Vor rund 60 Jahren lebte Stephanie Shirley New Work, obwohl es dafür noch gar kein Konzept gab. Die Software-Entwicklerin gründete in den Sechzigern die F. International Group. Mit einem Startkapital von sechs Pfund brachte es die Firma auf dem Höhepunkt des Erfolgs auf einen Marktwert von 2,8 Milliarden Pfund.

Shirleys Anteil daran betrug aber lediglich fünf Prozent. Sie beteiligte ihre Beschäftigten am Gewinn, nicht als individueller Bonus, sondern als Firmenbonus für alle. Das führte auch zu mehr Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden und höherer Produktivität. Das von einer Frau geführte Sozialunternehmen war damals revolutionär. Zudem stellte Shirley in den ersten 15 Jahren nur Menschen ein, die vom Jobmarkt oft ausgeschlossen waren: Mütter oder Menschen mit Behinderung. Und alle arbeiteten von zu Hause aus. Die Codes wurden per Post verschickt, per Telefon kommuniziert. So programmierte das Team etwa die Blackbox der Concorde.

Bei der Wien Energie wurden im Zuge des Change-Prozesses zu New Work auch neue "Bürowelten" geschaffen. Unter anderem mit Besprechungskojen
Foto: Wien Energie/Ehm

Flexibel und ohne starre Hierarchien zu arbeiten, inklusive Teams zu haben, auf das Wohl der Beschäftigten zu schauen und keine Stakeholder am Gewinn zu beteiligen, ist keine neue Idee. Das zeigt Shirleys Geschichte. Dennoch referierten in den vergangenen Jahren viele Beraterinnen, Coaches oder Arbeitsforschende über diese New Work. Sie sei der Schlüssel, um in der sich verändernden Arbeitswelt und Digitalisierung mithalten zu können.

New Work als Weg aus Krise

Seit der Pandemie wurde New Work zur Massendiskussion. Firmen überlegen, wie sie nach Corona aus dem Homeoffice ins Büro zurückkehren, und nutzen die Krise, um tradierte Arbeitsweisen zu hinterfragen. Andere Unternehmen haben bereits vorher einen Change-Prozess gestartet und können erste Learnings aus dem Homeoffice ziehen.

Zum Beispiel hat Wien Energie im Oktober – nach dem 2019 gestarteten Prozess mit Mitarbeiterbeteiligung – auf flexibles Arbeiten umgestellt. 60 Prozent der Beschäftigten dürfen – wenn nicht gerade Lockdown ist – drei Tage pro Woche arbeiten, wo sie wollen. Und wann sie wollen zwischen sechs und 22 Uhr. Das pandemiebedingte Homeoffice überzeugte laut Katharina Polomini, Leiterin des Personal- und Organisationsmanagements des Energieversorgers, auch viele, die das Modell anfangs skeptisch sahen. Die Zahl jener, die es ablehnten, sei mittlerweile im einstelligen Bereich. Für die New Work wurden zudem auch "Bürowelten" mit Arbeitsinseln, Besprechungs- und Ruhezonen geschaffen, die Hierarchien verschlankt und die Unternehmenskultur von einer Präsenz- zu einer Leistungskultur umgewandelt.

Bei Vöslauer dauerte der Prozess, begleitet von der M.O.O.CON-Agentur, eineinhalb Jahre. Man hatte sich schon lange mit New Work auseinandergesetzt, erzählt Birgit Aichinger, Geschäftsführerin des Mineralwasserabfüllers. Einerseits aus Platzmangel, andererseits, "weil wir Familie und Beruf gut vereinbaren wollen". Der Plan: eine zum Büro umgestaltete Villa. Corona-bedingt ist dieser "on hold", in der Zwischenzeit lernt die Belegschaft, im New-Work-Modell zu arbeiten.

Bei Vöslauer hat seit Dezember 2019 fast niemand mehr einen eigenen Schreitisch. Vor allem die Community-Tische sind beliebt.
Foto: Vöslauer

Kein eigener Schreibtisch

In Bad Vöslau stellte man im Dezember 2019 auf ein flexibles Modell mit der Möglichkeit auf sechs Tage Homeoffice im Monat und ein Shared-Desk-Büro um. "Bis auf einige wenige Kolleginnen im Assistenzbereich hat keiner einen eigenen Schreibtisch oder Büro – inklusive Geschäftsführung", sagt Aichinger, die sich mit Laptop den Community-Tisch oder für Videocalls in eine ruhige Ecke setzt. Wer einen fixen Schreibtisch will, bekommt einen, ohne als Spielverderber zu gelten.

Viele hatten Bedenken, dass mit dem Schreibtisch bald auch der Job geht oder ob es ausreichend Arbeitsplätze gibt, erzählt Aichinger. "Es gab noch nie die Situation, dass jemand keinen Arbeitsplatz hat – im Endeffekt haben wir mehr unterschiedliche." Ohnehin arbeiteten die wenigsten am klassischen Bildschirmarbeitsplatz, sondern an Community-Tischen; die Unterlagen werden in Spinden aufbewahrt.

"Der Austausch ist viel abteilungsübergreifender und auch die Abstimmung mit der Geschäftsführung schneller", erzählt eine Mitarbeiterin. Es sei wichtig gewesen, dass im Vorfeld allen Ängsten und Sorgen Raum gegeben wurde. Die Mitbestimmung sei essenziell, wissen auch die Caramel-Architekten: "Erst durch eine mehrstufige Beteiligung der BüronutzerInnen an der Planung und der gemeinschaftlichen Evaluation werden die Bedürfnisse auch im Arbeitsumfeld eindeutig artikuliert", heißt in deren Buch Arbeiten in einer individuell aneigenbaren Lebenswelt, das im April erscheint. Das Architekturbüro hat viele flexible Büros geplant, 2018 etwa ein Gebäude für 2300 Designer zum Shared-Desk-Modell mit flexiblen Möbelnutzungen umgestaltet.

Acht Tische für zehn Leute

Ein ähnliches Modell wie Vöslauer hat die Erste Bank für 4500 Mitarbeitende an ihrem Campus in Wien. Mit dem Einzug vor fast fünf Jahren wurde auf ein Shared-Desk-Modell umgestellt. Auf zehn Beschäftigte kommen acht Arbeitsplätze, morgens sucht man sich auf seinem Homebase-Stockwerk einen Platz. Auch das Management.

Kein eigener Schreibtisch, dafür ein eigener Spind: Bei der Erste Bank werden die Arbeitsunterlagen in Lockers verstaut.
Foto: Erste Bank/Christian Wind

Es gibt dafür unterschiedliche Tischkonstellationen, Kojen oder Besprechungsräume. Um Plätze werde nicht gestritten, manche säßen aber immer am gleichen Tisch, erzählt Personalchefin Sabine Mlnarsky. Auch vor Corona hätten einige bereits unterwegs gearbeitet: Fünf bis acht Prozent der Arbeitszeit wurden remote geleistet. "Das ist im Schnitt etwa ein Tag alle zwei Wochen", sagt Mlnarsky. Aktuell seien 80 Prozent im Homeoffice, künftig rechnet sie mit 20 bis 25 Prozent im Schnitt. Es gebe keine Pauschallösungen, die Teams müssten sich das individuell ausmachen. "Die Menschen wissen sehr gut, was für sie machbar ist und was nicht."

Auch bei Wien Energie entscheiden die Abteilungen, wann sie wo arbeiten und erreichbar sind. Um 21.30 Uhr muss keiner einen Anruf abheben, es gibt Kernzeiten. Ähnlich funktioniert es bei Vöslauer: "Jeder kann arbeiten, wann er will, es wird nicht erwartet oder verlangt, abseits der Kernzeiten erreichbar zu sein", sagt Birgit Aichinger. Zudem vertraue man einander, dass man das Homeoffice nicht missbrauche: "Wir haben auch diskutiert: Finden wir es verdächtig, wenn jemand nicht erreichbar ist?"

Was bleibt

Nach Corona werden jedenfalls die 36 Prozent der Vöslauer-Mitarbeitenden, die remote arbeiten können – also nicht zu den restlichen 64 Prozent gehören, die nur am Betriebsstandort tätig sind –, häufiger im Homeoffice arbeiten: nämlich acht bis zehn Tage im Monat – der Idealzustand laut vielen Umfragen. Zwei Tage Homeoffice, drei Tage Büro empfiehlt auch der Stanford-Ökonom Nicholas Bloom, der zum Homeoffice geforscht hat.

Für die Arbeitswelt sei es laut Erste-Bank-Personalerin Mlnarsky gut gewesen, dass es nicht nur einen Homeoffice-Lockdown gab, sondern mehrere: "Nach dem ersten hätten wir in der Homeoffice-Euphorie das Büro vielleicht ganz abgeschrieben – mittlerweile gibt es wieder einen Drang zum physischen, kreativen Austausch."

Das Büro werde ein Ort sein, wo es künftig "bewusst laut ist", sagt Erste Bank Personalchefin Sabine Mlnarsky.
Foto: Erste Bank/Christian Wind

Die Erfahrungen der vergangenen Monate würden auch die Möblierung im Büro revolutionieren, glaubt Mlnarsky. "Die Akustik wird eine Herausforderung, wenn wir hybrid arbeiten und im Großraum Videocalls machen. Das braucht mehr Meetingräume, schalldämmende Elemente." Das Büro werde zu einem Ort, wo es "bewusst laut ist und nicht ruhig allein gearbeitet wird". Das Büro wird bleiben, angepasst an Funktion, Arbeitsweise und Person. "Es braucht eine Base, auch für das Gemeinschaftsgefühl", sagt Aichinger.

Auch die Nachhaltigkeit werde in der New Work nach der Pandemie bleiben, ist Aichinger überzeugt. Das vielmals gescheiterte papierlose Büro funktioniere seither problemlos: "Wenn du jeden Zettel durch die Gegend trägst, überlegst du bei jedem einzelnen, den du ausdruckst." Und genauso die Relevanz der Kommunikation, die gerade bei hybriden Teams zur größten Anforderung an Führungskräfte werde, wie sich die befragten Chefinnen einig sind.

Stephanie Shirley nannte sich übrigens Steve, um in der männerdominierten Arbeitswelt der Sechziger ernstgenommen zu werden – das dürfte in der heutigen New Work nicht mehr nötig sein. (Selina Thaler, 16.2.2021)