Das Ministerium ist in militärgeschichtlichen Angelegenheiten schlecht beraten, sagt Militärhistoriker Michael Hochedlinger im Gastkommentar.

"Keiner ist mit diesem Museum zufrieden", sagte Kommissionspräsident Wolfgang Muchitsch bei der Präsentation des HGM-Berichts mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.
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Das peinliche Trauerspiel um das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) wirft ein bezeichnendes Licht auf das Fehlen einer konservativen Kultur- und Geschichtspolitik. Das mag viele freuen, ist aber langweilig und für manche Institution eben tödlich.

Natürlich hat auch die ÖVP ihre "Geschichtsonkel" und "Kulturtanten", doch den Parteihistorikern und kulturpolitischen Schwergewichten von SPÖ und Grünen vermag sie kaum Gleichwertiges entgegenzusetzen. Antonio Gramscis Ausführungen über die hohe Bedeutung kultureller Hegemonie werden an der Politischen Akademie in der Tivoligasse offensichtlich nicht gelesen. Dabei wäre etwas kritische Traditionsbewahrung im Gegensatz zur modischen Erbsentschlagung zweifellos mehrheitsfähig. So aber wälzt sich der diskursbeherrschende linksliberale Mainstream ungehindert durch unsere eintönige Kultur- und Geisteslandschaft.

Linker Siegeszug

Leider birgt der Siegeszug der "Cultural Left" in seinen geschichtspolitischen Ausläufern die ernste Gefahr gesellschaftlicher Neurotisierung. In die Vergangenheit verlängert, führt randgruppen- und opferzentrierte Identitätspolitik nämlich zu einer besonders rabiaten Form des Selbst- und Geschichtshasses. Die retrospektive Autoaggression verbeißt sich mittlerweile an so gut wie allen Relikten vergangener Jahrhunderte.

Dass unter solchen Rahmenbedingungen am Ende auch das HGM als Erinnerungsort der kaiserlichen beziehungsweise k. (u.) k. Armee zum Skandalon werden musste, versteht sich. Zwei Untersuchungskommissionen (und eine Rechnungshofprüfung) konnten zwar die Ausgangsvorwürfe nicht bestätigen, aber in den Augen der "Historical Correctness" verdient die gründungsauftragsgemäß museumsbeherrschende Habsburgermonarchie nicht mehr Gnade als die NS-Zeit.

"Wieder einmal reicht ‚Kamerad Schnürschuhs‘ Horizont nur bis zum großen deutschen Bruder."

Ob das Landesverteidigungsministerium die Gefahr erkennt, im Arsenal ein militärfeindliches Kuckucksei auszubrüten? Jedenfalls zeigt sich die Rossauerkaserne in militärgeschichtlichen Angelegenheiten schlecht beraten. Anders ließe es sich nicht erklären, dass die zehnköpfige Kommission unter Joanneum-Geschäftsführer Wolfgang Muchitsch, deren Endbericht nun vorliegt, keinen einzigen "echten" Militärhistoriker aufzuweisen hat.

Wie provinziell die Kommission aufgestellt war, beweist auch ihre mangelnde Internationalität. Wieder einmal reicht "Kamerad Schnürschuhs" Horizont nur bis zum großen deutschen Bruder. Allerdings stehen vergleichbare Militärmuseen nicht in Ingolstadt oder gar in Dresden, sondern in Paris und London. Mit Deutschland teilen wir nur die im Verbrechen erstickte Militärtradition.

Zwang zur Verhässlichung

Am meisten aber verstört die skandalöse Tatsache, dass der SPÖ-nahe Museumsmultifunktionär Muchitsch in seiner Eigenschaft als Präsident der Interessenvertretung österreichischer Museen ein Schwesterinstitut zu Tode prüft. Der Museumsbund ist außerdem Subventionsempfänger des Kulturstaatssekretariats unter Andrea Mayer (SPÖ). Sie hätte wohl nichts gegen die von Thomas Drozda (SPÖ) und Eva Blimlinger (Grüne) seit Jahren betriebene Eingliederung des HGM in den Verbund der Bundesmuseen einzuwenden.

Dass man im HGM die Objekte weitgehend unkommentiert zu sehen bekommt, ist altbekannt und trifft auf so gut wie alle historischen Schauen zu; etwa auf die Haus der Geschichte genannte Gerümpelsammlung auf dem Heldenplatz, für die der Wortführer der HGM-Kritiker, STANDARD-Redakteur Stefan Weiss, so gerne Partei ergreift, oder den ehemals zum Reich des Kommissionsmitglieds Wolfgang Meighörner gehörenden Museumsflohmarkt Schauplatz Tirol in Innsbruck. Die moderne Museologie mit ihrem Zwang zur Verhässlichung macht es also nicht besser, sondern schlechter.

Elendspropaganda

Auch die von der Muchitsch-Kommission propagierte Neugestaltung des HGM wird erklärtermaßen ein einzigartiges museales Ensemble zerstören und auf dessen Trümmern nicht etwa ein "modernes" Militärmuseum, sondern eine Kriegsopfergedenkstätte errichten. Mit historischer Elendspropaganda als Narrativ lässt sich freilich kein "Nationalmuseum von internationaler Strahlkraft" etablieren. Vorsichtshalber sollten die museumspazifistischen Ambitionen der Radikalreformer daher zunächst in Muchitschs waffenstarrendem Landeszeughaus in Graz erprobt werden.

Die quälend redundante, noch dazu in sozialrevolutionärer Proseminaristensprache vorgetragene Kritik des Berichts an den zahlreichen Darstellungslücken des HGM – bis hin zu den schlachtentscheidenden "Crossdresserinnen im Ersten Weltkrieg" (!) – ist doppelt ärgerlich. Zum einen, weil es in Österreich bekanntlich so gut wie keine militärhistorische Forschung gibt, zum anderen, weil an die museale Abbildung von allfälligen Erkenntnissen einer "neuen Militärgeschichte" ohnedies nicht gedacht ist. Für das geplante Antikriegsmemorial, drastische Kriegsgräuel-Inszenierung inklusive, reicht der gute Wille.

Wie man den nötigen Platz für die projektierte Geisterbahn durch unsere Gewaltgeschichte freimachen möchte, deutet der Bericht zumindest an. Die Zurschaustellung von Beutestücken und Trophäen gilt der Kommission als Verächtlichmachung ehemaliger Kriegsgegner. Wahrscheinlich ist an eine Rückgabe gedacht. Muchitsch sammelt derzeit Erfahrungen: Das Joanneum plant – medienwirksam – die Auslieferung einer antiken Büste an das sichere Drittland Libyen. (Michael Hochedlinger, 12.2.2021)