld des Terroranschlags in Wien vom 2. November ist noch lange nicht Schluss. Nun gerät auch der Bericht selbst in die Kritik. Der Verein Derad, der vom Justizministerium engagiert wurde, um islamistische Straftäter in der Haft und nach der Entlassung zu deradikalisieren, ist mit der Darstellung seiner Arbeit in dem Bericht unzufrieden.

Derad stößt sich daran, dass seine Tätigkeit als "Doppelrolle" bezeichnet wird. Im Bericht der Kommission heißt es, es sei heikel, dass der Verein einerseits auf Deradikalisierung ausgerichtet sei, andererseits seine Berichte "zur Gefährlichkeitseinschätzung der Verurteilten herangezogen werden". Derad weist darauf hin, dass es notwendig sei, der Justizanstaltsleitung bzw. den zuständigen Fachteams derartige Einschätzungen vorzulegen. Sie dienten dazu, die Entwicklung eines betreuten Häftlings darzustellen.

Keine Seelsorge

Überrascht zeigt sich Derad in einer schriftlichen Stellungnahme auch davon, dass extra darauf hingewiesen werde, dass der Verein keine seelsorgerische Betreuung leisten könne. Denn das seien gar nicht der Anspruch und die Aufgabe von Derad. In der Arbeit mit den betreuten Häftlingen gehe es nicht um die Auslegung des Koran, wie im Kommissionsbericht nachzulesen sei, sondern um vielfältige Themengebiete wie politische Bildung, Geschichte, Demokratie, Menschenrechte und natürlich auch um islamwissenschaftliche Fragen.

Außerdem wirft Derad der Untersuchungskommission vor, nur ältere Begleitforschung bei der Analyse der Tätigkeit des Vereins berücksichtigt zu haben. Inzwischen gebe es viele neue Erkenntnisse, die zu erörtern lohnend gewesen wären.

Gleiche Forderungen

Derad will seine Punkte aber nicht als Kritik an Personen der Kommission, die von der Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes geleitet wurde, verstanden wissen. Die wesentlichen Schlussfolgerungen, wie zum Beispiel die Forcierung von sogenannten Fallkonferenzen zur Bewertung der Gefährlichkeit von Straftätern, werden auch ausdrücklich unterstützt.

Drei Monate nach dem Anschlag sind immer noch wesentliche Details unklar. Das betrifft etwa die Frage, wie der Täter am 2. November in die Innenstadt gekommen ist. In Ermittlerkreisen geht man davon aus, dass er zu Fuß gekommen ist. Dennoch kann immer noch nicht ausgeschlossen werden, dass er von einer Person im Auto gefahren wurde. Mehrere Videos, die das nahelegen, wurden aber mittlerweile falsifiziert.

Fokus auf das Netzwerk

Die Ermittler gehen jedenfalls davon aus, dass K. F. in der Tatnacht allein am Schwedenplatz war. Ebenfalls klar dürfte sein, dass er bei der Vorbereitung Hilfe hatte. So fanden im Juli 2020 mehrere Treffen des späteren Täters mit mehreren amtsbekannten Jihadisten, auch aus der Schweiz und Deutschland, statt, der Verfassungsschutz observierte die Treffen.

Bei einem Treffen anwesend war auch der 19-jährige I. A., er wurde mittlerweile wegen einer anderen Causa zu einer Haftstrafe verurteilt – schon im Oktober 2019 war bei ihm im Zuge einer Hausdurchsuchung belastendes Material gefunden worden. Laut seinem Anwalt, Wolfgang Ebner, seien er und K. F. aber bei dem Treffen nie aufeinandergetroffen. Sehr wohl aber hätten die beiden "einschlägiges Material geteilt". Trotzdem wurde I. A. erst nach der Terrornacht festgenommen. In ein paar Wochen, davon geht Ebner aus, soll I. A. aus der Haft entlassen werden, rund um die Ereignisse des 2. November wird er weiterhin als Beschuldigter geführt.

DNA-Fund nicht geklärt

Derzeit werden von den Ermittlern zahlreiche DNA-Proben ausgewertet. Schon im Dezember wurden auf einer der Tatwaffen die Spuren von vier verschiedenen Personen gefunden, darunter von zwei Frauen. Wer die beiden sind, ist nach wie vor unklar, die zwei Männer wurden verhaftet.

Einer von ihnen wird von Anwalt Nikolaus Rast vertreten. Dieser kritisiert, dass zwar DNA-Spuren seines Mandanten gefunden wurden, jedoch bisher keine Belege zu Fingerabdrücken vorliegen würden. Weil sein Mandant über drei Wochen in der Wohnung des Attentäters gewohnt hatte, würden die DNA-Spuren also nichts über eine Mittäterschaft aussagen, meint Rast. (Gabriele Scherndl, Michael Simoner, 11.2.2021)