Längst ist es nicht mehr nur die gemeinsame Sprache, die Österreicher und Deutsche einem Bonmot gemäß voneinander unterscheidet. Selten wurden die Unterschiede in der politischen Kultur der beiden so eng verzahnten Länder in der Mitte Europas so brutal offenbar wie jetzt, da ob des gemeinsamen Feinds Covid-19 in den Staatskanzleien dies- und jenseits des Inns die Nerven blankliegen.

Während nämlich hierzulande Provinzpolitiker gerne "alles richtig gemacht" haben wollen und der Bundeskanzler stets das "private Verhalten des Einzelnen" ins Treffen führt, wenn doch etwas falsch läuft, erteilt Angela Merkel ihren Kollegen in Österreich eine Lektion in Demut.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Foto: imago/Bernd Elmenthaler

Dass die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag im Deutschen Bundestag unumwunden Fehler in der Bekämpfung der Pandemie einräumte, mutete für österreichische Ohren ebenso unerhört wie erfrischend an. Denn anstatt die Schuld bei anderen zu suchen, kehrte Merkel vor der eigenen Tür. "Lernen heißt, nicht von Anfang an alles richtig zu machen, sondern auch Einschätzungen zu korrigieren", sprach die Kanzlerin – und sparte nicht mit Selbstkritik: Ihre Regierung habe der Wissenschaft nach der Euphorie des vergleichsweise lockeren Corona-Sommers nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, sie habe Warnungen vor der zweiten Welle, die Deutschland schließlich im Herbst überrollte, nicht schnell und konsequent genug in Politik – will heißen: Kontaktbeschränkungen – übersetzt. Nun müsse man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, um sie in Zukunft zu vermeiden, auch wenn dies bedeute, dass sich die geplagten Deutschen nicht wie erhofft auf Lockerungen, sondern wegen der grassierenden Mutanten auf einen längeren Lockdown einstellen müssten. Besonders populär ist das nicht: aber die Wahrheit.

Freilich: Die deutsche Bundeskanzlerin muss – anders als ihr junger Kollege in Wien – im Spätherbst ihrer Karriere nicht mehr auf persönliche Beliebtheitswerte schielen. Dass sie zu keiner Wahl mehr antritt, macht sie frei.

Indem sie Fehler zugibt, erweist sie der Demokratie aber einen wichtigen Dienst. In einer Zeit, in der mehr und mehr Menschen das Vertrauen in die Politik und in die Regierung verlieren, könnte ein solches Eingeständnis dabei helfen, die politische Kultur wieder ein Stück weit aufzurichten. "Die da oben" wissen schließlich auch nicht immer alles besser – schon gar nicht in einer Pandemie. Was zählt, ist, dass man aus Fehlern lernt, in Berlin wie in Wien. (Florian Niederndorfer, 11.2.2021)