Sie wollten alles anders machen. Doch sie scheiterten im ersten Anlauf am System und fehlenden Vorbildern. Aber dann erkannten die Gründerinnen Naomi Ryland und Lisa Jaspers, dass sich für eine bessere Arbeitswelt nicht die Frauen anpassen sollten. Sondern dass es ein neues System braucht, wo Emotionen, Diversität und Nachhaltigkeit Platz haben, und nicht Druck, toxische Chefs und endloses Wachstum, schreiben sie in ihrem Buch Starting a Revolution: Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können (Econ, 2020).

Naomi Ryland (links) und Lisa Jaspers fordern mit ihrem Buch eine Revolution der Arbeitswelt: Die Menschen sollen künftig im Mittelpunkt stehen.
Foto: Lena Scherer

STANDARD: Wann haben Sie zuletzt vor Angestellten geweint oder Sorgen angesprochen?

Jaspers: Das passiert oft. Letzten Freitag habe ich einer Mitarbeiterin erzählt, dass ich Stress in der Familie habe, wo auch die ein oder andere Träne geflossen ist.

Ryland: An einen konkreten Anlass erinnere ich mich nicht, aber Sorgen werden bei uns oft angesprochen – das ist positiv. Bei jedem Meeting haben wir ein Check-in und Check-out, um Emotionen im Team Raum zu geben.

STANDARD: Führungskräfte sollen Gefühle zeigen, schreiben Sie. Wieso ist empathischer Führungsstil wichtig für die künftige Arbeitswelt?

Jaspers: Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir uns am Arbeitsplatz nicht unbedingt wohlfühlen oder erfüllt fühlen müssen. Viele stellen sich aber deswegen die Sinnfrage. Wir müssen lernen, mit allen Facetten wir selbst zu sein und nicht gewisse Teile von uns vor der Bürotür zu lassen. Der Weg da raus führt über menschenzentrierte Firmen. Nur so können wir uns entfalten und Sinn finden.

Ryland: Auch weil sich die Art zu arbeiten verändert. Man muss viel agiler und flexibler reagieren, und das braucht andere Führung: Wenn man nicht in starren Hierarchien arbeitet, muss man die Mitarbeitenden persönlich kennen, um sie so zu führen und zu motivieren, dass sie selbstbestimmt arbeiten können.

STANDARD: Wie ist eine empathische Chefin?

Jaspers: Das ist individuell, es gibt nicht den einen Weg. Man sollte aber sich selbst, seine Stärken und Schwächen kennenlernen – auch mit Coaching und Therapie –, bevor man ein Unternehmen führt. Und: Auch wenn Naomi und ich anders führen, sehen wir unsere Mitarbeitenden nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Zweck. Sie sind die Firma. Aber gleichzeitig haben die wenigsten gelernt, wie so eine Chefin ist. Wir brauchen diverse Vorbilder – nicht nur in Bezug auf Geschlecht und Hautfarbe, sondern auch Persönlichkeiten. Vor drei Jahren hätte ich gedacht, ich könne als Chefin niemals im Büro weinen oder von meinem Stress erzählen. Damals war es mir auch die zehn Minuten nicht wert, meine Angestellten zu fragen, wie ihr Wochenende war. Ich musste mich richtig zwingen. Heute frage ich jeden Morgen, wie es ihnen wirklich geht. Das ist so wichtig für die Arbeitskultur. Unsere Beziehungen im Team fußen auf Vertrauen und Verbundenheit – was nicht heißt, dass man von jedem die beste Freundin ist.

Ryland: Es wirkt, als wäre diese Führung informell, dabei braucht sie viel mehr Strukturen. Das strukturierte Feedback funktioniert nicht einfach nebenbei: Bei uns gibt es alle drei Monate ein vorbereitetes Gespräch.

STANDARD: Wieso braucht es so viele Regeln, wenn es eigentlich mehr Freiheiten geben soll?

Jaspers: Arbeiten ohne klassische Hierarchien verunsichert Mitarbeitende oft. Regeln schaffen Stabilität bei der Entscheidungsfindung sowie Strukturen, die helfen, Ziele festzulegen.

STANDARD: In der Pandemie werden Empathie und Vertrauen von Führungskräften gefordert. Ist jetzt die Gunst der Stunde für Ihre Revolution?

Jaspers: Wir sind in einer Situation, die stark katalysiert. Vielen ist klargeworden, dass es nicht weitergehen kann wie bisher: von der Arbeitskultur bis zur Klimakrise. Wir sind überzeugt, dass es bessere und zukunftsgerichtetere Unternehmen schafft, wenn man weniger hierarchisch organisiert ist und jeder Gedanken, aber auch Kritik äußern kann. Diese Mitgestaltung ist aber noch sehr selten. Letztlich ist es auch wichtig, um künftig Arbeitskräfte zu finden und in zehn Jahren nicht Probleme auf allen Firmenebenen zu haben.

STANDARD: Was läuft denn aktuell falsch?

Ryland: Die Helden der Wirtschaft sind Großkonzerne und Start-ups, die am schnellsten wachsen und Milliardeninvestments sammeln. Das liegt daran, dass die Unternehmenswelt von Menschen mit Alpha-Verhalten – meist Männern – dominiert wird. Sie vermarkten sich selbst, sind unsensibel, betreiben Wettbewerb statt Kooperation. Dieses Verhalten wird im System mit Aufstieg belohnt, auch bei Frauen, die sich so verhalten. Frauen sind aber bisher öfter am System gescheitert und haben vielfach einen kritischeren Blick darauf – und erkennen wie unsere Revolutionärinnen, was nicht funktioniert. Natürlich gibt es auch Männer, die das nicht mehr wollen.

Jaspers: Wir wollen einen Systemwandel, der Wachstum nicht über alles stellt. Wieso glauben wir, dass Unternehmen, die nicht schnell wachsen, nicht erfolgreich sind?

STANDARD: Im Buch sprechen Sie immer wieder das Homeoffice an. Wie sehen Sie Ihre Erkenntnisse vor dem Corona-bedingten New Work?

Ryland: Viele Arbeitgeber wollten ihre Mitarbeiter nicht ins Homeoffice schicken (siehe Protokolle Seite 9) –aus Angst, dass sie dort nicht arbeiten. Das ist ein ganz klares Zeichen von schlechter Führung, fehlendem Vertrauen.

Jaspers: Wenn wir uns nicht vertrauen können, funktioniert das nicht. Dann sind alle unglücklich. Homeoffice ist für viele eine Möglichkeit, Familie und Beruf besser zu vereinbaren – auch wenn es natürlich auch Herausforderungen beim Homeschooling gibt. Auch wertvolle Aufgaben in den globalen Süden verlegen zu können ist möglich: Der brasilianische Mitarbeiter kann aus Brasilien arbeiten und muss nicht im kalten Berlin sitzen.

STANDARD: Braucht es dann noch ein Büro?

Jaspers: Ja, oder einen Co-Working-Space, wo man arbeiten kann. Es sind nicht alle so privilegiert, dass ihre Wohnung groß genug für flexibles Arbeiten ist, andere wollen das nicht. Man kann also nicht alle heimschicken und sich die Miete sparen. Es ist wichtig, dass man sich auch mal sieht, um eine Verbindung untereinander aufbauen zu können.

STANDARD: Wie wird New Work gelebt und bleibt kein Buzzword?

Jaspers: Indem man sie nicht als methodischen Ansatz sieht, sondern als Lebenseinstellung – auch in Bezug auf das System und Fairness. Sonst hat man am Ende des Tages nicht weniger ausgebrannte Mitarbeitende, nur weil die Hierarchien abgeschafft sind. Das menschenzentrierte Unternehmen muss zur höchsten Priorität werden. (Selina Thaler, 13.2.2021)