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Tinder ist die derzeit wohl beliebteste Dating-App.

Foto: Getty Images/Joe Raedle

Liebesbeziehungen aufzubauen ist in Zeiten von Corona sicherlich nicht einfach. Bars und Lokale sind geschlossen, wir alle seit Monaten im Lockdown – und die Möglichkeiten, neue Menschen kennenzulernen, sind damit fast inexistent. Kein Wunder also, dass Dating-Apps wie Tinder, Bumble und Ok-Cupid Millionen neue Nutzerinnen und Nutzer gewinnen konnten. Allerdings zielen die Plattformen darauf ab, ebendiese so lange wie möglich bei sich zu halten. Eine erfolgreiche Partnersuche widerspricht also eigentlich dem Unternehmensziel. Verteufeln sollte man sie trotzdem nicht.

Das Prinzip der Apps ist schnell erklärt. Man legt sich ein Profil an, lädt Bilder hoch und kann festlegen, woran man interessiert ist. Die Suche nach eventuellen Partnern erfolgt nach dem Swipe-Prinzip. Wische ich ein Foto nach rechts, sage ich ja. Mit einem Wisch nach links drückt man Desinteresse aus. Wischt man nach oben, vergibt man ein sogenanntes Super-Like, das besonders hohes Interesse ausdrücken soll. Liken sich zwei Personen gegenseitig, kann man eine Unterhaltung beginnen.

Dating als Videospiel

Für User mit Zahlungsbereitschaft gibt es außerdem diverse Premium-Abonnements, die unbegrenzte Swipes ermöglichen und einem bereits im Vorhinein anzeigen, wenn man jemandem gefällt. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine der Möglichkeiten, die Nutzung zu monetarisieren. Denn Millionen User haben gar kein Interesse an diesen Optionen.

Vergleichbar mit sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook, bedienen sich die Entwickler deshalb unterschiedlichster psychologischer Mechanismen, um Menschen möglichst lange in der eigenen App zu halten. Einer davon ist die sogenannte Gamification. "Das bedeutet, dass man spielerische Elemente in einem spielfremden Kontext einsetzt. Dabei geht es um psychologische Belohnungen, also zum Beispiel eine Art Abzeichen. Bei Tinder wären das die Likes oder Super-Likes", erklärt Christina Schamp, Professorin am Institut für Digital Marketing und Behavioral Insights an der WU Wien.

Bindung durch Konditionierung

Diese Apps schaffen es also, Menschen durch den systematischen Einsatz von Belohnungen in Kombination mit Push-Benachrichtigungen zu konditionieren. Denn bei jedem Match und jeder Nachricht informieren einen Dienste wie Tinder über die Neuigkeiten. Zu Beginn der Nutzung fehle das dafür notwendige Belohnungsgefühl allerdings noch, erklärt Schamp. Erst beim Öffnen der Apps sehe man, wie viele Likes und Matches neu seien. Das schütte Dopamin aus. "Doch irgendwann reicht es dafür, nur die Notification zu sehen, obwohl man noch gar nicht weiß, was dahintersteckt", sagt die Professorin.

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Apps wie Bumble sind Hauptkonkurrenten zu Tinder.
Foto: Reuters/Mike Blake

Damit am erfolgreichsten ist der US-Konzern Match.com, der sich dank erfolgreicher Produkte wie Tinder, Ok-Cupid und Hinge als Platzhirsch am Dating-Markt etablieren konnte. Allein im vergangenen Pandemiejahr verzeichnete der Branchenriese dadurch einen Umsatz von knapp 2,4 Milliarden Dollar, also rund 17 Prozent mehr als noch im Jahr davor. Die erfolgreichste Plattform, Tinder, hatte Ende 2020 mehr als 30 Millionen aktive Nutzer. Damit ist der Dienst allerdings nur einer von über 20, die sich im Besitz der Match-Gruppe befinden.

Reflektierter Umgang mit sozialen Medien

Verteufeln möchte Schamp die Plattformen deshalb trotzdem nicht. "Man muss sich bewusst machen, dass sich meine Ziele nicht immer mit denen der App-Betreiber decken", erklärt sie. Sie wünsche sich deshalb einen reflektierteren Umgang mit entsprechenden Technologien. Einerseits brauche es dafür mehr Aufklärungsarbeit, andererseits gebe es natürlich auch auf Nutzerseite Möglichkeiten, den Mechanismen so weit entgegenzuwirken, dass sie nicht schädlich werden.

Konkret rät die Professorin deshalb dazu, die Push-Benachrichtigungen abzuschalten. Zudem solle man Tinder und Konsorten sofort löschen, wenn man eine Person wirklich näher kennenlernen wolle. Aufgrund der schier unendlichen Auswahl potenzieller Partner laufe man sonst Gefahr, sich nicht festlegen zu können – und eine bereits getroffene Auswahl später wieder zu bereuen.

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Mit einem Klick oder Swipe kann man Interesse oder Desinteresse ausdrücken.
Foto: AP/Tsering Topgyal

Zeit ist Geld

Dass sich die Plattformbetreiber bewusst und strategisch all dieser Elemente bedienen, ist klar. Immerhin basiert ihr Geschäftsmodell darauf, Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange in ihren Diensten zu halten, um ihre Werbeeinnahmen zu steigern und Premium-Funktionen zu verkaufen. Um sicherzugehen, dass man dadurch kein ungesundes Nutzungsverhalten entwickelt, bieten sich mehrere Ansätze an. "Im Falle von Tinder könnte man sich zum Beispiel bestimmte Regeln aufstellen. Man muss sich also überlegen, wie der eigene Umgang konkret aussehen soll", schlägt Christina Schamp vor.

Zudem muss mit einbezogen werden, was man sich von der Mitgliedschaft erhofft. So widerspricht zum Beispiel die Suche nach einem Langzeitpartner eigentlich den Videospiel-artigen Mechanismen von Apps wie Tinder. Dass diese unmöglich ist, bedeutet das natürlich keinesfalls. Doch wie auch bei anderen sozialen Netzwerken ist eine deutliche Inkongruenz zwischen Nutzerwunsch und Unternehmensziel sichtbar. Der einzige Unterschied ist: Im Kontext des Datings wird vergleichsweise selten darüber diskutiert. (Mickey Manakas, 13.2.2021)